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Vegan oder Vegetarisch Vegan oder Vegetarisch: Hersteller verweigern Informationen über Hauptzutaten

Von Stefan Sauer 06.05.2016, 06:37
Ähnliche Optik, anderer Inhalt: Vegane und Vegetarische Fleischersatzprodukte gaukeln vor, was sie nicht sind.
Ähnliche Optik, anderer Inhalt: Vegane und Vegetarische Fleischersatzprodukte gaukeln vor, was sie nicht sind. imago stock&people

Berlin - Das Geschäft mit „ohne“ boomt. Schnitzel immer, auch Burger vom Grill, Bratwurst, Mortadella oder Wiener– alles geht, wenn nur kein Fleisch drin ist. Ein rasant wachsender Teil der deutschen Bevölkerung  bekennt sich zur vegetarischen Ernährungsweise. Auch die Zahl der Veganer nimmt zu, die nicht nur Fleisch, sondern alle Nahrungsmittel  tierischen Ursprungs - Michprodukte, Eier und Honig  - verschmähen.

Nach Angaben des Vegetarierbunds Deutschland (Vebu) leben mittlerweile 7,8 Millionen Vegetarier und noch einmal 900 000 Veganer im Lande. Der Umsatz mit Lebensmitteln, die speziell als vegan oder vegetarisch ausgewiesen sind, stieg einer Untersuchung des  Instituts für Handelsforschung (IfH) zufolge seit 2001 um durchschnittlich fast 17 Prozent – pro Jahr.

Große Auswahl bei Supermärkten und Discountern

Nutznießer und Treiber des Booms ist auf der einen Seite der Lebensmitteleinzelhandel. Nach einer Marktanalyse des Portals Verbraucherwelt.de bieten Edeka, Kaufland und Real mittlerweile mehr als 20 unterschiedliche Fleischersatzprodukte an, vom veganen Brotaufstrich über  Sojamilch bis zum Veggie-Nugget. Aldi, Netto, Lidl, Penny und Rewe führen zwischen sieben und 15 solcher Erzeugnisse im Sortiment. Das IfH beziffert den Gesamtumsatz mit den „Kernwaren“ dieses Segments für 2015 mit 454 Millionen Euro.

Auf der anderen Seite profitieren Lebensmittelkonzerne, die Fleischersatzprodukte in großen Mengen herstellen können. Dabei handelt es in erster Linie um Unternehmen, die bisher ausschließlich Tierisches im Angebot hatten. Vorreiter ist der Wurstspezialist Rügenwalder Mühle, der mittlerweile 20 vegetarische Produkte anbietet, darunter „Schinken Spicker“, Frikadellen und sogar ein fleischloses „Mühlen Hack“.  Bis zum Jahresende will man ein Fünftel des Gesamtumsatzes mit Veggie-Produkten erzielen. Längst haben Herta, Meica, Wiesenhof und Co. nachgezogen und bieten ebenfalls Würste vom Gemüsebeet.

Vegetarische Produkte sind häufig ungesund

Dabei ist der massenhafte Verzehr industriell hergestellter Fleischersatzprodukte aus ernährungsphysiologischer Sicht keineswegs unumstritten. Im Grundsatz ist eine fleischlose oder fleischarme Kost zwar von Vorteil: Vegetarier leiden statistisch seltener an Übergewicht, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Fleischesser. 

Demgegenüber enthalte der Fleischersatz aus der Fabrik aber zahlreiche künstliche Zusätze und habe mit natürlicher und gesunder Ernährung nichts zu tun, findet Fernsehköchin Sarah Wiener, die sich seit Jahren für ökologische Anbaumethoden und artgerechte Tiermast einsetzt: „Aromastoffe gaukeln einen Geschmack vor, den das Produkt von sich aus nicht hat. Diese Produkte sind das Gegenteil von lustvollem, sinnlichem, befriedigendem und lebendigem Essen.“ Viele Hersteller tricksten bei Veggie-Produkten ebenso wie sie dies bisher bei herkömmlichen Erzeugnissen getan hätten.

Ganz falsch liegt Wiener mit dieser Einschätzung nach Untersuchung der Verbraucherzentrale Hamburg  nicht. Die Lebensmitteltester hatten im vergangenen  Frühjahr 20 speziell für Veganer angebotene Produkte kleiner und mittlerer Hersteller  analysiert, mit ernüchterndem Ergebnis. Nur zwei Erzeugnisse – die Bio Bolognese vegan von Berief Feinkost sowie der Smelk Haferdrin von Kölln („Kölln Flocken“) - erhielten durchweg gute Noten.

Hersteller unterschlagen Zutaten

Dagegen stellten die Verbraucherschützer Insgesamt 14 Mal problematische Gehalte an Salz, Fett oder gesättigten Fettsäuren fest. Bei zwei Dritteln der Produkte verweigerten die Hersteller Informationen über die Herkunft der Hauptzutaten. Sehr häufig wurden Zusatz- und Aromastoffe nicht oder unvollständig angegeben, Nährwertangaben fehlten oder waren fehlerhaft. Andere Produkte enthielten in großer Menge chemische Verdickungsmittel, Farb- und Konservierungsstoffe.  In einigen Fällen wurde  schlicht  getäuscht, etwa bei einem Cranberry-Riegel, der vor allem Preiselbeeren enthielt. Überdies werde der Verbraucher mit einer Vielzahl nicht geschützter und ebenso wenig kontrollierter Vegan-Siegel umworben, die nicht selten von Marketingabteilungen der Herstellerfirmen ersonnen wurden, kritisiert Silke Schwartau, die die Ernährungsabteilung  in der Verbraucherzentrale Hamburg leitet.

Mit den Erwartungen der Konsumenten sind diese Ergebnisse kaum überein zu bringen. Denn neben dem Tierschutzgedanken ist die eigene Gesundheit das entscheidende Motiv für den Abschied vom Fleisch. In einer Umfrage der Online-Plattform Vegan.Eu teilten mehr als 80 Prozent der Befragten die Ansicht, fleischfreie Nahrung verbessere die Gesundheit. Eine in dieser Grundsätzlichkeit zumindest fragwürdige Annahme

Nicht einmal der vermeintlich unverbrüchliche Vorteil fleischfreier Ernährung – das Tierwohl - ist durchweg garantiert. Viele vegetarische Fleischersatzprodukte enthalten nämlich Eiklar, das die Hersteller zusetzen, um eine wurstähnliche Konsistenz zu erzielen. Zugleich ist der einzige in Deutschland verbliebene Abnehmer von Käfighaltungseiern die Nahrungsmittelindustrie. Eins plus eins macht?

„Ich verstehe nicht ganz, wer diese Produkte freiwillig kaufen soll und möchte. Will ich fleischlos essen, mache ich mir eine gute Pasta, brate Gemüse oder koche Getreide.“ So einfach, findet Sarah Wiener, ist das.