Test der DHL Test der DHL: Drohne bringt Medikamente vom Festland auf die Insel

Norddeich - Es piept ein paar Sekunden, so, als hätte jemand vergessen, seinen Reisewecker abzuschalten. Dann ist es still, alle nötigen Daten für die kurze Flugreise sind auf dem Funkweg übertragen und verdaut. Einen Augenblick später dreht sich der erste Propeller, dann der zweite, dann alle vier und das quietschgelbe Gefährt, das an einen kleinen Kugelgrill erinnert und unter seinem Bauch eine Art dickes Überraschungsei trägt, hebt in aller Gemütsruhe vom Boden ab, macht dabei auch keinen unnötigen Lärm, schwebt einen Augenblick in der Luft, als müsste es sich orientieren oder wollte sich bestaunen lassen und zieht dann über das Wattenmeer davon Richtung Norden, nach Juist.
Weg ist das Ding. In einem Kleinbus, vollgestopft mit Elektronik, auf dem Dach ein Windmesser, überwachen Techniker den Flug. „Ein Weltereignis“, sagt jemand aus dem Tross der Post-Tochter DHL, die an diesem grauen und kalten Nachmittag im Osthafen von Norddeich etwas vorstellt, was es tatsächlich so noch nicht gibt auf unserem Planeten: Einen vollautomatischen Lieferdienst vom Festland zur Ostfriesischen Insel Juist, den „Paketkopter“, wie sie das Fluggefährt stolz nennen bei der DHL. Dreimal die Woche surrt das gelbe Ding rüber, beliefert die „Seehund-Apotheke“ mit Medikamenten, und fliegt dann zurück. Eine Viertelstunde dauert der Flüg rüber, je nachdem wie Wind und Wetter sind. Auf Juist landet der Kopter, ein DHL-Mitarbeiter schraubt den Deckel ab, tauscht den Akku aus, entnimmt die Fracht. Dann bringt er sie zur Apotheke, während der Kopter seine Rückreise antritt.
Seit Ende September testet die DHL die Versorgung der Insel-Apotheke auf Juist per Drohne. Ein weltweit einmaliger Feldversuch, der Ende des Jahres eingestellt und dann en detail ausgewertet wird. Nach Ansicht der DHL ist die Unternehmung ein Erfolg. „Dort, wo normale Flugzeuge nicht starten oder landen können, kann der Paketkopter noch fliegen", sagt Andrej Busch, der DHL-Paketchef für Deutschland und Europa. Er steht im Wind und sieht vergnügt aufs Watt wie ein großer Junge, der saucooles Spielzeug ausprobieren darf.
Roboter statt Paketbote?
Aber ist das auch die Zukunft? Wird zwischen Norddeich und Juist gerade der Päckchen- und Briefverkehr der Zukunft ausprobiert? Wird in ein paar Jahren der menschliche Paketbote durch einen fliegenden Roboter ersetzt? Schwirren in Zukunft Tausende dieser kleinen Fluggefährte über deutschen Städten, liefern Pillen, Post oder Pizza? Stirbt nach der zuletzt sehr hässlichen alten Telefonzelle nun auch noch der Briefkasten aus?
Keine Sorge, offensichtlich nicht. Der Paketkopter beflügele zwar die Fantasie, sagt der Deutschland- und Europa-Paket-Chef. Die Technik, entworfen und kontrolliert von der Universität Aachen und der Firma Microdrones, funktioniere auch fehlerlos. Aber für die „Regelzustellung“ sei das Maschinchen dann doch nichts, erläutert Busch. Für entlegene Gegenden, für Inseln, für die Notfallversorgung unter schwierigen Bedingungen, bei Nacht und Nebel. Aber dass zukünftig ein Paketkopter der 75-jährigen Oma das Geburtstagspräsent der Enkelkinder in den Nachbarort fliegt und dort surrend vor ihrer Haustür ablegt, dabei wohmöglich noch ein elektronisches Ständchen vorträgt - ausgeschlossen.
So viel kann der kleine Kopter in seinem „Überraschungsei“ ja auch nicht tragen. In der Paketkapsel zwischen den Kufen hängt maximal bis zu 1,2 Kilogramm schwere Fracht. In den vergangenen Wochen waren es immer eilige Medikamente für die Insel-Apotheke.
Dem Apotheker hat das Experiment gefallen, einigen seiner Kunden sogar noch mehr. „Wir sind begeistert über diese Möglichkeit", sagt Erich Hrdina. „Es funktioniert prima.“
Mit der Drohne könnten nämlich nachts oder am Wochenende wichtige Arzneimittel auf die Insel gelangen. „Es zahlt sich besonders aus, wenn die normale Logistik nicht unsere Ziele erfüllt", erklärt der Apotheker. Er meint, bei hoher See oder wenn die Fähre nicht geht, wenn starker Nebel herrscht oder wenn es mal besonders eilig ist. Oder, wenn schlicht Niedrigwasser ist und kein Boot durchs Watt kommt.
„Es gibt schon eine Menge sinnvolle Anwendungsgebiete“
Eilige Fälle hat es schon gegeben, berichtet der Mann. Eine 92-jährige Dame habe dringend ein bestimmtes Blutverdünnungsmittel gebraucht, was ein Apotheker normalerweise nicht im Regal stehen hat. In einem anderen Fall hatte ein junger Mann eine schmerzhafte Knieverletzung, litt allerdings unter einer Medikamentenunverträglichkeit, was dann den Paketkopter erforderte, der das einzig verträgliche Schmerzmittel auf die Insel flog. „Es gibt schon eine Menge sinnvolle Anwendungsgebiete“, so der Apotheker.
Aber auch so ein Paketkopter kann nicht immer. Bei Windstärke zehn ist Schluss, meint eine DHL-Mitarbeiterin, die auch an der Mole steht und dem surrenden Fluggerät zusieht. Der Apotheker hätte es gerne, dass, dass die Technik schnell weiterentwickelt wird und bald auch Paketkopter-Flüge in Orkanstärke möglich sein werden. Die jetzige Kopter-Generation ist laut DHL zwar „robust gegen Regen, Schnee und Staub", der Elektromotor erlaubt bis zu 45 Minuten Flugzeit und zwölf Kilometer Reichweite. Aber man will mehr. Die „Verfügbarkeit erhöhen“, sagt Professer Dieter Moormann vom Institut für Flugsysteme der RWTH Aachen University. Er stellt sich vor, solche Kopter könnten in Zukunft auch bei Katastrophen eingesetzt werden und Sachen in unzugängliche Gebiete oder eingeschlossene Dörfer liefern. Aber „für den Billigmarkt“ sei das nichts und „Schwärme am Himmel“ werde es garantiert auch nicht geben.
Zudem ist es ja auch nicht so einfach möglich, in Deutschland einen derartigen vollautomatischen Flug-Service einzurichten. Die DHL-Feldforscher in Norddeich und Juist müssen vor jedem Flug eine Genehmigung der Luftfahrtbehörden einholen. Außerdem fliegen sie nicht immer, sie müssen Rücksicht nehmen auf den benachbarten Flugplatz und dessen Kleinfliegerei. „Wir werden das Thema aber weitertreiben", sagt Paketchef Busch.
Amazon testet Drohnen in England
Die DHL ist ja auch nicht das einzige Unternehmen auf der Welt, das in diese Richtung tüftelt: Google lässt forschen, Amazon hat gleich mehrere Testzentren und plant angeblich Drohnentestflüge in England. Aber dort denkt man offensichtlich in andere Richtungen als an der ostfriesischen Nordseeküste: Es geht nicht um Notfälle oder entlegene Gebiete, sondern um die Verkürzung von Lieferzeiten. Geschwindigkeit und größere Frachtmengen sind das Oberthema. In den USA will der Internetversender Drohnen testen, die bis zu 2,3 Kilo schwere Fracht mit rund 90 Stundenkilometern transportieren und 30 Minuten in der Luft bleiben können. Aber auch das steckt alles noch in Kleinkinderschuhen.
In San Francisco und Los Angeles versuchte Amazon auch auf eine sehr herkömmliche Art, seine Waren schneller an Mann und Frau zu bringen: Amazon probierte es mit Taxis, eine Idee, welche Insel-Apotheker Hrdina auf Juist in Notfällen allerdings nicht weiterhilft.
Im Himmel taucht ein gelber Punkt auf, der Kopter kommt zurück von Juist. Während die Inselfähre „Frisia I“ langsam in den Hafen einfährt, schwebt das gelbe Ding heran, bleibt wieder brav in der Luft stehen, scheint die Aufmerksamkeit zu genießen, senkt sich dann langsam auf den Rasen herab, steht kurz, dann gehen die Motoren aus, Techniker eilen heran und begutachten den Heimkehrer. „Funktioniert“, sagt Paketchef Busch zufrieden. „Nun müssen wir aus all dem nur noch etwas machen“, sagt jemand aus dem DHL-Tross, der dem „Weltereignis“ von Norddeich beiwohnen durfte.

