Würstchen-Hersteller Würstchen-Hersteller: Schlechte Stimmung bei Halberstädter

Halberstadt/MZ - Wenn man im Büro von Ingeburg Bollmann sitzt, merkt man, wie der Tisch vibriert. Es ist, als würde ein ganz leichter Reizstrom durch die Hände fließen, wenn sie auf der Tischplatte liegen. Solange diese Schwingungen zu spüren sind, ist die Welt von Ingeburg Bollmann noch einigermaßen in Ordnung. Sie ist Betriebsratsvorsitzende der Halko GmbH, und die Vibrationen in der Tischplatte entstehen durch ein großes Kühlaggregat in der Halberstädter Würstchenfabrik. Solange es läuft, werden Würstchen produziert, solange schlägt das Herz des 130 Jahre alten Traditionsunternehmens noch.
Doch die Situation ist ernst und die Stimmung schlecht. Nach Angaben von Manfred Tessmann, Geschäftsführer der zuständigen Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG), sollen 21 der 106 Beschäftigten der Halko GmbH - jenes Betriebszweigs, der die berühmten Bockwürstchen produziert - entlassen werden. Das ist mehr, als zunächst gemeldet - jeder fünfte. „Die Mitarbeiter sind aufgebracht“, sagt Bollmann. „Für die Kollegen ist das schlimm. Die Stimmung ist ganz schlecht.“
Die Halko-Mitarbeiter - darunter viele Frauen - sind oft seit Jahrzehnten in der Würstchenproduktion beschäftigt. Bollmann etwa ist gelernte Lebensmittelfachverkäuferin, die sich zur Fleischerin umschulen ließ. Vor 39 Jahren ist sie bei Halko eingestiegen. Ihre Biografie ähnelt der der anderen Mitarbeiter. „Die meisten haben zu DDR-Zeiten Fleischer gelernt“, sagt sie. „Eine Frau, die sich Brühwurstspritzerin nennt, wird heute nirgendwo einen neuen Job finden.“ Denen, die nun gehen müssen, fehle eine berufliche Perspektive.
Wer aber ist schuld an den Entlassungen? „Der Preis“, sagt die Betriebsratschefin. „Der Handel sagt, wir sind zu teuer.“ Sie kann dazu eine kleine Anekdote erzählen. Als sie mit ihrem Enkelsohn in Buxtehude in einen Supermarkt ging, da sagte der Kleine plötzlich: „Hier stehen eure Würstchen, aber guck mal, wie teuer die sind.“ Tatsächlich steht die Ware aus Halberstadt beim Preis an der Spitze deutscher Markenprodukte. „Qualität hat ihren Preis, das ist keine Binsenweisheit“, sagt Silke Erdmann-Nitsch, die Geschäftsführerin der Vertriebssparte von Halberstädter. „Der Kaminrauch ist der Schatz unserer Marke Halberstädter. Das schmeckt man. Mit Industrierauch geht es billiger, mit Gastarbeitern für drei Euro die Stunde, die in Wohnhöhlen hausen, auch.“
Auch Halberstädter hat eine billige Produktlinie, die etwa beim Discounter Aldi angeboten wird. „Den Unterschied merkt man“, sagt Bollmann. Die preisgünstigen Würstchen würden mit Industrierauch geräuchert, während das Original in den Buchenholz-Rauch komme.
Ob da eine testosterontriefende Marketingkampagne der Traditionsmarke auf die Sprünge helfen kann? „Alles was Mann gern ist“, lautet der Werbespruch, der auch auf Bollmanns blauem Polohemd zu lesen ist. Sind Bockwürste ein Männerding? Das Unternehmen erklärt sich auf seiner Website so: „Mit unserer ,männeraffinen‘, humorvollen und teilweise bewusst polarisierenden Darstellung machen wir den Männern hier zu Lande wieder Lust aufs Leben ohne schlechtes Gewissen. Werte wie Selbstbewusstsein, Humor, Bodenständigkeit und die Freude am kräftigen Geschmack stehen im Fokus unserer Markenkommunikation.“ Erdmann-Nitsch verteidigt die Kampagne: „Unsere Produkte sind kräftig im Geschmack - das mögen Männer.“ Und schließlich müsse „Werbung auch mal provozieren“. Mittlerweile ist der Vertrag mit Markenbotschafter Konny Reimann ohnehin ausgelaufen, und der neue Werbespruch lautet: „Qualität seit 130 Jahren“.
Über die Marketing-Aktivitäten ihres Unternehmens will Bollmann nicht urteilen. „Erwiesen ist aber, dass die Konserve rückläufig ist“, sagt die Betriebsratschefin. Das versucht das Unternehmen durch andere, neue Produkte auszugleichen - Gulasch-Suppe, Erbsenseintopf, aber auch fertige Rinderrouladen oder Königsberger Klopse.
Bislang konnte Halberstädter so immer die in einem Haustarifvertrag festgelegten Löhne zahlen. Doch nun hat die Handelskette Kaufland 27 von 37 Halberstädter Produkten aus den Regalen genommen - und das traf das Traditionsunternehmen empfindlich. Der Versuch, das Ganze im Juni über Kurzarbeit aufzufangen, misslang. Die Arbeitsagentur lehnte eine Zahlung ab. Sprecher Daniel König will aus Datenschutzgründen nicht im Detail auf die Probleme des Halberstädter Unternehmens eingehen. Nur so viel: „Wenn Absatzprobleme regelmäßig wiederkehren und durch Urlaub abgefangen werden können“, dürfe kein Kurzarbeitergeld gezahlt werden. Und so hat Halko die Mitarbeiter ab dem 22. Juli für drei Wochen in die Betriebsferien geschickt.
Auch das konnte die Kündigungen nicht abwenden. „Nun müssen wir unseren Personalbestand verschlanken“, verkündete Erdmann-Nitsch am 30. August in der MZ. Derzeit wird über einen Sozialplan verhandelt. „Wir befinden uns in Gesprächen mit dem Betriebsrat, mehr will ich dazu jetzt nicht sagen“, so Erdmann-Nitsch. In einem MZ-Interview vor einer Woche beschrieb sie die Situation so: „Die Lage ist ernst, aber bei uns sind die Betriebstore nicht dicht.“
Warum hat Kaufland überhaupt die Halberstädter Waren aus dem Angebot genommen? Ein Gerücht macht die Runde in Halberstadt: Die Unternehmen seien sich in die Haare geraten, weil Kaufland für „Halberstädter Würstchen“ in einem Prospekt geworben habe, die gar keine seien. Die Auslistung sei jetzt die Retourkutsche dafür, dass Halberstädter sofort gegen die falschen Würstchen vorgegangen sei. „Anfang letzten Jahres gab es unsererseits einen Fehler bezüglich der Bewerbung eines Artikels“, bestätigt die Kaufland-Pressestelle. „Dieser wurde damals unmittelbar und direkt mit der Firma Halberstädter geklärt.“ Erdmann-Nitsch sieht das genauso: „Wir hatten keinen Streit mit Kaufland, der zu einer Auslistung geführt hat.“
Die Handelskette Kaufland nennt andere Gründe für die Auslistung. „Die Sortimentsgestaltung ist ein dynamischer Prozess, hierbei kommt es - aufgrund veränderten Nachfrageverhaltens der Verbraucher sowie neuer Angebote seitens der Lieferanten - immer wieder zu Veränderungen im Sortiment“, so die Handelskette. Und außerdem: Es seien davon andere Halberstädter Produkte betroffen - die berühmten Würstchen sind nach wie vor bei Kaufland im Sortiment.