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Wohnungspolitik Tempo im Wohnbau: Städte dürfen experimentieren

Eine neue Wohnung wird in Deutschland noch immer von vielen verzweifelt gesucht - auch nach Jahren mit politischen Versprechen. Abhilfe schaffen soll jetzt der beschlossene „Bau-Turbo“.

Von Basil Wegener, dpa Aktualisiert: 17.10.2025, 14:42
Neubau von Wohnungen in Hamburg: Jetzt soll mehr Tempo in den Bau. (Archivfoto)
Neubau von Wohnungen in Hamburg: Jetzt soll mehr Tempo in den Bau. (Archivfoto) Christian Charisius/dpa

Berlin - Wohnungen auf Supermarktdächern, in der zweiten Reihe oder in Anbauten: Bund und Länder wollen mit dem nun beschlossenen „Bau-Turbo“ rechtliche Bremsen für mehr Wohnungsbau lösen. Der Bundesrat billigte das Gesetz von Bauministerin Verena Hubertz (SPD). Bereits wenige Stunden später wurde es konkreter.

„Wir werden ihn schnell in die Praxis umsetzen“, sagte Hubertz über den „Bau-Turbo“. Dafür beantwortete die 37-jährige ehemalige Start-up-Gründerin bei einer Online-Konferenz Fragen aus Hunderten Kommunen. Wie soll es gelingen, schneller zu bauen, Flächen schlau zu nutzen - für mehr bezahlbaren Wohnraum?

Deutschland soll experimentieren

Kern des Gesetzes ist ein neuer Paragraf für Neubau, Umbau oder Umnutzung: Normalerweise kann man heute von einer fünfjährigen Planungszeit ausgehen. Jetzt sollen die Gemeinden entscheiden können: Wollen sie von den Vorschriften abweichen und eine nur dreimonatige Prüfung durchführen, um zusätzliche Wohnungen bauen zu lassen? Ein Bebauungsplan muss dazu laut dem neuen Paragrafen nicht aufgestellt oder geändert werden. Hubertz sagt: „Aus fünf Jahren machen wir drei Monate.“ Diese „Experimentierklausel“ ist bis Ende 2030 befristet.

Außerdem werden - wo ein Bebauungsplan gilt - mehr neue Wohnungen auch über dessen Vorgaben hinaus möglich. Beispiel: Aufstockung oder Bauen in der zweiten Reihe soll in einer ganzen Straße leichter möglich sein. 

Die Regeln zielen insbesondere auf Nachverdichtung ab. Statt Neubau auf der grünen Wiese am Stadtrand sollen freie Flächen in den Städten bebaut werden. Untersuchungen etwa des Bundesinstituts für Bauforschung (BBSR) hatten gezeigt: Neue oder sanierte Gebäude in Quartieren können Aufmerksamkeit erregen und als Impuls für Investitionen im Quartier dienen. Sinken sollen laut Hubertz die Kosten: „Bei heute üblichen Preisen von 5.000 Euro Baukosten pro Quadratmeter in Großstädten dürfen wir nicht bleiben.“

Linke: Mangel an Wohnungen „Skandal“ 

Inzwischen seit Jahren setzt der akute Mangel an bezahlbarem Wohnraum vor allem in Ballungsräumen die Regierungen unter Druck, ohne dass es spürbare Linderung gibt. „Es trifft längst die große Masse“, sagte etwa der Linken-Fraktionsvorsitzende Sören Pellmann am Vortag in seiner Antwort auf die Regierungserklärung des Bundeskanzlers. „Das ist der Skandal.“

400.000 neue Wohnungen pro Jahr hatte die Vorgängerregierung unter Kanzler Olaf Scholz (SPD) versprochen. Doch hohe Zinsen und Baukosten sowie zähe Genehmigungen führten dazu, dass das Ziel immer wieder spektakulär verfehlt wurde. 251.900 Wohnungen wurden 2024 fertiggestellt - so wenig wie seit 2015 nicht.

Tiefpunkt im Wohnungsbau überwunden

Doch im August wurden zumindest 5,7 Prozent mehr Wohnungen in Neu- oder Umbauten genehmigt als ein Jahr zuvor - laut Statistischem Bundesamt rund 19.300 Wohnungen. Allein Einfamilienhäuser legten um mehr als 15 Prozent auf 29.300 zu. Schon im Juli hatte es einen deutlichen Anstieg gegeben.

Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung erwartet weniger als 250.000 neu genehmigte Wohnungen in diesem Jahr - „gebraucht würden eher 320.000 neue Wohnungen pro Jahr“, sagte Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des dortigen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung. 

Doch der Tiefpunkt der Wohnungsbaukrise sei überwunden. Dullien: „Die Bauwirtschaft könnte im kommenden Jahr eine wichtige Konjunkturstütze werden.“ Der Hauptgeschäftsführer des Bauindustrieverbands HDB, Tim-Oliver Müller, forderte mehr Förderungen und einen kräftigen Abbau von Bauvorschriften.

Hubertz für Abweichung von Berliner Traufhöhe

In diese Richtung gehen die Versprechen der Bauministerin. „Der Bau-Turbo ist ein kurzes Gesetz“, sagt Hubertz. Es sind fünf Seiten. „Aber die paar Seiten werden ein Game-Changer sein für unser Land“, sagt Hubertz. „Es wird ein emotionaler Moment, das Gesetz zu unterzeichnen.“

Schnelleres Bauen solle dabei nicht auf Kosten des ästhetischen Anspruchs gehen. „Wir sind sehr daran interessiert, dass wir nicht zu einem Plattenbau 2.0 kommen.“ Praxisbeispiele zeigten, dass und wie es gehe. „Wir können beispielsweise aufstocken, etwa auf Supermarktdächern.“ Wenn man seriell bauen will, können die Fassaden auch nachträglich gestaltet werden. „Oder nehmen wir die Traufhöhe aus der Kaiserzeit in Berlin, es spricht in der Regel nichts dagegen, hier noch um eine Etage zu erhöhen.“

Zankapfel Lärm- und Umweltschutz

Wegen oft jahrelangen Gezerres um den Lärmschutz bei Neubauten spricht man hier im Bauministerium von einem „verminten Feld“. Doch nun soll es mehr Flexibilität bei gemischter Nutzung geben. Auch Umweltminister Carsten Schneider (SPD) hatte dabei mitgeredet, hieß es. Abweichungen sollen künftig erlaubt sein, auch beispielsweise Lärmschutz durch eine Wand, einen Strauch oder Schallschutztechnik bei teils geöffneten Fenstern.

Weiter für Diskussionen sorgen dürfte der Umweltschutz. Bau soll nicht zum Verlust seltener Tiere oder Pflanzen führen. Also prüfen die Naturschutzbehörden weiter das mögliche Vorhandensein entsprechender Biotope und die Verträglichkeit eines Projekts mit der Umwelt. Dennoch: Im Bauministerium geht man von einer Beschleunigung auch in diesem sensiblen Bereich aus. 

Was hat das Gesetz mit Boris Pistorius zu tun?

Wohnungsbau ist nicht das einzige Ziel des Gesetzes. Auch die Bundeswehr soll profitieren, was Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) freuen dürfte. Mehr Tempo soll es hier geben bei Bauten zur „Herstellung oder Lagerung von Produkten zur Landesverteidigung, insbesondere von Munition, Sprengstoffen und deren Vorprodukten“.