Wirtschaftsförderung in Sachsen-Anhalt Wirtschaftsförderung in Sachsen-Anhalt: IBG soll Briefkastenfirmen gefördert haben

Halle/Magdeburg/MZ - „Es kann nicht reichen, dass jemand hier einen Briefkasten hinhängt. Wenn dies geschehen ist, könnte das sogar Subventionsbetrug sein“, sagte Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Hartmut Möllring (CDU) einem Reporterteam des Fernsehsenders MDR. Dieses klopfte vergangene Woche bei mehreren Unternehmen in Sachsen-Anhalt an, die von der landeseigenen Beteiligungsgesellschaft IBG gefördert wurden. Das Problem: niemand öffnete. Beispiel Eucodis. Die Biotech-Firma mit Sitz in Wien hat von der IBG 1,72 Millionen Euro erhalten, unterhält derzeit aber nur ein Büro in Halle, das seit Monaten nicht besetzt sein soll. Beispiel 20/10 Perfect Vision. Die Heidelberger Firma erhielt vier Millionen Euro, ist in Sachsen-Anhalt aber nicht aufzufinden. Beispiel Fast Forward. Das Münchner Software-Unternehmen bekam eine Million Euro und unterhält nur ein kleines Büro im Multimediazentrum in Halle – immerhin mit zwei Mitarbeitern.
Innovative Unternehmen sollen gefördert werden
Der Risikokapitalfonds IBG soll junge, innovative Unternehmen fördern. Eine Auflage ist dabei, dass diese zumindest eine Betriebsstätte in Mitteldeutschland unterhalten. Der Vorwurf der im Raum steht: Die IBG hat unrechtmäßig Firmen aus Österreich, Baden-Württemberg und Bayern gefördert, die hier nur Briefkastenfirmen unterhalten. Der landeseigene Beteiligungsfonds steht in der Kritik. Schon wieder.
Erst im Juli kündigte IBG-Verwalter Dinnies Johannes von der Osten an, von seinem Posten zurückzutreten, nachdem bekanntwurde, dass er verdeckte Aktiengeschäfte auf eigene Rechnung mit der Solarfirma Q-Cells gemacht hatte. Auch die IBG war einst an Q-Cells beteiligt. Im August rückten die Beteiligungen der IBG an der Schlossgruppe Neugattersleben des ehemaligen SPD-Spitzenpolitikers Klaas Hübner in den Fokus. Seit 2001 beteiligte sich die IBG mit 40 Millionen Euro an insgesamt 14 Firmen der Schlossgruppe, obwohl viele von denen weder besonders jung noch innovativ waren.
Wirtschaftsminister Möllring, der zugleich Aufsichtsratschef der IBG ist, sagte in einer ersten Reaktion:„Die Summen, mit denen die IBG an den Firmen von Herrn Hübner beteiligt ist, sind außergewöhnlich hoch. Zumal die Firmen aus Branchen kommen, die eigentlich nicht im Fokus der IBG stehen.“ Das Ministerium erstellte anschließend einen 23-seitigen Bericht mit dem Ergebnis: Alles verlief doch regelkonform.
Weiteres Wachstum in Halle geplant
Ähnliches könnte nun auch bei den angeblichen Briefkasten-Firmen geschehen. Auf MZ-Anfrage teilte Fast-Forward-Vorstand Christoph Ewers mit: Das Unternehmen, welches an der Fernauslesung von Stromzählern arbeitet, habe fast „unverzüglich nach Abschluss des Beteiligungsvertrages“ den Hauptsitz nach Halle verlegt. Neben den zwei Mitarbeitern in der Saalestadt würden vier Vollzeitmitarbeiter in München arbeiten. Weiteres Wachstum sei in Halle geplant. Von der Osten bestätigt der MZ, dass Eucodis nicht mehr in Sachsen-Anhalt tätig ist. „Das Unternehmen war in Leuna aktiv, doch leider scheiterte das Vorhaben“, so von der Osten. Dies sei bedauerlich, habe aber nichts mit einer Briefkastenfirma zu tun. „Wir haben immer darauf geachtet, dass unsere Gelder auch in Betriebsstätten in Sachsen-Anhalt oder angrenzenden Ländern eingesetzt werden“, so von der Osten.
Also alles nur ein Sturm im Wasserglas? Diese Frage müssten eigentlich das Wirtschaftsministerium als Kontrollbehörde und das Finanzministerium als Gesellschafter der IBG schnell beantworten können. Doch spätestens seit 2007, als die private Gesellschaft Goodvent mit von der Osten an der Spitze die Verwaltung der IBG-Fonds übernahm, schauten die Ministerien offenbar nicht mehr so genau hin. Mehr noch: Wie ein Insider der MZ berichtete, wurden Millionenbeträge von EU-Fördermitteln in die IBG gepumpt, damit sie nicht verfallen.
Nach einem Bericht des Finanzministeriums erhielt die IBG von 1996 bis 2013 etwa 238 Millionen Euro vom Land Sachsen-Anhalt. Doch nur knapp 61 Millionen Euro stammen davon aus dem Landeshaushalt, 177,3 Millionen Euro sind sogenannte Efre-Mittel der EU. Seit 2004 fließen nur noch EU-Mittel, in der Spitze waren es knapp 49 Millionen Euro im Jahr 2008. „Die IBG schwamm auf einmal im Geld“, so ein Insider. Doch auch der IBG fehlten lukrative Anlagemöglichkeiten. Dabei soll nicht mehr so genau hingeschaut worden sein.
Nach Angaben des Finanzministeriums ist die IBG im Juli 2013 an 68 Unternehmen beteiligt gewesen, 894 Arbeitsplätze sind durch die Investments entstanden und mehr als 1 000 gesichert worden. Hauptaufgabe der IBG ist allerdings nicht die Schaffung von Arbeitsplätzen, sondern das eingesetzte Kapital zu vermehren und damit junge Technologie-Firmen zu unterstützen. Im Bericht des Finanzministeriums heißt es dazu: „Ziel ist die Schaffung eines revolvierenden Risikokapitalfonds zur langfristigen Entlastung des Haushaltes des Landes und zum Ausbau eines Vermögens, dass über die Förderperiode hinaus zum Zwecke der Wirtschaftsförderung zur Verfügung stehen wird. Dieses Ziel konnte bisher nicht vollständig erreicht werden.“
Mit Risikokapital Verlust gemacht
Bisher wurde das Ziel sogar deutlich verfehlt. Die IBG hat seit 2002 unter dem Strich jedes Jahr mit Risikokapital Verlust gemacht. Mal mehr, mal weniger. 2007 stand ein Jahresfehlbetrag von gut 1,9 Millionen Euro zu Buche, 2010 waren es 16,4 Millionen. Insgesamt summierten sich die Fehlbeträge vor allem durch Abschreibungen etwa auf insolvente Firmen laut Finanzministerium von 2002 bis einschließlich 2012 auf 75,4 Millionen Euro. Ohne neue EU-Mittel würde das Eigenkapital der IBG deutlich abschmelzen. Möglich ist, dass die Millionen Euro in den 68 Beteiligungen gut angelegt sind und in Zukunft die Gewinne sprudeln. Bisher ist dies aber nicht der Fall.
Das Wirtschaftsministerium will nun noch einmal genau prüfen, ob vielleicht unrechtmäßig Firmen in Österreich und Bayern gefördert wurden. Doch stellt sich damit auch die Frage, ob Wirtschafts- und Finanzministerium in den vergangenen Jahren ihrer Aufsichtspflicht genügend nachgekommen sind. Dass Minister Möllring, der erst seit April im Amt ist, grobe Verfehlungen bei der IBG für möglich hält, spricht nicht dafür.