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Wissenschaftler ergründen Kaufsucht Wissenschaftler ergründen Kaufsucht: Gefährliches Shoppen

Von Stephan Kaufmann 21.10.2015, 10:27

Frust-Käufe kennt fast jeder. Ein Einkaufsbummel vertreibt Büro-Stress, kompensiert Liebeskummer und füllt die innere Leere. Shoppen hilft, manchmal. Einige Menschen jedoch brauchen es immerzu. Sie müssen kaufen wie andere atmen. „Kaufzwang“ oder „Kaufsucht“ heißt das Phänomen, von dem niemand genau weiß, was seine Ursachen sind und wie viele Personen darunter leiden. Die Universität Bergen hat nun eine Skala entwickelt, mit der sich jeder auf eine „Shopping disorder“, auf gestörtes Kaufverhalten testen kann.

Die Universität Bergen in Norwegen hat in einer großangelegten Studie die Ursachen von Kaufsucht zu ermitteln versucht.

Für die Studie wurden 23.500 Menschen nach ihrem Kaufverhalten und ihren Motiven befragt.

Die wichtigsten Ergebnisse der norwegischen Untersuchung: Kaufsüchtige sind eher weiblich und jung.

Extrovertierte, ängstliche und depressive Menschen sind stärker in Gefahr, der Kaufsucht zu erliegen.

Die Bergen-Skala für Kaufsucht sei die erste ihrer Art, sagen die Forscher. Mit ihr kann jeder für sich testen, ob Kaufzwang schon vorliegt oder droht.

Bereits vor 100 Jahren schrieb der Psychiater Emil Kräpelin über die Kaufsüchtigen, „eine merkwürdige kleine Gruppe von Entarteten, die sich den Kleptomanen vielleicht anschließen lässt“. Er erfand den Begriff Oniomanie – von altgriechisch onios, käuflich – und sah in ihr eine Form des „impulsiven Irreseins“, genauso wie „Brandstiftungstrieb, Mordtrieb, Giftmischer, anonyme Briefeschreiber und Stehltrieb“.

Symptome sind bekannt

Obwohl die Wissenschaft sich seit Langem mit dem Phänomen beschäftigt, bleibt Kaufsucht für sie ein Rätsel. Bekannt sind die Symptome: Betroffene überbrücken per Shopping nicht nur kurzfristigen Ärger, sondern brauchen diese Kompensation dauerhaft. Frauen spezialisieren sich eher auf Kleidung, Schuhe, Schmuck und Lebensmittel, Männer dagegen auf Technik und Mode. Nicht der Besitz oder die Nutzung der gekauften Güter zählt für sie, stattdessen ist es der Kaufakt selbst, der Befriedigung verschafft – allerdings mit der Zeit immer weniger.

Daher muss immer mehr, immer häufiger und teurer eingekauft werden, ansonsten drohen Entzugserscheinungen. Der Kaufdruck entsteht episodisch und wird als übermächtiger Drang erlebt. Am Ende stehen Schuldgefühle, im Extremfall Überschuldung und Depression.

Oniomanie gilt in der internationalen Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation nicht als eigenständige Suchtkrankheit. Sie gehört zu den nicht-stoffgebundenen Abhängigkeiten und gilt wahlweise als Zwangsstörung oder Impulskontrollstörung. Kaufsucht, so fand die Uni Hohenheim heraus, „ist eine eher unauffällige Sucht, sie ist für den Außenstehenden nur schwer erkennbar“. Ein Grund dafür sei, dass – im Gegensatz zu anderen Süchten – Kaufen kein normabweichendes Verhalten und „grundsätzlich gesellschaftlich erwünscht“ sei. Kaufsucht ähnelt daher der Arbeitssucht.

Zahlen fehlen

Niemand weiß, wie viele Menschen darunter leiden. Laut einer älteren Studie der Uni Hohenheim sind fünf Prozent aller Deutschen betroffen, ein Viertel gilt als gefährdet. Doch die Zahlen sind Spekulation, denn die Dunkelziffern sind groß und die Grenzen fließend: Wo hört „normales“ Shoppen auf, wo beginnt die Sucht? Was ist ein verzeihlicher Frustkauf, was ein Abhängigkeits-Symptom? „Die Forschung wird dadurch behindert, dass es keine allgemein anerkannte Definition oder Messmethode für problematisches Kaufverhalten gibt“, so Cecilie Schou Andreassen von der Universität Bergen in Norwegen. So schwankten die Schätzung der Betroffenenzahlen zwischen einem und 20 Prozent der Bevölkerung.

Andreassen hat sich nun dem Problem gewidmet – auch weil sie neue Gefahren für Kaufsüchtige sieht: „Moderne Technologien wie der Online-Handel machen Shopping sehr einfach und bequem. Zusammen mit soziokulturellen Faktoren wie Sozialen Medien, Kreditkarten und neuen Marketing-Techniken kann dies überzogenes Kaufverhalten fördern.“