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Unrealistische Messungen Unrealistische Messungen: So werden Autofahrer beim Spritverbrauch hinters Licht geführt

Von Frank-Thomas Wenzel 26.02.2015, 11:59
Da kommt meist mehr raus, als von den Herstellern versprochen.
Da kommt meist mehr raus, als von den Herstellern versprochen. dpa Lizenz

Wie groß sind die Abweichungen des realen Verbrauchs von den Herstellerangaben?

Berlin - Laut Deutscher Umwelthilfe verbrauchen die zehn meistverkauften deutschen Pkw tatsächlich im Schnitt 38 Prozent mehr Benzin oder Diesel als offiziell von den Autobauern angegeben. Tendenz steigend. Nach Angaben der internationalen Umweltorganisation ICCT sind die Differenzen  inzwischen viermal so hoch wie vor zehn Jahren. Bei den neuen Plug-in-Hybrid-Autos, die über einen Elektro- und einen Verbrennungsmotor verfügen, liegen die Unterschiede noch weit über den 38 Prozent.

Wie kommt es zu derart hohen Abweichungen?

Die offiziellen Werte, die die Hersteller angeben,  werden in einem EU-weit normierten Verfahren, das Neuer Europäischer Fahrzyklus (NEFZ) heißt, von unabhängigen Organisationen wie dem TÜV  auf Prüfständen ermittelt. Der NEFZ, der aus den 1990er Jahren stammt, hat mehrere Mankos. So werden die Autos nicht auf der Straße, sondern auf Rollenprüfständen getestet. Außerdem entsprechen die dabei vorgeschriebenen Beschleunigungen und Geschwindigkeiten nicht den heutzutage realistischen Bedingungen. So beträgt die simulierte Höchstgeschwindigkeit 120 Stundenkilometer.  Auch der Autoindustrieverband VDA  räumt ein, dass diese Werte nicht der Wirklichkeit entsprechen. Das sei aber zwangsläufig so, weil äußere Fahrbedingungen (die Temperatur spielt eine wichtige Rolle) und der individuelle Fahrstil wichtige Faktoren seien.

Wie kommt die Umwelthilfe zu ihren Zahlen?

Für die aktuellen Daten der zehn Modelle  hat die Umwelthilfe im Januar schlicht die Angaben von  Nutzern auf Spritverbrauchsportalen in Deutschland und in den USA genommen. Streng wissenschaftlichen Kriterien genügt das allerdings nicht. Denn die Angaben auf Spritportalen sind nicht unbedingt repräsentativ. Dort sind viele jüngere Menschen aktiv, die ein Faible für Autos haben. Gleichwohl steckt hinter dem Vorgehen der Umwelthilfe eine plausible Annahme: Wenn man die Angaben einer großen Zahl von Autofahrern zur Grundlage nimmt, lässt sich ein einigermaßen realistischer durchschnittlicher Verbrauchswert errechnen.

Welche Folgen haben die Abweichungen?

Hier geht es schon um gravierende Dinge:  Auf das gesamte Autoleben gerechnet, bedeutet ein Liter Mehrverbrauch laut DUH für den Halter im Schnitt etwa 3000 Euro Mehrkosten. Dem Staat entgehen nach den Berechnungen der Umweltschützer jedes Jahr Kfz-Steuereinnahmen von 1,4 Milliarden Euro, die wiederum die Halter zu wenig zahlen. Denn die Kfz-Steuer wird hierzulande mittels Hubraum und  CO2-Ausstoß berechnet. Der CO2-Ausstoß ist abhängig vom Spritverbrauch. Werden also hier zu niedrige Werte angesetzt, sind auch die Steuerzahlungen zu niedrig. Zudem würden die Klimaschutzanstrengungen unterlaufen, so die Umwelthilfe. Der CO2-Ausstoß der Neuwagenflotte ist nach offiziellen Zahlen hierzulande zwischen 2009 und 2013 von 154 auf 136 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer geschrumpft. Nach Berechnungen der ICCT ist er aber tatsächlich von 184 auf 188 Gramm gestiegen, weil immer mehr PS-starke Autos auf die Straße kommen.  

Müssen die Autofahrer auf  Dauer mit Unterschieden leben?

Laut Axel Friedrich, Ex-Abteilungsleiter im Umweltbundesamt, liefern sich die Autobauer derzeit „einen regelrechten Wettbewerb, um mit immer neuen Tricks die Testverbräuche schönzurechnen“.  Ein „süddeutscher Autobauer“ etwa lasse bei den Tests Lichtmaschinen abschalten, damit der Kraftstoffverbrauch zum Aufladen der Batterie eingespart wird. Auch kursieren Vermutungen, wonach moderne Bordcomputer erkennen, dass ein Fahrzeug auf einem Prüfstand steht. Der Motor werde dann auf einen Sparmodus geschaltet.

Wie können Autofahrer sich wehren?

Ihnen bleibt nichts anders übrig, als vor Gericht zu ziehen. Der Bundesgerichtshof hält Abweichungen von mehr als zehn Prozent für nicht hinnehmbar. Die DUH unterstützt derzeit mehrere Klagen,  in denen dies nachgewiesen werden soll. Gelingt es, haben die Kläger Anspruch auf Schadenersatz oder die Umrüstung ihres Fahrzeugs. Die Umweltschützer sprechen  von „eklatanten Rechtsverstößen“, denen das zuständige Kraftfahrtbundesamt seit Jahren keine Beachtung schenke. Der Rechtsanwalt Remo Klinger weist überdies darauf hin, dass bereits EU-Verordnungen existierten, die Nachkontrollen ermöglichen und Sanktionen erlauben.

Müssen sich Autofahrer mit den unrealistischen Angaben abfinden?

Ende des Jahrzehnts soll die neue weltweite Norm WLTP auch in Europa eingeführt werden. Hier wird mit höheren Geschwindigkeiten und  anderen Beschleunigungen gearbeitet. Doch auch dieser Standard könne nicht jeden Fahrstil abbilden, so der VDA. Nach Ansicht der DUH wird jeder Prüfzyklus falsche Werte produzieren, solange es keine offizielle Nachprüfungen und keine Garantie gebe, dass der Normverbrauch der Realität entsprechen müsse.