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Stromversorgung Stromversorgung: Sonnenfinsternis könnte Argumente für Energiewende liefern

Von Frank-Thomas Wenzel 17.03.2015, 11:36
Eine totale Sonnenfinsternis am 29. März 2006, aufgenommen in Side in der Türkei.
Eine totale Sonnenfinsternis am 29. März 2006, aufgenommen in Side in der Türkei. dpa Lizenz

Berlin - Eine Sonnenfinsternis am Freitag wird zu extremen Schwankungen in der Stromversorgung  führen. Doch die Netzbetreiber sind vorbereitet. Geht alles ohne Zwischenfall  über die Bühne, ist es ein Triumph für die Anhänger der Energiewende.

Was ist an der Sonnenfinsternis für die Stromversorgung so gefährlich?

In Deutschland sind derzeit Photovoltaikanlagen mit einer Gesamtleistung von 39 Gigawatt installiert – das entspricht 39 Großkraftwerken. An einem normalen sonnigen Tag steigt die Produktion des Sonnenstroms mit mathematischer Genauigkeit langsam an, erreicht gegen Mittag ihren Höhepunkt  um dann allmählich nachzulassen. Die Betreiber der Stromnetze sind darauf eingestellt und schaffen es durch das Zu- und Abschalten von anderen Kraftwerken, dass immer genau so viel Strom erzeugt wie gebraucht wird. Die Sonnenfinsternis erzeugt nun buchstäblich einen tiefen Einschnitt, sofern der Himmel über Deutschland am Freitag blau ist. Ist alles mit Wolken verhangen, gibt es keine Probleme.

Wie sieht der Einschnitt aus?

Zwischen 9:30 Uhr und 12 Uhr nimmt am Freitag die Sonneneinstrahlung zunächst eine Stunde lang schlagartig ab. Um dann für eine Stunde sehr schnell wieder zu steigen. Analog dazu wird sich die Solarstromproduktion entwickeln. In den ersten 65 Minuten geht die Erzeugung um rund zwölf Gigawatt, was zwölf Großkraftwerken entspricht,  zurück, um dann innerhalt von 75 Minuten um 19 Gigawatt zu steigen. Schließlich werden am Mittag 25 Gigawatt erreicht.

Was ist das Problem für die Stromversorgung bei der Schwankung?

Problematisch  sind nicht die Schwankungen an sich, sondern ihre Geschwindigkeit. Da in der ersten Phase die Energieproduktion von Photovoltaikanlagen rapide absinkt, müssen zusätzliche Erzeugungskapazitäten in kurzer Zeit zugeschaltet werden. In der zweiten Phase mit einer heftigen Steigerungsrampe müssen Kapazitäten schnell herausgenommen werden.

Was passiert, wenn das nicht gelingt?

Es droht ein Blackout, also ein Stromausfall in großem Stil. Doch die Wahrscheinlichkeit ist äußerst gering. Denn die die Stromnetzbetreiber spielen seit Monaten alle mögliche Szenarien durch, die Mitarbeiter sind speziell geschult worden. Die Netzbetreiber haben sich sogenannte zusätzliche Regelleistung beschafft. Das heißt, es stehen vor allem im Ausland Wasserkraftwerke, Gaskraftwerke und auch Pumpspeicherkraftwerke bereit, die die Schwankungen ausgleichen sollen. Zudem gibt es gewissermaßen als Sicherheitsnetz noch Notmaßnahmen, dazu gehört vor allem die Möglichkeit Unternehmen, die große Strommengen verbrauchen, für kurze Zeit vom Netz abzuklemmen. Die Firma Tennet, Deutschlands größter Netzbetreiber, betont gleichwohl, dass die Sonnenfinsternis ein „extremer Test“ für die Stromversorgung sei, zumal die Schwankungen europaweit auftreten. Es bleibe ein Restrisiko.

Werden wir künftig verstärkt mit solchen Schwankungen leben müssen?

Ganz bestimmt. Denn mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien, die vom Wetter abhängig sind, und dem Abschalten von Atom- und Kohlekraftwerken müssen die Netzbetreiber lernen, mit immer stärkeren Schwankungen auszukommen.  Einer aktuellen Studie im Auftrag der Denkfabrik Agora Energiewende zufolge ist die Sonnenfinsternis ein Test, mit dem die Situation im Jahr 2030 simuliert wird. Gelingt der Test, ist das ein  Beweis dafür, wie gut die Netzbetreiber inzwischen mit den Schwankungen umgehen können. Noch vor Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass das Netz ein derartiges auf und Ab verkraften kann.

Was bedeutet das für die Energiewende?

Knallt am Freitag die Sonne vom Himmel und bleibt die Stromversorgung gesichert, dann ist das ein großer Erfolg für die Befürworter der Energiewende.  Daraus ließe sich dann die Schlussfolgerung ziehen, dass ein schnellerer Ausbau der Erneuerbaren aus Sicht der  Netzbetreiber durchaus verkraftbar wäre. Die großen Energiekonzerne würden wiederlegt, die immer wieder wegen möglicher Schwankungen in der Stromerzeugung vor Blackouts gewarnt haben.

Können wir uns also  beruhigt zurücklehnen?

Das nun auch wieder nicht. Mit dem Fortschreiten der Energiewende muss das Stromnetz robuster gemacht werden. In der Agora-Studie wird dafür eine Reihe von Schritten vorgeschlagen: Dazu zählt ein besseres Nachfragemanagement - die Industrie muss lernen, ihren Strombedarf umzusteuern: Eine geringere Nachfrage zu Spitzenzeiten tagsüber und mehr Energiebezug in der Nacht. Der Kraftwerkspark bei den konventionellen Erzeugungsarten muss flexibler werden: Vor allem mehr Gaskraftwerke sind gefragt.  Die Netze in Europa sollen besser miteinander verknüpft werden, um Schwankungen besser auszugleichen. Speichertechnologien müssen ausgebaut werden. Steuerung der Erneuerbaren: Ihre Leistung muss gedrosselt werden können, um die Erzeugung in bei viel Wind und viel Sonne nicht zu hoch werden zu lassen. Zudem müssen Überschüsse effektiv genutzt werden. So kann überschüssiger Ökostrom genutzt werden, um Wärme zu erzeugen.     

 

Die Deutschlandkarte zeigt die regionale Uhrzeit der Finsternis und den jeweiligen Bedeckungsgrad der Sonne am 20. März.
Die Deutschlandkarte zeigt die regionale Uhrzeit der Finsternis und den jeweiligen Bedeckungsgrad der Sonne am 20. März.
dpa-infografik Lizenz