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Whatsapp-Alternative Whatsapp-Alternative: Enigma für die Hosentasche aus dem Saalekreis

Von Steffen Könau 06.05.2014, 18:09
André Gimbut hat das Messenger-Programm Chiffry entwickelt - mit besonders hohem Sicherheitsstandard
André Gimbut hat das Messenger-Programm Chiffry entwickelt - mit besonders hohem Sicherheitsstandard Günter Bauer Lizenz

Holleben/MZ - Bei dieser Zahl muss André Gimbut schmunzeln. 19 Milliarden Dollar! Eine astronomische Summe, die Facebook-Gründer Mark Zuckerberg für den Messengerdienst Whatsapp bezahlt hat, mit dem sich Smartphone-Nutzer kostenlos Nachrichten zuschicken können. Rund eine halbe Milliarde Menschen tut das inzwischen. Noch eine Zahl, bei der André Gimbut den Kopf schüttelt. „Wenn die Leute wüssten, was sie da tun, würden sich das viele sicher noch mal überlegen.“

Gimbut, 23 Jahre alt, schmal im Gesicht und beim Lachen mit strahlenden Augen, sitzt im Büro seiner Firma Digittrade im Dörfchen Holleben, vier Kilometer von Halle entfernt. Hier, im zweiten Stock des einstigen Verwaltungsgebäudes der LPG hat der studierte Informatiker in den letzten anderthalb Jahren eine Alternative zu Whatsapp, Threema und Telegram entwickelt. Die nämlich, hat der Hallenser nach eingehender Untersuchung der Programme festgestellt, sind allesamt unsicher - die einen mehr, die anderen weniger.

„Aber private Daten sollte man keinem von ihnen anvertrauen.“ Jede übermittelte Nachricht lande auf den Servern des Anbieters. „Und dort bleibt sie auch, und das für immer und ewig“, erklärt Leonid Gimbut, Firmenchef von Digittrade und Vater von Chefentwickler André. Zwar versuchten Whatsapp-Konkurrenten wie Telegram, Line oder das schweizerische Threema, im Wettbewerb vor allem bei der Sicherheit durch Verschlüsselung zu punkten. „Doch wenn man sich das genau anschaut, sind das am Ende alles Messenger, über die nur eine ganz dünne Sicherheitsschicht gezogen wurde.“

André Gimbut wollte etwas anderes. Der junge Mann, der in Halle und Bochum Informatik mit den Schwerpunkten Kryptografie und IT-Sicherheit studiert, hatte vor einem Jahr die Idee, das Prinzip der verschlüsselten Digittrade-Festplatten auf die Nachrichtenübermittlung anzuwenden. Von NSA-Überwachung und Datenspeicherwahn war noch nichts zu ahnen. Aber als Computerprofi glaubte Gimbut, dass der Bedarf nach sicherer Kommunikation steigen wird. „Außerdem dachten wir am Anfang, dass wir in drei Monaten eine erste Lösung zusammengebaut haben können.“

15 Mitarbeiter schreiben Code

„Sehr naiv“ nennt der Hallenser das heute. Unterwegs stellte sich heraus, dass eine wirklich sichere Lösung nicht auf der Basis vorhandener sogenannter Code-Bibliotheken errichtet werden kann. „Wir wollten ja ausschließen, dass dort irgendwer eine Hintertür einbauen kann“, sagt Leonid Gimbut. Also wurde jede Zeile Code von den 15 Mitarbeitern geschrieben, unter größter Geheimhaltung. „Es wussten auch in der Firma nicht alle, woran wir eigentlich arbeiten.“ Herausgekommen ist Chiffry, eine Art Whatsapp für Menschen, die es nicht mögen, wenn alle Welt ihre Briefe und SMS mitliest oder sich private Fotos oder Videos anschaut. Für den Nutzer funktioniert die App, die es zum Start für das Betriebssystem Android gibt, genau wie das amerikanische Vorbild: Es gibt eine übersichtliche Bedienungsoberfläche, über die sich nicht nur Kurznachrichten, Bilder und Videos verschicken oder Gruppenchats veranstalten lassen, sondern über die auch telefoniert werden kann. Doch unter dem schicken gelben Lack steckt nicht nur eine Nachrichtenzentrale, sondern eine „mächtige Verschlüsselungsmaschine“, sagt Leonid Gimbut.

Was von einem Smartphone per Chiffry gesendet werde, könne selbst er nicht lesen, sagt André Gimbut. Der Unterschied zu Whatsapp und Co. liege im System. „Dort wird im Klartext geschrieben, gesendet, gespeichert, weitergesendet und wieder gespeichert, so dass am Ende nicht nur Sender und Empfänger, sondern auch der Postbote eine Kopie der Nachricht besitzt.“ Chiffry hingegen funktioniert wie eine Enigma für die Hosentasche. Vor dem Senden verwandelt das Programm jede Nachricht in einen Brei aus Zahlen und Zeichen. Der wird über die Chiffry-Server zum Adressaten geleitet. Dann löscht er sich automatisch vom Server.

Am Ziel entschlüsselt Chiffry den Text. „Dazwischen gibt es keine Chance, Einblick zu bekommen“, sagt André Gimbut. Dasselbe gelte für Gespräche über Chiffry. „Die Verschlüsselung erzeugt ein gleichbleibendes Rauschen, so dass ein Mithörer nicht einmal erkennen könnte, wann gesprochen und wann geschwiegen wird.“

Es sind technisch höchst komplexe Prozesse, die im Hintergrund ablaufen. Wenn André Gimbut sie erklärt, ist die Rede von Schlüssellängen und Zufallszahlen, von elliptischen Kurven als Schablonen für die Erzeugung von Codes und von Zahlengeneratoren. Gimbut lebt in einer Welt aus mathematischen Konstrukten, die es ihm inzwischen erlauben, Sprache in einer Geschwindigkeit zu codieren und zu entschlüsseln, dass Gespräche über Chiffry, die im Wlan-Netz oder mit einer Datenflatrate kostenlos sind, wie ganz normale Telefongespräche klingen.

Erweiterter Funktionsumfang

Wie das genau funktioniert? Gimbut trinkt einen Schluck und lächelt. Es ging ein Jahr lang um Optimierung und Komprimierung, bis die Verzögerung so weit geschrumpft war, sagt er. Chiffry solle nicht nur sicherer sein als andere Lösungen, sondern auch einen größeren Funktionsumfang bieten. Andere Messenger gestatten es auch, zu telefonieren. „Aber da können Nutzer in der Regel wirklich davon ausgehen, dass die ganze Welt mithört.“ Im Fall eines Wettbewerbers haben die Digitrade-Leute mal nachgeschaut, wer hinter dem vermeintlich so sicheren Angebot steht. „Alles klar, die Initiatoren in den USA, die Programmierer in Weißrussland und alle Einnahmen fließen nach Zypern“, beschreibt Leonid Gimbut.

Chiffry soll der Gegenentwurf sein. „Unsere Server stehen in einem verplombten Schrank in einem großen Rechenzentrum hier in der Region“, sagt André Gimbut, „da kommt niemand ran.“ Die gesamte Infrastruktur unterliege deutschem Datenschutzrecht, nach dem es keine Einschränkungen bei der Tiefe der Verschlüsselung gibt, wie sie in den USA gelten. „Deshalb haben wir vom Bundesamt für die Sicherheit in der IT-Technik auch das Siegel „ITSecurity Made in Germany“ bekommen.

Ein Ritterschlag, der das Familienunternehmen allerdings teuer zu stehen kommt. Ein Verkauf an einen milliardenschweren Bieter wie Facebook ist für Chiffry ausgeschlossen. Ohne Hintereingang für Geheimdienste und Mithörmöglichkeit für die NSA ist Chiffry einfach zu sicher für Amerika.

Die Planungen bei Digittrade gehen denn auch nicht dahin, eines Tages mit dem Verkauf von Daten Milliarden zu kassieren - wie es die Whatsapp-Erfinder taten. „Wir wollen Nutzer mit unserer Lösung überzeugen, umzusteigen“, sagt Leonid Gimbut. Das Basispaket bleibe kostenlos, auch für die demnächst marktreifen Apps für iPhone und Windows Phone. „Wir denken, dass wir unser Geld mit einer Premium-Variante der App verdienen können, mit der Firmen eine komplett verschlüsselte interne Kommunikation bekommen“, beschreibt André Gimbut. Niemand benötige dann noch teure Krypto-Handys wie die Bundeskanzlerin, die so kompliziert seien, dass sie doch niemand verwende.

Entscheidend für die junge Firma wird sein, wie schnell sich das Programm verbreitet. André Gimbut: „Wir haben keine Millionen für Marketing, aber wir haben ein Produkt, das sonst niemand hat: Sichere Kommunikation.“

Download der App im Playstore: www.bit.ly/ChiffryApp