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«28 Stories über Aids in Afrika» «28 Stories über Aids in Afrika»: Geschichten ohne Rührseligkeit

Von Annett Klimpel 11.06.2007, 09:22
Zwei junge Frauen sitzen in Lusaka in Sambia auf einer Bank (Archivfoto). An der Wand hinter ihnen steht der Schriftzug einer Aids-Aufklärungskampagne. (Foto: dpa)
Zwei junge Frauen sitzen in Lusaka in Sambia auf einer Bank (Archivfoto). An der Wand hinter ihnen steht der Schriftzug einer Aids-Aufklärungskampagne. (Foto: dpa) dpa

München/dpa. - Die Geschichten der vielfach ausgezeichneten Korrespondentin derkanadischen Zeitung «The Globe and Mail» sind ohne Pathos und falscheRührseligkeit geschrieben - und deshalb umso aufrüttelnder.

«Was in Afrika passiert, ist ein Völkermord aus Gleichgültigkeit»,schreibt Nolen im Vorwort ihres Buches. Erst im Verlauf der 80erJahre hätten die Wissenschaftler langsam erkannt, dass «auf deranderen Seite des Globus eine Epidemie schrecklichen Ausmaßeswütete». Und auch heute noch mangele es den entwickelten Ländern amWillen, der schrecklichen Krankheit massiv Einhalt zu gebieten. InLändern wie Swasiland seien deshalb nach wie vor mehr als 40 Prozentder schwangeren Frauen infiziert. «Was aber wird aus einem Land - einem kleinen, armen und isolierten Land - wenn die Hälfte allerErwachsenen Aids hat?»

«Was unterscheidet Aids von den Hungersnöten und Kriegen, derKorruption und den Dutzenden anderen schleichenden Krankheiten, demMangel an Schulen, Krankenhäusern und sauberem Wasser?», fragt Nolen.«Der Unterschied besteht darin, dass Aids hinter all diesen Dingensteht, dass es deren Auswirkungen noch verstärkt und zugleich dieFähigkeit schwächt, damit fertig zu werden.» Die Bemühungen um mehrBildung beispielsweise liefen ins Leere, wenn die teuer ausgebildetenÄrzte, Lehrer und Facharbeiter vom Virus dahingerafft würden.

Nolen stellt die einzelnen Schicksale von Jungen, Alten, Armen undBesserverdienenden verschiedener afrikanischer Länder jeweils in denKontext der Gesamtsituation. Sie beschreibt den Zusammenhang mit denpolitischen und gesellschaftlichen Strukturen, lässt die Verzweiflungder Betroffenen hautnah spüren und erzeugt Wut darüber, dass nach wievor Menschen sterben, denen der Zugang zu einem mittlerweile sehrpreiswerten Medikament verwehrt bleibt.

So stellt sie auch dasSchicksal der 14 Jahre alten Tigist vor, die im äthiopischen AddisAbeba nach dem Aids-Tod ihrer Eltern sich und ihren zehn Jahre altenBruder ganz allein versorgen muss. Noch ein Jahrzehnt zuvor sei dasin dieser Stadt ebenso wie in Toronto oder Birmingham undenkbargewesen, schreibt Nolen. Doch das Netz der Gemeinschaft und derFamilie sei durch HIV auseinander gerissen worden.

Die Journalistin erzählt auch vom Kampf der Aids-Aktivisten undHilfsorganisationen. Sie widmet sich der unrühmlichen Rolle derPharmaindustrie bei der Epidemie. Anhand der einzelnen Schicksalemacht sie deutlich, wie bedeutsam die in Afrika zunächst kaumerhältlichen Medikamente waren, die die Zahl der tödlichen Viren imBlut über Jahre hinweg vermindern. Zudem spürt sie den Ursachen derAusbreitung von HIV nach, zu dem auch die Macht der Männer über ihreFrauen in vielen der Länder zählt. Fernfahrer, Soldaten undBergarbeiter erzählen von einsamen Monaten in der Fremde, in denensie zu Prostituierten gingen - und das Virus mit nach Hause nahmen.

Es sind traurige und erschütternde Geschichten, die Nolen zuerzählen hat - doch sie zeugen auch von Vergebung, unglaublicherHoffnung und Kraft. Einige Porträts beschreiben wahnwitzig mutigeInitiativen von Menschen, die sich ebenso stolz wie kämpferisch ihremSchicksal stellten. Es gibt wohl kaum ein besseres Buch, um sich einebenso faktenreiches wie menschliches Bild von der Aids-Katastrophein Afrika zu machen.

Stephanie Nolen: 28 Stories über Aids in Afrika, Piper Verlag, München, 464 S., Euro 16,00, ISBN 978-3-4920-5014-2