Reisen in Zeiten des Terrors Reisen in Zeiten des Terrors: Spanien und Kanaren verzeichnen deutliche Zuwächse

Berlin - Ägypten, Tunesien, Türkei – diese Länder zählen nicht nur seit Jahren zu den beliebtesten Urlaubszielen der Deutschen, sie sind auch immer wieder Ziele terroristischer Anschläge. Das vorerst letzte Bombenattentat galt im Januar einer deutschen Touristengruppe in Istanbul. Längst ist der Terror nicht mehr auf außereuropäische Ziele beschränkt. Madrid, London und immer wieder Paris waren Schauplatz blutiger Anschläge. Der Reiselust der Deutschen haben Terror und Gewalt bisher wenig anhaben können. Manche Ziele wurden vorübergehend gemieden, andere dafür angesteuert. Unter dem Strich aber wuchs die Reisebranche Jahr für Jahr. 2015 stieg der Umsatz der Gesamt-Touristik nach Angaben der Gesellschaft für Konsumforschung um 2,9 auf 57,4 Milliarden Euro auf ein neues Allzeithoch.
Doch mit der Rekordjagd könnte es nun ein Ende haben. Zwar gibt sich die Branche zum Auftakt der Tourismusmesse ITB in Berlin mit Blick auf das laufende Jahr demonstrativ optimistisch. „Der Reisemarkt ist sehr stabil, alles ist gut, keine Panik, die Leute wollen weiter in den Urlaub fahren“, versichert etwa Ulf Sonntag, Marktforschungsleiter der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR). Doch schon der Stakkato-Stil des Vortrags weist darauf hin, dass man sich weiteren Wachstums nicht so sicher ist, wie man es gern wäre. Im Gegenteil: Die Nervosität ist greifbar. Der Deutsche Reiseverband, in dem vom Marktführer Tui bis zum Ein-Mann-Reisebüro in Pusemuckel praktisch die gesamte deutsche Touristiksparte vertreten ist, verzichtet auf die traditionelle Pressekonferenz zum ITB-Auftakt, die für gewöhnlich der stolzen Präsentation aktueller Jahreszahlen dient. Stattdessen findet ein „Mediengespräch“ statt, Thema: Krisenmanagement und Sicherheit.
Krisenvorsorgetool liefert rund um die Uhr sicherheitsrelevante Informationen
Dabei geht es nicht nur um Terror, sondern auch um Erdbeben, Wirbelstürme, Vulkanausbrüche, Seuchengefahren und politische Unruhen. Zentrale Botschaft: Man ist gewappnet. Bereits vor Jahren habe der DRV ein Krisenvorsorgetool eingerichtet, in dem rund um die Uhr sicherheitsrelevante Information aus aller Welt sowie die Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes gesammelt und an Reiseveranstalter weiter gegeben würden, erläutert DRV-Sicherheitsexpertin Melanie Gerhardt. Die aktuelle Krisen-Weltkarte zeigt an diesem Mittwochmorgen unter anderem ein Unwetter in den USA und den jüngsten Terrorakt in Tel Aviv, bei dem ein amerikanischer Tourist um Leben kam. Im Krisenfall stünden Notfallteams der Reiseveranstalter und des DRV bereit, die die Urlauber vor Ort betreuten und gegebenenfalls den Rücktransport in die Heimat organisierten.
Kunden warten Sicherheitslage bis kurz vor Reiseantritt ab
Dass bei alledem für die Kunden derzeit nicht Unwetter, sondern Anschlagsrisiken im Vordergrund stehen, räumt DRV-Präsident Norbert Fiebig ein: „Die Menschen fragen sich: Wo kann ich noch Urlaub machen? Wo ist es noch sicher?“ Eine Antwort geben die Kunden indirekt mit ihren Buchungen selbst: Spanien und insbesondere die Kanaren weisen im Frühbuchergeschäft gegenüber 2015 zweistellige Zuwächse auf. Portugal, Italien, Griechenland, Bulgarien oder auch Kroatien liegen gut im Rennen. Der Inlandstourismus zeigt ebenfalls leichte Zuwächse. Dem gegenüber stehen Ägypten, Tunesien und vor allem die Türkei mit drastischen Einbußen. Geht es so weiter, werden 2016 nicht 5,5 Millionen deutsche Urlauber in die Türkei reisen wie noch im Rekordjahr 2015, sondern bestenfalls vier.
Zusätzlich Sorge bereitet der Branche die Wiedereinführung von Grenzkontrollen im Schengen-Raum, die insbesondere spontane Kurzreisen erschweren. „Die Reisefreiheit ist längst ein unverzichtbarer Bestandteil unseres Lebens geworden. Wir sollten uns dieses hohe Gut nicht nehmen lassen“, sagt Fiebig nicht ohne Pathos. Unter dem Strich aber werde 2016 wieder ein gutes Reisejahr.
Wirklich? Die bisher vorliegenden Daten lassen Zweifel zu. So wird der Anteil der Urlaubsverweigerer nach Angaben des Online-Reiseverbands VIR von 20 Prozent im Jahr 2015 auf voraussichtlich 24,5 Prozent in diesem Jahr zunehmen. Dafür steigt der Anteil jener, die sich erst in den beiden Wochen vor Reiseantritt für ein Urlaubsziel entscheiden wollen, von 4,6 auf 7,8 Prozent an. Offenbar warten viele Kunden ab, wie sich die Sicherheitslage im Zielgebiet entwickelt. Die Zeit immer neuer Rekorde aber scheint vorerst vorbei.