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Adolf Hitlers Buch erscheint in neuer Fassung Adolf Hitlers Buch erscheint in neuer Fassung: Warum "Mein Kampf" so polarisiert

Von Markus Schwering 30.12.2015, 15:01
Überall noch zu haben: die Ausgaben von „Mein Kampf“ aus der Weimarer und der Nazizeit
Überall noch zu haben: die Ausgaben von „Mein Kampf“ aus der Weimarer und der Nazizeit Archiv Lizenz

Köln - Seriöse Historiker aller Couleur sind sich einig: Hitlers voluminöses Buch „Mein Kampf“ ist ein unsägliches Machwerk. Dieses Urteil betrifft Inhalt und Form gleichermaßen: Die intellektuelle Substanz ist dürftigst, weil sie aus seit dem späten 19. Jahrhundert verfügbaren nationalistisch-antisemitischen Gedankenmüll unselbstständig und eklektizistisch zusammengerührt wurde – und originell allenfalls durch den hier erreichten Steigerungsgrad brutaler Inhumanität wirkt. Ungenießbar wird die Lektüre darüber hinaus durch den verquasten Stil, der hohles Pathos sowie entgleisende Bilder und Metaphern zu einem eintönig-hämmernden und monströs-betäubenden Bombast aufbaut.

„Ein unübersichtliches und schlecht lesbares Buch"

Dem schlechten Gedanken folgt die schlechte Sprache. Hitlers „geringe Fähigkeit“, so urteilt Peter Longerich in seiner gerade erschienenen Hitler-Biografie noch eher zurückhaltend, „seinen Gedanken eine konzentrierte, systematische Form zu geben, stattdessen vielmehr seiner Tendenz zum Monologisieren freien Lauf zu lassen, führten im Ergebnis zu einem schwer entwirrbaren Durcheinander von beschönigender Autobiografie und allgemeinen politischen Tiraden. Es entstand ganz einfach ein unübersichtliches und schlecht lesbares Buch.“

Zwölf Millionen verkaufter Exemplare bis 1945

Just dieses zwischen 1924 und 1926 in zwei Bänden entstandene und im NSDAP-eigenen Eher-Verlag publizierte Elaborat des späteren „Führers“ soll nun – am 8. Januar – im Buchhandel erscheinen. Nicht dass es derzeit nicht verfügbar wäre. Wer es haben will, bekommt es problemlos – darüber belehrt eine kurze Recherche im Internet. Es wäre ja auch erstaunlich, wenn von den mehr als zwölf Millionen Exemplaren, die bis 1945 verkauft wurden, keines überlebt hätte – in Großvaters Bücherschrank, in irgendwelchen Kellerecken, in Antiquariaten.

Neuauflagen waren freilich seit 1945 verboten – der Freistaat Bayern als Rechtsnachfolger der US-Militärverwaltung hatte da unerbittlich den Daumen draufgehalten. Urheberrechtliche Gründe wurden geltend gemacht, tatsächlich aber ging es um Volkspädagogik: Nicht wieder sollte – dies eine angesichts der allgemeinen Zugänglichkeit schwache Begründung – in deutsche Seelen das Gift der maßgeblichen NS-Programmschrift getröpfelt werden können.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Bayern die aktuelle Neuausgabe nicht verhindern kann, welche Befürchtungen bestehen und wie der Lehrerverband zum Werk steht

Urheberrechte an „Mein Kampf" erlöschen 2016

Der Freistaat würde auch gern die aktuelle Neuausgabe verhindern. Er kann es aber nicht mehr, weil zum 1. Januar 2016, also 70 Jahre nach Hitlers Tod, die Urheberrechte an „Mein Kampf“ erlöschen. Indes hätte eine unkommentierte Neuausgabe nach wie vor keine Chancen – die Gerichte würden sie in Verfolgung des Straftatbestandes der Volksverhetzung unterbinden. Von „Volksverhetzung“ kann allerdings – das ist der springende Punkt – im vorliegenden Fall keine Rede sein.

In dreijähriger Arbeit haben Historiker des Münchner Instituts für Zeitgeschichte unter der Projektleitung ihres Kollegen Christian Hartmann eine kritische Edition von „Mein Kampf“ erstellt – keine „Eins-zu-Eins“-Ausgabe, sondern ein 2000 Seiten starkes Werk mit einem gigantischen Anmerkungsapparat, das die Schrift kontextualisiert, dekonstruiert, ihren gedanklichen, politischen und moralischen Desaster-Charakter so nüchtern wie schonungslos aufzeigt und nachweist.

Keine „Eins-zu-Eins"-Ausgabe

Obwohl die Intention des Projekts ideologisch also über jeden Zweifel erhaben ist, ist es, wie erste Reaktionen zeigen, in der bundesdeutschen Öffentlichkeit nicht unumstritten (siehe dazu auch den nebenstehenden Beitrag über Stellungnahmen aus dem Buchhandel). Prononciert kritisch etwa äußert sich Charlotte Knobloch, die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern: „Das Buch ist eine Büchse der Pandora, die für immer im Giftschrank der Geschichte verschlossen sein sollte.“ Man könne nicht vorhersehen, was dieser Text bewirke: „Manch einer könnte Hitlers Worte wieder ernstnehmen.“

Schulen können Propagandaschrift nicht ignorieren

Die konträre Position vertritt der Deutsche Lehrerverband: Die Schulen könnten, sagt Präsident Josef Kraus, Hitlers Propagandaschrift nicht ignorieren. Was an den Schulen verboten sei, erfreue sich anderweitig großer Nachfrage. So komme eine Behandlung der Münchner Edition in Auszügen für die Oberstufe durchaus in Frage. Dass ein Verbot seinen Gegenstand gerade attraktiv mache und gegen Mythisierung nur ein Spiel mit offenen Karten helfe – die Befürworter des Projekts bringen diesen Gesichtspunkt beharrlich in die Auseinandersetzung ein.

Auf jeden Fall ist – diese These kann jetzt schon gewagt werden – die Publikation geeignet, die Diskussion alter Fragen der Forschung verantwortungsvoll zu befördern – auf einem Fundament öffentlicher Befassung, das ungleich breiter als bislang ist. Etwa der Frage, inwieweit sich die NS-Herrschaft als „Vollzug einer Weltanschauung“ (Eberhard Jäckel) deuten lässt – nämlich derjenigen Hitlers. Die Eroberung von „Lebensraum“ im „Osten“ und der als „Rassenhygiene“ sich aufspreizende eliminatorische Hass gegen die Juden – das sind in der Tat die programmatischen Eckpfeiler von „Mein Kampf“. Aber waren Zweiter Weltkrieg und Holocaust die direkten und unausweichlichen praktischen Konsequenzen daraus? Oder waren die Wege von der frühen Hetzschrift zu den späteren Katastrophen nicht doch verschlungener? Der deutschen und internationalen NS-Debatte stehen jedenfalls womöglich spannende Zeiten bevor.

Bis zum Jahre 1945 wurden 12 Millionen Exemplare von „Mein Kampf" verkauft.
Bis zum Jahre 1945 wurden 12 Millionen Exemplare von „Mein Kampf" verkauft.
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Drei Jahr lang erarbeitete der Historiker Christian Hartmann und sein Team eine kritische Edition von „Mein Kampf".
Drei Jahr lang erarbeitete der Historiker Christian Hartmann und sein Team eine kritische Edition von „Mein Kampf".
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Charlotte Knobloch, Vorsitzende des Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayerns, äußerte sich kritisch zur Neuauflage von „Mein Kampf".
Charlotte Knobloch, Vorsitzende des Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayerns, äußerte sich kritisch zur Neuauflage von „Mein Kampf".
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