Streit um Tarifeinheit Streit um Tarifeinheit: Das Problem mit Kleinstgewerkschaften

Berlin - Mit Agil wird eine weitere Spartengewerkschaft im Flugbereich aktiv, die schon im nächsten Frühjahr Lohnforderungen stellen und Tarifverhandlungen führen könnte. Ob es wirklich dazu kommt, ist aber ungewiss. Denn die große Koalition plant ein Gesetz zur Tarifeinheit. Es soll noch der Gewerkschaft mit den jeweils meisten Mitglieder im Betrieb das Recht einräumen, für die gesamte Belegschaft Tarifverträge abzuschließen. Damit drohte kleineren, auf Berufsgruppen spezialisierten Organisationen wie die Gewerkschaft der Lokführer, die Pilotenvereinigung Cockpit, die Ärztevertretung Marburger Bund oder eben AGIL der Sturz in die Bedeutungslosigkeit.
Wenig überraschend unterstützt die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) das Tarifeinheitsgesetz. Doch auch der DGB hat sich auf die Seite der Befürworter geschlagen, um die kleinen Konkurrenten auszubooten. Auf dem DGB-Bundeskongress, der noch bis Freitag in Berlin stattfindet, soll unter anderem ein Leitantrag verabschiedet werden, der eindeutig Position bezieht: „Für die Gewerkschaften hat der Grundsatz der Tarifeinheit einen hohen Stellenwert für die Gewährleistung einer solidarischen und einheitlichen Interessenvertretung in den Betrieben und Dienststellen. (. ..) Grundsatz der Tarifpolitik muss die einheitliche Vertretung aller Beschäftigten in Betrieb und Dienststelle sein.“
Ganz so einheitlich, wie es diese Formulierungen glauben machen, ist die Unterstützung im DGB-Lager indessen keineswegs. Verdi hat sich – im Schulterschluss mit dem Deutschen Beamtenbund - klar gegen das Einheitsgesetz gestellt. Dass Marburger Bund und Co. gegen das Tarifeinheitsgesetz Sturm laufen, versteht sich von selbst. In der Auseinandersetzung führen beide Seiten triftige Argumenten ins Feld.
Kleinstgewerkschaften legen Land lahm
Die Befürworter der Tarifeinheit verweisen darauf, dass Kleinstgewerkschaften schon mit geringem Aufwand weiter Teile des öffentlichen Lebens beeinträchtigen können. Schon der Streik einiger hundert Mitarbeiter in der Fluggastabfertigung auf den größten deutschen Flughäfen reicht aus, um den Flugverkehr weitgehend lahm zu legen. Auch Ausstände von Bahnangestellten oder Krankenhausmedizinern entfalten erheblichen Druck auf die Arbeitgeber, schnell zu einer Einigung zu gelangen.
Unternehmen sehen sich gezwungen, mit immer mehr Gewerkschaften Tarifverträge für unterschiedliche Teile ihrer Belegschaft auszuhandeln. Die Lufthansa etwa hat es mit Verdi, Cockpit, Ufo und nun auch mit AGIL zu tun. Überdies ist sie oft mittelbar von Streiks des Flughafenpersonals betroffen, obwohl die Fluglinie gar nicht am Tarifkonflikt beteiligt ist. Der DGB mahnt, eine Zersplitterung führe zur Entsolidarisierung unter den Arbeitnehmern und könne Arbeitgeber zum Austritt aus der Tarifbindung veranlassen. Am Ende werden die Interessenvertretung der Arbeitnehmer insgesamt zugunsten der Partikularinteressen einzelner Berufsgruppen geschwächt.
Demgegenüber weisen die Gegner auf beträchtliche praktische und rechtliche Hürden sowie unerwünschte Nebenwirkungen der Tarifeinheit hin. Das beginnt mit der Frage, was eigentlich ein „Betrieb“ sei. Sind alle Krankenhäuser eines Unternehmens oder sämtliche Steuerbehörden eines Bundeslandes gemeint? Oder einzelne Kliniken und Finanzämter? Ist diese Frage geklärt, müsste in jedem einzelnen Betrieb die „Mehrheitsgewerkschaft“ eruiert werden.
Nur wie? Arbeitnehmer müssen über ihre Gewerkschaftszugehörigkeit keine Auskunft geben. Eine gesetzliche Verpflichtung verstieße gegen das Recht aus informationelle Selbstbestimmung und den Datenschutz. Zudem müsste vor jeder Tarifrunde mit enormem Aufwand erneut festgestellt werden, wer zu welcher Gewerkschaft gehört.
Gewerkschaften fallen unter Koalitionsfreiheit
Zumindest ebenso schwer wiegt ein verfassungsrechtliches Argument: Mit der Tarifeinheit würden kleinere Gewerkschaften vielerorts nicht nur ihr Mandat für Tarifverhandlungen, sondern damit auch ihre Existenzberechtigung einbüßen. Dies aber könnte die verfassungsrechtlich garantierte Koalitionsfreiheit faktisch aushebeln. Wer bliebe schon Mitglied einer Gewerkschaft, die nichts zu sagen hat?
Die Wahrscheinlichkeit, dass das Bundesverfassungsgericht ein solches Tarifeinheitsgesetz kassiert, sei daher nicht gering, waren die Gegner. Die BDA würde dann ihr eigentliches Ziel, Arbeitskampfmaßnahmen zu beschneiden, über eine gesetzliche Neuregelung des Streikrechts durchzusetzen versuchen.
Diese Befürchtung teilt mittlerweile offenbar auch der DGB. Im Leitantrag zur Tarifeinheit heißt es: „Der DGB und seine Gewerkschaften lehnen aber eine gesetzliche Regulierung des Streikrechts grundsätzlich ab.“ Auf das Ergebnis der Auseinandersetzung darf man gespannt sein.