100 Jahre «Theaterkunst»
Hamburg/dpa. - Eine imposante Figur macht Peter Ustinov als Friedrich der Weise im Kinofilm «Luther» (2003) - und das liegt auch an seinem Kostüm: Es ist das von einem Cranach-Bild inspirierte Gewand eines Renaissancefürsten aus Faltrock mit gepufften Ärmeln, Brokatmantel sowie Samtkappe mit gesticktem Sonnensymbol.
Anderen Zuschnitt verrät das zartblaue Empirekleid in Größe 32 mit goldenen Perlen und Ranken, das Romy Schneider als «Die schöne Lügnerin» (1959) trug. Beide Roben schuf die Berliner Firma «Theaterkunst GmbH». Das 100-jährige Bestehen des größten deutschen Ausstatters für Theater, Film und Fernsehen würdigt das Museum der Arbeit in Hamburg mit der Schau «Filmkostüme! Das Unternehmen Theaterkunst».
«Der Mensch drückt sich in seiner Kleidung aus. Daher sind Schnitt, Material und Farbe eines Kostüms wichtige künstlerische Mittel der Filmerzählung», sagt Geschäftsführerin Susanne Franke. Neben weiteren 36 Kostümen sowie Filmausschnitten und Archivmaterial zeigt die Ausstellung bis 24. März einige der dazu nötigen Berufe: Schneiderei, Hutwerkstatt, Rüstkammer und Fundus werden mit Werkzeugen, Materialien und Produkten vorgestellt. Alle Exponate erzählen zugleich von der teilweise dramatischen, zeittypischen Geschichte des Hauses. Gegründet 1907, als die Berliner Theater genauso florierten wie die Mode, hatte der Geschäftsführer Hermann J. Kaufmann die Firma während des Ersten Weltkrieges erworben.
Schon bald nähten, stickten und tischlerten, malten und schusterten rund 300 feste Mitarbeiter sowie nach Bedarf zahlreiche Freie für das seit 1918 «Theaterkunst GmbH» genannte Unternehmen. Es gab Filialen in Kopenhagen, London, New York, Stockholm. Kaufmann, der mit Anzeigenschaltung moderne Werbung betrieb, stattete viele Glitzerrevuen im Admiralspalast und im Großen Schauspielhaus aus. Im Lauf der 20er Jahre verlegte er seinen Schwerpunkt auf die aufblühende Filmindustrie: Langs «Metropolis» (1927) etwa benötigte futuristische Entwürfe. Für die US-Großproduktion «Ben Hur» (1925) wurden fast 8000 antike Kostüme gestaltet - zur Anprobe reisten die Stars per Schiff und Flugzeug an die Spree.
Bei der «Theaterkunst» ließen aber auch Artisten und Privatkunden schneidern. So erwarb Marlene Dietrich für einen Faschingsball ein Kniebundhosen-Ensemble nach dem Vorbild von Gainsboroughs Gemälde «Blue Boy» (um 1770). Schon damals wurden historische Genauigkeit, Stoffqualität und Handwerkskunst der Gewänder gelobt. Zu einer bitteren Zäsur für Kaufmann und sein Unternehmen geriet der Beginn der NS-Zeit: Der 1877 geborene Jude durfte die Firma nicht behalten - 1936 verkaufte er an den Generaldirektor der Deutschen Zündholzfabriken, Adolf Nau, und den schwedischen Zündholzkonzert STAB. Im Handelsregister ließ er den Namen «Theaterkunst» löschen. Kaufmann starb 1942 im Brüsseler Exil an Herzversagen.
Propagandastreifen wie «Jud Süß» (1940) und Unterhaltungsfilme à la «Münchhausen» (1943) standen in den Auftragsbüchern der «kriegswichtigen» Firma. Bomben zerstörten 1943 das Gebäude samt Werkstätten und Fundus, 1945 auch das Ausweichquartier. Nach Kriegsende begann Nau neu, fertigte im Ostsektor der Stadt für die Defa und DDR-Theater - Stoffe, Leder und andere Materialien mussten die Kunden selbst besorgen. Doch dann gingen Geschäftsführer und Mitarbeiter in den Westen: Ihre «Neue Theaterkunst» in West-Berlin und München - später auch in Köln und Hamburg - wurde Teil des Wirtschaftswunders. Leitende Angestellte kauften 1975 die Anteile des Zündholzkonzerns, seit 1976 heißt die Firma wie früher einfach «Theaterkunst».
Edgar-Wallace- und Karl-May-Streifen, Holiday On Ice, Billy Wilders «Eins, Zwei, Drei» (1961) und Fassbinder-Filme bildeten einige der Meilensteine. Immer mehr orderten Fernsehen, Werbe- und Musikbranche - zum Beispiel für «Tatort»-Krimis. Die «Theaterkunst» erwirtschaftete 2005 einen Umsatz von 3,5 Millionen Euro. Preußisch präzise verwalten einige der 60 Mitarbeiter den Fundus aus heute mehr als zehn Millionen Stücken, darunter Toga und Krinoline, Lumpen und Designer-Chic. Auch Schuhe und Handschuhe, Fächer und Schmuck gehören dazu - sowie 200 000 Militär-Teile: «Uniformen sind ein großes Thema», sagt Franke. «Aktuell statten wir, "Valkyrie" mit Tom Cruise und "Der Baader-Meinhof-Komplex" mit Moritz Bleibtreu aus.»