Wirtschaftsforschung Wirtschaftsforschung: Falsches Spiel mit Forschern?
Halle (Saale)/MZ. - "Ich glaubte eigentlich immer an die Freiheit der Wissenschaft. Daran glaube ich heute nicht mehr." Zitat Ulrich Blum. Die Worte sagte der Volkswirtschaftsprofessor an der Uni Halle Anfang des Jahres in einem Interview mit der Sächsischen Zeitung. Blum äußerte sich erstmals öffentlich über seinen "unfreiwilligen Rücktritt" als Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) vor gut einem Jahr. Blums Botschaft: Nicht wegen fehlender wissenschaftliche Leistungen bekam das IWH ein schlechtes Zeugnis ausgestellt und musste er gehen. Er glaubt vielmehr, dass das IWH mittelfristig abgewickelt werden soll. Der angesehene Forscher geht vor allem mit der Leibniz-Gemeinschaft und der Bundesregierung hart ins Gericht. Die MZ fragte daher nach.
Blum übernahm 2004 die Führung des Instituts, das zur Leibniz-Gemeinschaft gehört. In der Regel müssen sich die insgesamt 87 Leibniz-Institute in Deutschland alle sieben Jahre einer externen Begutachtung unterziehen. Diese spricht eine Empfehlung zur weiteren Förderung aus. In Blums Amtszeit wurde dem IWH 2007 nur ein mäßiger Erfolg attestiert und eine weitere Begutachtung bereits im Herbst 2010 festgelegt. Blum straffte daraufhin die Abteilungen und richtete das IWH stärker auf die gewünschte Transformationsforschung für Ostdeutschland sowie Mittel- und Osteuropa aus.
Doch bei der Evaluierung 2010 wurden wieder zahlreiche Mängel in der wissenschaftlichen Arbeit aufgelistet. Da reichte es dem Senat der Leibniz-Gemeinschaft offenbar: Er empfahl, dass das IWH wissenschaftlich grundlegend reformiert wird, um seine Leistungsfähigkeit deutlich zu steigern. Dafür müssten "konzeptionell und personell" die Grundlagen geschaffen werden. Gefordert wurde der Stuhl des Präsidenten Ulrich Blum. Welche Rolle spielten die Beteiligten?
Landesregierung: Anfang September 2011 trafen sich Sachsen-Anhalts Wirtschaftsministerin Birgitta Wolff (CDU) und Blum zum Vier-Augen-Gespräch auf dem Flughafen Leipzig / Halle. Wolff machte deutlich, dass sie seinen Rücktritt erwarte. Wenig später gab Blum diesen bekannt. Auf MZ-Anfrage bestätigt das Magdeburger Wirtschaftsministerium dies: Das Ministerium habe die Auffassung des Senats, dass das IWH erhebliche Defizite aufwies, geteilt. "Deshalb hat das Land, im Einvernehmen mit dem Bund, Prof. Blum den Rücktritt nahegelegt."
Heute spricht Blum von erheblichem Druck: Entweder er ginge oder dem IWH werde der Geldhahn zugedreht. Das wollte er verhindern. Der Wirtschaftsforscher war dennoch tief enttäuscht. Denn Anfang 2010 hatte er die Chance, Rektor der Handelshochschule Leipzig zu werden. Auf Bitten der Landesregierung blieb er in Halle. Dies bestätigt das Ministerium: "Das damalige Ministerium für Wirtschaft und Arbeit hat sich vor der 2010 erfolgten Evaluierung im Einvernehmen mit dem zuständigen Bundeswirtschaftsministerim dafür ausgesprochen, Prof. Blum als Präsidenten am IWH zu halten." Damals hieß Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister noch Reiner Haseloff (CDU) - heute ist er Ministerpräsident.
Doch veränderte Umstände erfordern veränderte Entscheidungen. Wolff konnte sich nach Einschätzung vieler Beobachter schlecht über die Ergebnisse der Prüfer und den Vorschlägen der Leibniz-Gemeinschaft hinwegsetzen. Sie hatte den Erhalt des IWH im Blick.
Leibniz-Gemeinschaft: Von fehlender wissenschaftliche Güte will Blum nichts wissen. Er verweist auf einen Vergleich der Publikationen der deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute. "Als kleinstes der sechs großen deutschen Institute schnitt das IWH noch 2011 mit 0,6 Veröffentlichungen in referierten Fachzeitschriften je Wissenschaftler sehr respektabel ab." (siehe: "Die Institute") Erst heute, so Blum, werde ihm klar, warum das IWH bei der Begutachtung so schlecht abgeschnitten habe. "Maßgebliche Gutachter haben Eigeninteressen verfolgt. In Regensburg sollte ein Institut mit fachlichem Schwerpunkt identisch einer unserer Abteilungen neu für die Leibniz-Gemeinschaft aufgebaut werden. Zwei, die genau dies vorangetrieben haben, waren zugleich bei uns Gutachter", sagte Blum der SZ. Dies sei ein klassischer Fall von Befangenheit.
Der Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, Karl Ulrich Mayer, hält die Vorwürfe für unhaltbar. Gegenüber der MZ sagte Mayer: Die Bewertungsgruppe habe aus renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem In- und Ausland bestanden. "Deren kritische Einschätzungen zu den Leistungen teilt der Senat." Mayer erläutert zudem, dass das IWH im Vorfeld der Prüfung gebeten wurde, ob aus Institutssicht vorgesehene Sachverständige den Anschein einer Befangenheit haben. "Das IWH hat im vergangenen Verfahrensgang bei zwei Personen entsprechende Bedenken angemeldet. Diese beiden Personen wurden daraufhin nicht am Verfahren beteiligt und wurden durch andere Sachverständige ersetzt", so Mayer. Das IWH habe der dann endgültigen Auswahl von Gutachtern "ausdrücklich und schriftlich zugestimmt". Mayer drückt seinen Unmut über Blum diplomatisch aber klar aus: "Ich kann nachvollziehen, dass Herr Blum von der Kritik an seiner Arbeit betroffen war, bedauere aber seine Reaktion darauf." Blum: "Es ist nicht meine Aufgabe gewesen, die Befangenheit von Gutachtern im Vorfeld auszuspionieren"
Bundesregierung: Noch härter geht Blum mit dem Bund ins Gericht, der das IWH zusammen mit dem Land Sachsen-Anhalt finanziert. Er spricht von einer im Bundeskanzleramt "ungeliebten Ost-Forschung". So hätten einzelne Bundesministerien bei der Studie über 20 Jahre deutsche Einheit, bei dem das IWH federführend war, versucht "massiv Einfluss zu nehmen". Das habe man verweigert. In dem Gutachten ist unter anderem von einem nicht erreichbaren Aufholprozess der Ost-Wirtschaft auf das westdeutsche Niveau die Rede und von dauerhaft problematischen Siedlungsstrukturen. "Es blieb zunächst unter Verschluss. Auf Anweisung der Bundesregierung." Blum befürchtet, dass das IWH mittelfristig abgewickelt werden könnte. "Schließlich hatte wohl keiner damit gerechnet, dass wir die ständigen, dem Institut aufgezwungenen Profiländerungen erfolgreich durchstehen. Wir waren wohl zu gut - da musste der Vorstand weg."
Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium und Ost-Beauftragte, Christoph Bergner (CDU), findet diese Aussagen befremdlich: "Das Innenministerium hat ein großes Interesse an der Expertise des IWH und schätzt diese auch", sagte Bergner der MZ. Das Institut müsse sich aber der wissenschaftlichen Begutachtung stellen. Diese habe zu der schwierigen Situation geführt. "Es gibt nicht die Absicht, das IWH abzuwickeln." Bergner sagte, er werde einen Prüfauftrag an das Bundeskanzleramt und das Bundeswirtschaftsministerium geben, der dies bestätigen soll. Der CDU-Politiker weist zurück, "dass hier ein unbequemer Geist beseitigt werden soll". Der Hallenser Bergner, der auch Mitglied des Trägervereins des IWH ist, kann Blums Angriffe nicht nachvollziehen.
IWH: Auch am Institut stoßen Blums Aussagen vielfach auf Unverständnis. Zwar werde seine wissenschaftliche Leistung von fast allen gewürdigt. Allerdings wird eingeräumt, dass die Forschung zu wenig strukturiert und fokussiert gewesen ist.
Was treibt Blum also? Dem Wirtschaftsprofessor geht es nach eigenen Aussagen um die Zukunft des IWH. Viele gute Leute seien ganz schnell gegangen. Nach MZ-Informationen werden von den zehn veröffentlichungsstärksten Mitarbeitern bis Ende März 2013 sieben das Institut verlassen haben. In der Medienpräsenz soll das Institut rapide abgefallen sein. Nach Blums Einschätzung könnten sich die Instituts-Gegner freuen.
Nach Ansicht des Magdeburger Wirtschaftsministeriums hält sich die Mitarbeiter--Fluktuation allerdings "im Rahmen des im Wissenschaftsbetrieb Üblichen". Derzeit läuft das Berufungsverfahren, um die Spitze neu zu besetzen. Als Favoritin gilt die Wirtschaftsforscherin Claudia Buch. Sie gilt als ausgewiesene Finanzmarkt-Expertin - ist aber keine Transformationsforscherin. Viele hoffen dennoch, dass sie nach Halle kommt. Ein leichtes Erbe tritt sie nicht an.