Wirtschaftskrise Wirtschaftskrise: Gesichter hinter dem Geld
Halle/MZ. - Die Maschine ist ein großer Schrank, der laut dröhnt. Sirrende Lüfter blasen Kühlung auf ihre Prozessoren, die jede Stunde zehn Millionen Euro ein- und wieder ausatmen.
Hier in Tokenhouse Yard in der Londoner City schlägt das Computerherz des Hegdefonds Amplitude Capital. Es pumpt Geld aus dem japanischen Yen ins englische Pfund, aus amerikanischen Aktien in deutsche, aus Soja in Gold oder aus Öl in Weizen. Nirgendwo bleibt das Geld länger als ein paar Minuten, ein paar Stunden, einen Tag. Sobald der Rechner bemerkt, das ein Trend kippt, zieht es weiter.
Mit Erfolg. Während ringsum der größte Börsensturm seit 70 Jahren tobt, macht Amplitude Gewinne. Selbst in den letzten Wochen, als große wie kleine Investoren Milliarden und aber Milliarden verloren, hielt die vollautomatische Geldmaschine ihr Plus.
So hatte sich das Karsten Schröder immer vorgestellt. Damals, als er noch im heimischen Rostock lebte, begann er, ein bisschen an der Börse zu handeln. Ein Cousin, der eine Banklehre machte, hatte ihm von "Puts" und "Calls" erzählt, so genannten Optionsscheinen, mit deren Hilfe man überproportional von Kursbewegungen profitieren kann. Egal, ob die Kurse steigen oder fallen. Schröder hatte keine Strategie, nur ein glückliches Händchen. "Ich habe gefühlsmäßig gehandelt", beschreibt er heute, "ich habe einfach gekauft, wenn ich dachte, es geht hoch, und verkauft, wenn ich dachte, das muss doch runter gehen."
Karsten Schröder ist 18, und er denkt meist richtig. Mit 21 hat er seinen Einsatz vervielfacht. Aber er ist auch um Erfahrungen reicher: "Einmal habe ich gegen den Yen spekuliert", erinnert er sich. Ein paar Minuten nur ist er unter der Dusche, da interveniert die japanische Zentralbank: "Ich war um einen Kleinwagen ärmer."
Als Kind wollte Schröder Pianist oder Mathematiker werden, denn Musik ist seine große Leidenschaft. Allerdings will er auch finanziell unabhängig sein. "Also habe ich lieber Betriebswirtschaft studiert." Schon während des Studiums träumt er von einem Computerprogramm, dass allein entscheidet, wann was gekauft und wieder verkauft wird. "Ich wollte die emotionale Belastung minimieren", sagt der 31-Jährige, "außerdem kostet es so viel Zeit, selbst zu handeln.
Gemeinsam mit seinem Schulfreund Steffen Bendel und dem ebenfalls aus Rostock stammenden Peter Voss, den er beim Bund kennen gelernt hatte, knobelt Karsten Schröder das Programm aus, dessen Kern bis heute im Amplitude-Riesenrechner läuft. Voss ist wie Schröder Hobby-Börsianer, Bendel Computerexperte - das passt. Die drei brauchen zwei Jahre, um die Muster zu finden, die kommende Kursbewegungen ankündigen, und den Rechner mit Daten zu füttern.
Heute analysiert ihre Software fortlaufend 36 Währungen, Rohstoffe und Aktienmärkte auf der Suche nach Anzeichen für bevorstehende Bewegungen nach unten oder oben. Wird sie fündig, kauft oder verkauft sie, sekundenschnell. Die elf Angestellten, die Amplitude beschäftigt, müssen keine Knöpfe drücken, keine Kurse prüfen und keinen Makler anrufen. 24 Stunden rattert der Rechner, lässt er Geld fließen in der Hoffnung, mehr zurück zu bekommen.
Am schwierigsten sei der Start gewesen, beschreibt Karsten Schröder, der für den eigenen Fonds seinen Job bei der Unternehmensberatung McKinsey aufgab. Drei Ostdeutsche mit einem Computer, der auf Gewinne programmiert ist? Das ist nicht die Geschichte, die die Brieftaschen der Großanleger automatisch öffnet. "Wir hatten die Software zwar mit unserem eigenen Geld handeln lassen", erinnert sich Schröder an die Anfangstage von Amplitude, "aber weil man mit hunderttausend Euro erfolgreich ist, gibt einem noch lange niemand ein paar Millionen."
Zwei Jahre ist der Hobbypilot aus Mecklenburg, der jetzt Chief Executive Officer oder kurz "CEO" heißt, auf Werbetour rund um die Welt. Er spricht auf Investorenkonferenzen in Asien und Amerika, er hat mehr als 1 000 Treffen mit den Chefs von großen Finanzhäusern in Zürich, Hongkong, Tokio und New York. Dass Amplitude sich wegen der restriktiven deutschen Hedgefonds-Gesetzgebung für Großbritannien als Sitz entschieden hat, zahlt sich aus. "Hier gehen die Investoren die Straße lang und schauen, wer ein attraktives Anlageangebot im Schaufenster hat."
Amplitude, so benannt nach dem lateinischen Wort für die Schwingungsweite, aber auch "weil ein A am Anfang immer gut ist", punktet mit stabilen Erträgen. Aus den fünf Millionen Euro, mit denen die drei jungen Rostocker anfangen, werden 40, dann 100. Mittlerweile verwalten Schröder, Bendel und Voss 750 Millionen - und hunderte Millionen mehr stehen Schlange. "Aber wir schauen uns inzwischen an, welche Investoren da klingeln", sagt Schröder, "wir wollen langfristig arbeiten und können kein Hot-Money brauchen."
Die unsichere Lage an den Weltbörsen spielt Amplitude in die Hände. "Wir stehen unter hohem Druck, die Erwartungen unserer Anleger zu erfüllen", sagt Schröder, "aber Märkte, die sich bewegen, sind gut für uns." Je größer die Angst, desto größer die Ausschläge - und damit die Chancen, Geld zu verdienen. Über Politiker, die gerade in Deutschland nach mehr Kontrolle und strengeren Regeln rufen, lächelt viel gereiste Finanzprofi nur müde. Ablenkungsmanöver, um nicht vom eigenen Versagen reden zu müssen. In Deutschland gebe es keine Hedgefonds-Branche, in Großbritannien dagegen keine solche Diskussion. "Die Leute hier wissen, je erfolgreicher wir sind, desto sicherer ist ihre Pension."
Gerade weil er selbst schon lange nicht mehr vor den Kurskurven sitzt, hat Karsten Schröder "sehr viel Spaß" an seinem Job. Der Rostocker ist ein gefragter Mann bei den großen Wirtschaftssendern, der nimmermüde Rechner gestattet es ihm auch mal, pünktlich Feierabend oder Urlaub zu machen. "Und die Arbeit zur Verbesserung des Programms ist sehr mathematisch", versucht er eine Erklärung, "also schon nah bei dem, was ich früher werden wollte."
Daheim in Rostock, wo seine Mutter bis heute lebt, ist Karsten Schröder heute nur noch selten. "Zu Geburtstagsfeiern mal", sagt er. Alte Freunde trifft der Hedgefonds-Manager aber auch bei diesen Gelegenheiten selten. Die meisten seiner Mitschüler seien fortgegangen wie er. Und die anderen, ist der Amplitude-CEO sicher, lebten ein ganz anderes Leben mit ganz anderen Nachrichten. "Die wüssten sicherlich nicht viel anzufangen mit dem, was ich mache."