1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Wirtschaft
  6. >
  7. Zu teuer: Zahnspangen: Rechnungshof zweifelt am Sinn vieler kieferorthopädischer Behandlungen

Zu teuer Zahnspangen: Rechnungshof zweifelt am Sinn vieler kieferorthopädischer Behandlungen

Von Daniela Vates 24.04.2018, 21:20
In Deutschland werden zu viele kieferorthopädische Behandlungen durchgeführt. (Symbolbild)
In Deutschland werden zu viele kieferorthopädische Behandlungen durchgeführt. (Symbolbild) Charite

Berlin - Fast jedes zweite Kind in Deutschland ist in kieferorthopädischer Behandlung, trägt also eine Zahnspange. Die gesetzlichen Krankenkassen geben dafür sehr viel Geld aus, mehr als eine Milliarde Euro im Jahr. Ob es aber in jedem Fall sinnvoll ist, Fehlstellungen der Zähne zu korrigieren, ist umstritten, zumal viele Zahnärzte auch zusätzliche Leistungen empfehlen, die die Patienten dann privat bezahlen müssen.

Auch der Bundesrechnungshof hat erhebliche Zweifel, ob diese Behandlungen immer notwendig sind. In einer Ergänzung zu seinem Jahresbericht für 2017 übt er scharfe Kritik an den teuren Behandlungen, zumal sie im Schnitt zwei bis vier Jahre lang dauern. „Nach dem Willen des Gesetzgebers müssen Krankenkassen ihre Leistungen in ausreichendem, zweckmäßigen und wirtschaftlichem Maße erbringen“, heißt es dort. „Ob Krankenkassen dies erfüllen, erscheint vor allem angesichts einer fehlenden Versorgungsforschung fraglich.“

Kaum Einblicke

Unter welchen Umständen die Krankenkasse die Behandlung übernimmt, ist in den sogenannten kieferorthopädischen Indikationsgruppen (KIG) aus dem Jahr 2002 geregelt. Darin werden fünf verschiedene Stufen unterschieden, sie reichen von einer leicht ausgeprägten Fehlstellung (Grad 1) bis hin zu einer extrem ausgeprägten (Grad 5). Erst ab Stufe drei sind die Kassen verpflichtet, die Kosten zu übernehmen.

Die Rechnungsprüfer stellen allerdings fest, dass sowohl das Gesundheitsministerium als auch die Krankenkassen kaum Einblick hatten, welche konkreten Leistungen die Patienten erhielten. Bedenklich sei zudem, dass nicht bekannt sei, welche Selbstzahlerleistungen die Versicherten in Anspruch nähmen.

Präsident des Bundesrechnungshofs mahnt

Der Präsident des Bundesrechnungshofs, Kay Scheller, mahnt deshalb an, dass auch bei kieferorthopädischen Behandlungen der Nutzen wissenschaftlich bestätigt sein müsse. Im Sinne der Patienten sei zu klären, welche Leistungen zu Behandlungserfolgen führten. „Ohne Versorgungsforschung haben Bundesgesundheitsministerium und Krankenkassen hier derzeit ein Erkenntnisproblem.“ Das Ministerium habe aber frühere Hinweise in dieser Richtung nicht aufgenommen.

Das Gesundheitsministerium, das neuerdings von dem CDU-Politiker Jens Spahn geleitet wird, wies die Kritik am Dienstag zurück. Die Einführung der Indikationsgruppen im Jahr 2002 „erhebliche Auswirkungen“ sowohl auf die Zahl der Leistungsfälle als auch auf die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung gehabt, teilte das Ministerium auf Anfrage dieser Zeitung mit. Zudem gewährleiste dieses System eine „zuverlässige und an objektiven Kriterien ausgerichtete Entscheidung“ darüber, ob jemand Anspruch auf die Behandlung habe. „Die Zahl der Abrechnungsfälle hat sich gegenüber den letzten Jahren vor der Umstellung mehr als halbiert. Die Ausgaben der Krankenkassen für kieferorthopädische Behandlungen lagen auch im Jahr 2015 noch unterhalb der Ausgaben in den Jahren vor Einführung des KIG-Systems.“

Georg Nüßlein fordert Zweitmeinungspflicht 

Der Vize-Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Georg Nüßlein (CSU), fordert dagegen, für die Verordnung von Zahnspangen eine Zweitmeinungspflicht einzuführen. „Wir müssen darüber nachdenken, ob wir eine Zweitmeinung bei Indikation und Endabnahme installieren“, sagte er dieser Zeitung. Es gebe Fälle, in denen eine kiefernorthopädische Behandlung aus kosmetischen Gründen durchgeführt werde, aber medizinisch katastrophale Folgen habe. „Es nützt nichts, wenn die vorderen Zähne schön sind, und die hinteren nicht mehr richtig aufeinander beißen“, so Nüßlein. Sichergestellt werden müsse, dass die Empfehlung für eine Zahnspange von einem unabhängigen zweiten Arzt auf ihre Erforderlichkeit und medizinischen Folgen geprüft werde. „Es ist gut, dass der Rechnungshof auf dieses Thema schaut.“

Auch der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) verwies darauf, dass die Indikationsgruppen ihren Zweck erfüllt hätten. Die Zahl der abgerechneten Fälle und auch die Gesamtkosten seien stark gesunken, sagte eine Sprecherin dieser Zeitung. Gleichzeitig seien aber die Kosten pro Fall stark gestiegen. Der GKV hält deshalb die Forderung des Bundesrechnungshofs nach einer wissenschaftlichen Untersuchung für richtig. Je nach Ergebnis müssten die Richtlinien für die Behandlung angepasst werden.