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Alexander Kühne veröffentlicht Kleinstadtnovelle  Alexander Kühne veröffentlicht Kleinstadtnovelle : Punkrock in der DDR-Einöde

Von Steffen Könau 08.03.2016, 08:55
Alexander Kühne wuchs in Brandenburg auf und lebt als Schriftsteller in Berlin.
Alexander Kühne wuchs in Brandenburg auf und lebt als Schriftsteller in Berlin. random house/erik weiss

Lugau/Halle (Saale) - Einer von 600 Lugauern ist Alexander Kühne damals gewesen. Und der einzige, dem das nicht gefallen hat. Zu klein das Dorf in der Lausitz, zu abgelegen und zu still. Da hilft nur fortgehen, am besten nach Berlin, wohin schon in der DDR der 80er Jahre alle ziehen. Oder die Welt zu sich holen, wie es Kühne in den letzten Jahren der Arbeiterrepublik mit seinem Jugendklub Extrem probiert: Wenn der gerade 20-Jährige mitten im Nirgendwo Konzerte mit der Generation der sogenannten anderen Bands der DDR veranstaltet, dann pilgern Hunderte von überallher in das kleine Dorf.

Der Traum vom selbstbestimmten Leben

„Rosa Extra“, „Hard Pop“ und „Expander des Fortschritts“ heißen die Helden der erwachenden DDR-New-Wave-Welle. Alexander Kühne ist ihr Dompteur. Zeitig schon hat der Sohn einer Lehrerin die DDR-Kultur abgewählt. „Mit Fahnenappell, FDJ und Wehrsport wollten wir nichts zu tun haben“, beschreibt er. Stattdessen träumen er und seine Freunde von einem selbstbestimmten Leben, einem Leben ohne Vorschriften und Verbote. Ein Leben mit Musik müsste das sein, findet Kühne - und nachdem der angesagte Konzerttreffpunkt Kohlenpott im Nachbarort schließt, etabliert er mit einer Mischung aus Frechheit, Missbrauch der FDJ und jugendlicher Ignoranz seinen eigenen Gegenentwurf.

"Düsterbusch City Lights"

Eine Geschichte, die kaum glaubhaft klingen würde, wäre sie nicht wahr. Doch so wie Kühne, hauptberuflich Fernsehautor, es jetzt in seinem autobiografisch gefärbten Roman „Düsterbusch City Lights“ beschreibt, ist es wirklich gewesen. Unter dem Radar der Behörden und hinter deren Rücken gelingt es den blutigen Amateuren, eine Partyrepublik aufzubauen, deren Ruf sich unter den notorisch erlebnissüchtigen DDR-Jugendlichen wie ein Lauffeuer verbreitet.

Die Reise nach „Düsterbusch“, wie Lugau in seinem Buch heißt, erhebt keinen dokumentarischen Anspruch. Stattdessen produziert Alexander Kühne authentische Erinnerungsliteratur, gegen die die Genreklassiker von Jana Hensel, Jakob Hein und Thomas Brussig wie Kolportage wirken. Kühne, der sich auf den 382 Seiten beziehungsreich „Anton“ nennt wie der Held der Defa-Schwindlerkomödie „Anton der Zauberer“, holt die Atmosphäre der bleiernen DDR-Jahre zurück, als sich nichts regt und keiner sich bewegt. Routine ringsum, selbst bei den sogenannten Kunden und Freaks, die ihren aufmüpfigen Bluesbands so pünktlich und treu hinterherreisen wie Mutti und Vati jeden Morgen in ihrem sozialistischen VEB erscheinen.

Große Träume

Graue Tage am Ende der Welt, untermalt von Sehnsuchtsmelodien aus dem Radio. The Clash und New Order klingen für Kühne und seine Freunde nach Großstadt-Sex, nach Abenteuer, Coolness und Versprechen auf Spiele ohne Grenzen mit schier unendlichem Spaß. Die Kleinstadtjugend hegt große Träume, im richtigen Leben wie im Buch, das das Leben hier nicht imitiert, sondern den grotesken Spagat zwischen Widerstand nach Noten und FDJ-Bluse zusammenkocht zur schlüssigen Geschichte einer Dorfjugend, die sich nicht mit sich selbst und einem vorgezeichneten Schicksal begnügt. „Wer braucht schon Realität“, sagt Anton Kummer. Richtig. Niemand.

Die Dekadenz feiert Orgien

Der Ausweg ist auch im Düsterbusch des Buches ein Jugendklub mit FDJ-Siegel, aber eben einer, den es in der DDR offiziell nie hätte geben dürfen. Das Programm organisieren Jugendliche, für die die DDR längst einen stillen, unbeachteten Tod gestorben ist. Es spielen Bands, die keine Auftrittserlaubnis haben, wenn nicht sogar Westkünstler unter falschen Namen auftreten. Im Saal rotten sich dann die „feindlich-negativen Elemente“ zusammen, die die Stasi so fürchtet. Es gibt Sex in dunklen Ecken, Schnaps und Bier strömen reibungslos, denn der profitgierige Kneiper kassiert. Und natürlich kommt es zu enthemmten Szenen auf der Dorfstraße, wo Flaschen zerbrechen und Gartenzwerge von Betrunkenen beschmutzt werden.

Lugau, also Düsterbusch, das ist nach einer Zeitungsschlagzeile der Lausitzer Rundschau aus DDR-Zeiten der Ort, „wo die Dekadenz wahre Orgien feiert“. Die Tragik dabei: Auch dieser Dorfkrug tanzt nur solange, bis er bricht - und je schöner es wird, desto kürzer ist die Zeit, die bleiben wird.

Kühnes Held Anton gleicht einem Ikarus, der dem Absturz immer näher kommt, je höher er fliegt. Der Erfolg bringt hier nicht nur Neider, sondern Feinde. Der Staat wechselt vom Argwohn zur offenen Bekämpfung, die Familie von Kopfschütteln zu Distanz. Und der Modus des Helden von „was kann schon passieren“ zu „was da alles passieren kann“. Der große Traum im kleinen Dorf fordert nicht zuletzt auch private Opfer. Die zerbrochene Liebe, die verlorenen Freunde. Nur Schnaps hilft Anton gegen die Angst vor Konsequenzen, die das Erwachsenwerden im Epizentrum des Wunders von Lugau begleitet. Und wozu das alles? Für wen denn?

Am Ende dieser wunderbaren Kleinstadtnovelle ist wenigstens das klar: Nur für sich selbst. (mz)

Alexander Kühne: DüsterbuschCity LightsHeyne Verlag,384 Seiten,14,99 Euro
Alexander Kühne: DüsterbuschCity LightsHeyne Verlag,384 Seiten,14,99 Euro
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