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Urteil in Leipzig Unisterprozess: Bewährungsstrafen gegen Manager

Von Steffen Höhne 04.12.2017, 19:45
Über 40 Verhandlungstage erstreckte sich der Unister-Prozess gegen ehemalige Manager. 
Über 40 Verhandlungstage erstreckte sich der Unister-Prozess gegen ehemalige Manager.  dpa

Leipzig - Mit versteinerter Miene hat sich Daniel Kirchhof den Urteilsspruch angehört. Ein paar Mal schüttelte der 40-Jährige Manager mit blonden, zurückgegelten Haaren  im Saal 115 am Landgericht Leipzig auch den Kopf. Richter Volker Sander verurteilte am Montag den ehemaligen Finanzchef und Gesellschafter des Internet-Unternehmens Unister zu einer  Bewährungsstrafe von zwei Jahren sowie einer Geldbuße von 8.000 Euro. 

Der frühere Leiter Flugbereich der Unister-Gruppe, Holger Friedrich, erhielt ein Jahr und sieben Monaten auf Bewährung. Angesichts der Tatsache, dass das Gericht einen Betrug in Millionenhöhe, Steuerhinterziehung und unerlaubten Vertrieb von Versicherungsgeschäften feststellte, könnten die Angeklagten mit der Bewährungsstrafe zufrieden sein.

Sind sie aber nicht. Im Kern drehte sich zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigern der Streit um die Frage: Hat Unister seinen Kunden erworbene Preisvorteile von Airlines vorenthalten und sie damit betrogen? Kirchhof und Friedrich meinen weiterhin nein und werden gegen das Urteil Revision einlegen. „Schlussendlich wird der Bundesgerichtshof eine Grundsatzentscheidung treffen müssen“, sagte der Frankfurter Wirtschaftsstrafverteidiger Thomas Filler nach der Urteilsverkündung. Friedrichs Anwalt will einen Freispruch. Das Urteil könnte sich auf die gesamte deutsche Reisewirtschaft auswirken.

Razzia mit 130 Beamten: Unister-Geschäftsräume durchsucht

Fünf Jahre ist es her, als im Dezember 2012 rund 130 Beamte in einer öffentlichkeitswirksamen Aktion Leipziger Büroräume und private Wohnungen von Unister-Managern durchsuchten. Kirchhof war damals beim Frühstück mit seiner Familie im Haus in Markkleeberg, als die Polizisten bei ihm anklopften. Er, der Manager Thomas Gudel und Gründer und Firmenchef Thomas Wagner saßen anschließend einige Tage in Untersuchungshaft. Noch schwerer wiegt: In der Folge wandten sich einige Investoren und Kunden ab, das Wachstum des Konzerns, der Reise-Seiten wie ab-in-den-urlaub.de und fluege.de betrieb, stockte. Nachdem Gründer und Firmenpatriarch Wagner bei einem Flugzeugabsturz im Juni 2016 starb, meldete mehrere Unister-Gesellschaften wenige Tage später Insolvenz an. Die Geschäftsfelder sind inzwischen verkauft.

Vier Jahre hat die Generalstaatsanwaltschaft Dresden, an der die Integrierte Ermittlungseinheit Sachsen (Ines) angeschlossen ist, benötigt, um alle Beweise zu sammeln und einen Gerichtstermin zu finden. Seit Januar 2017 wurde an 40 Tagen verhandelt, Zeugen aus dem Haus Unister und der Reisebranche befragt. Richter Sander stellte in seinem Urteil fest: „Die Unister-Manager handelten nach der Devise: Erlaubt war, was man kann, nicht was man darf.“ Es habe der Wille gefehlt, geltendes Recht einzuhalten. „Wagner war dabei die treibende Kraft. Die Angeklagten haben ihn aber zum eigenen Vorteil dabei unterstützt.“ Der Richter sieht es als erwiesen an, dass die beiden Männer sich wegen des Runterbuchens von Flugtickets strafbar gemacht hatten.

Streitfrage: War Unister Vermittler oder Händler?

Dabei wurde den Kunden ein Flug zu einem auf der Webseite angezeigten Preis verkauft, während Unister hinter den Kulissen günstigere Konditionen erzielte und die Differenz einbehielt. So soll ein Schaden von 4,4 Millionen Euro entstanden sein. „Unister ist nicht als Händler von Flugtickets aufgetreten, sondern als Vermittler, der Provision kassierte“, so Sander. Das sei ein wichtiger Unterschied. Unister habe nie für Flüge gehaftet.

Nach Ansicht von Friedrichs Anwalt ist Unister jedoch beides gewesen: Vermittler und Händler. „Die Preise im Buchungsportal sind nicht die Airlinepreise“, sagte Filler am Montag noch einmal. Nicht ein Fluggast habe Ansprüche bei Unister angemeldet. Sein Mandant könne nicht für etwas bestraft werden, was in der ganzen Reisebranche üblich sei.

Akte Unister: Landtag soll Fall untersuchen

Sanders Urteilsverkündung dauerte fast drei Stunden. Er dröselte die Anklagepunkte und die Erwiderungen der Verteidigung auf und nannte seine Schlussfolgerungen. Nach seiner Auffassung habe es bei Kirchhof auch eine Mittäterschaft beim unerlaubten Vertrieb von Versicherungen gegeben. So hatten Unister-Gesellschaften einen „Stornoschutz“ für Hotels und „Flexifly“ für Flüge angeboten, dies jedoch nicht als Versicherung betrieben. Aus E-Mails und Zeugenaussagen geht hervor, dass mehrere Mitarbeiter Wagner gewarnt hatten, diese Praxis auszuüben.

Dieser sei jedoch darauf nicht eingegangen, sondern habe „Bedenkenträger“ kaltgestellt. Der Stornoschutz war eine sprudelnde Geldquelle. Kirchhof argumentierte, nicht in diese Geschäfte einbezogen gewesen zu sein. Sein Verhältnis zu Wagner sei bereits seit 2009 zerrüttet gewesen. Zudem habe die Finanzaufsicht Bafin erst geprüft, ob die Geschäfte einer Versicherung gleichkommen.

Wurden Kunden beim Kauf von Flugtickets um ihre Ersparnis gebracht?

Durch die Pleite von Unister und die Gerichtskosten wurde Kirchhofs Vermögen aufgezehrt. Das Haus in Markkleeberg ist verkauft. In leisen Worten sagte der Vater von vier Kindern am Montag: „Ich muss wieder von vorn anfangen.“ Gegen das Urteil will aber auch sein Anwalt Revision einlegen.

Rückendeckung erhalten Kirchhof und Friedrich von ehemaligen Unister-Mitarbeitern. Diese haben eine Online-Petition angestoßen. Ziel ist es, dass der sächsische Landtag einen Untersuchungsausschuss einrichtet, der die Arbeit der Ermittlungseinheit Ines überprüfen soll. Diese soll 2012 die Finanzaufsicht Bafin gestoppt haben, die an das Leipziger Unternehmen einen Anhörungsbogen wegen möglicher unerlaubter Versicherungsgeschäfte senden wollte. So wie es aussieht, heißt das: Die Akte Unister ist noch nicht geschlossen. (mz)