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100 Jahre Billie Holiday 100 Jahre Billie Holiday: Die Frau mit der Gänsehaut-Stimme

Von Andreas Montag 06.04.2015, 18:50
Billie Holiday während ihres Auftritts in der Hamburger Ernst-Merck-Halle im Jahr 1954.
Billie Holiday während ihres Auftritts in der Hamburger Ernst-Merck-Halle im Jahr 1954. dpa Lizenz

Halle (Saale) - Ein Leben wie im Rausch, buchstäblich. An ihrem Bett im Metropolitan Hospital in New York standen Polizeibeamte, die Kranke war unter Arrest, angeklagt wegen eines Drogendelikts - nicht zum ersten Mal. Aber dieses Verfahren hat sie nicht mehr durchstehen müssen. Billie Holiday starb mit gerade 44 Jahren. Herz- und Lungenversagen gab die Zeitung „New York Times“ in ihrem Bericht vom 18. Juli 1959 als Ursache an, vorausgegangen war eine schwere Lebererkrankung.

Elende Verhältnisse

Die Welt, nicht nur die Jazzgemeinde, trauerte um eine Sängerin, die neben Ella Fitzgerald wohl die größte ihres Faches war und unvergessen bleibt. Heute wäre sie 100 Jahre alt geworden. Sie hat sich aus dem Sumpf elendster Verhältnisse buchstäblich nach oben gekämpft - dorthin, wo alles und nichts für eine Afroamerikanerin zu gewinnen war. Des Beifalls in den angesagten Clubs wie in den großen Hallen durfte sich der Jazz-Star gewiss sein. Eher unwahrscheinlich war hingegen, dass Billie Holiday durch die gleiche Tür aus dem Haus gehen würde wie ihre weißen Musikerkollegen.

Auf die Diskriminierung der Schwarzen in ihrer Heimat, den USA, hat sie mit einem Lied reagiert, das die Radiostationen nicht spielen, die Plattenfirmen nicht haben wollten - gesungen hat sie es trotzdem, das konnte ihr niemand verbieten: „Strange Fruit“, ein Stück über die Opfer des Ku-Klux-Klan, eines militanten rassistischen Geheimbundes, der in den Südstaaten zahllose ungesühnte Lynchmorde begangen hat.

Nach ihrem Tod hätten sich 70 Cent auf ihrem Konto befunden, wird berichtet. Andere Quellen nennen gar nur sieben Cent. Als ob dieser Unterschied irgendetwas zu bedeuten hätte - angesichts einer Stimme, die so viel Reichtum schenkt und mehr über die Sängerin verrät als ihre oft widersprüchlichen Selbstzeugnisse.

Aber warum hätte sie nicht auch Freude am Fabulieren haben sollen, warum nicht die Neugierigen in die Winkel ihrer eigenen Fantasien schicken? Billie Holiday war ihren Zeitgenossen nichts schuldig, sie hat gegeben und genommen, am Ende aber draufgezahlt mit ihrem ganzen, wilden Leben.

Dass aus Elinore Harris, die am 7. April 1915 in Philadelphia geboren wurde, eine Berühmtheit werden würde, ist nicht zu erwarten gewesen. Billy Holiday hat sich diesen Namen aus dem des Jazz-Gitarristen Clarence Halliday, genannt Clarence Holiday, gebastelt, der wohl ihr Vater gewesen ist, nicht aber der Mann ihrer Mutter Sarah. Den Vornamen Billie entlehnte Elinore bei der amerikanischen Schauspielerin Billie Dove.

Die sozialen Verhältnisse der Familie Harris würden heute prekär genannt werden, die Mutter arbeitete als Kellnerin, versuchte sich mit einem eigenen Lokal, war aber immer wieder auch als Prostituierte tätig. Billie ist als Elfjährige von einem Nachbarn vergewaltigt worden, wenig später hat sie sich selber Freiern anbieten müssen.

Psychologen werden in diesen Umständen hinreichende Erklärungen für Billie Holidays späteres Verhalten finden: Sie entkam diesem Milieu, das sie doch zutiefst verabscheut haben muss, nicht wirklich. Kaschemmen und Zuhälter, hemmungsloser Suff und exzessiver Drogenkonsum, gewalttätige Beziehungen statt der ersehnten Liebe - so ist das gewesen.

Zu wenige Freunde

Aus Schwermut zu leichtsinnig, dabei zu wenige gute, uneigennützige Freunde wie den Saxofonisten Lester Young - es lässt an Kolportage denken, wie Billie Holiday oft gezeichnet wird. Aber es spricht einiges dafür, dass dieses Bild der Wahrheit nahe kommt.

Man ist versucht, an die britische Sängerin Amy Winehouse zu denken, die sich mit Schnaps und Drogen zugrunde gerichtet hat und im Alter von 27 Jahren starb. Doch eine Ermutigung bleibt immerhin, so pathetisch sie klingt: Das Werk überdauert die Zeiten. Billie Holiday hört man immer noch, mehr als 50 Jahre nach ihrem Tod. Immer noch mit Gänsehaut.

Elizabeth King sowie Martin Reik & das Frank Venske Trio haben Billie Holiday ein Programm gewidmet, das während des halleschen Festivals „Women in Jazz“ am 28. April in der Georgenkirche Halle erstmals aufgeführt wird. (mz)