1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Wirtschaft
  6. >
  7. Pakete statt Passagiere: Pakete statt Passagiere: China fliegt auf Flughafen Leipzig/Halle

Pakete statt Passagiere Pakete statt Passagiere: China fliegt auf Flughafen Leipzig/Halle

Von Steffen Höhne 25.11.2017, 09:00
In großen Luftfahrtcontainern werden die Pakete im Flugzeug transportiert. Die Entladung dauert nur einige Minuten.
In großen Luftfahrtcontainern werden die Pakete im Flugzeug transportiert. Die Entladung dauert nur einige Minuten. dpa

Leipzig - Auf dem Vorfeld des Flughafens Leipzig/Halle parkt seit Monaten mutterseelenallein ein  alter Airbus 310. Das Flugzeug gehört der pakistanischen Staatsairline Pia, die den mitteldeutschen Airport  an New York anbinden wollte.

Die Pläne liegen längst auf Eis, das Flugzeug wurde aber  einfach stehengelassen. Nur wenige hundert Meter entfernt reihen sich  auf einem Vorfeld dutzende gelb-rote Flieger der Frachtgesellschaft DHL aneinander.  Am europäischen Frachtdrehkreuz von DHL werden jede Nacht von mehr als 60 Flugzeugen  hunderttausende  Päckchen eingeflogen, sortiert und wieder  verschickt.

Das Geschäft boomt und soll mit Hilfe aus China noch deutlich wachsen. Es  sind diese beiden Bilder, die den Airport aktuell  symbolisieren: Hochfliegende Pläne in der Fracht, ein gestrandetes Flugzeug im Passagier-Geschäft.

Ungeklärte Fragen bei Zusammenarbeit mit chinesischen Paketzusteller „SF Express“

Die vergangene Woche verbrachte Flughafen-Chef Johannes Jähn zusammen mit Sachsens Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU) auf einer zehntägigen Delegationsreise in China. In der Zehn-Millionen-Metropole Wuhan  unterschrieb der 40-Jährige ein sogenanntes „Memorandum of Understanding“ (Absichtserklärung) mit dem zweitgrößten chinesischen Paketzusteller „SF Express“.

Die Chinesen wollen ab 2020 Leipzig/Halle zu ihrem exklusiven Europa-Drehkreuz machen. Jähn sprach von einem „ganz großen Schritt“. Einige Medien feierten es  als „Mega-Deal“.  Bisher hat „SF Express“ jedoch noch keine Verkehrsrechte in Deutschland, selbst der Fracht-Flughafen in China, von dem die Gesellschaft nach Europa  fliegen will, ist noch nicht gebaut.

Es handelt sich also um ein Projekt, das noch mit vielen Fragezeichen versehen ist. Viele Beobachter fragen sich: Warum geht Jähn damit so frühzeitig hausieren?

Der Flughafenchef - groß gewachsen, schütteres Haar, oft mit freundlichem Lächeln - stammt aus Wittenberg: Im Herbst 2015 wurde der ehemalige Logistikchef der Bauhauskette Obi an den Flughafen geholt, um das Fracht- und Passagiergeschäft anzukurbeln. Er teilt sich die Verantwortung mit dem langjährigen Flughafen-Manager Markus Kopp.

Luftfahrtexperte: „Selbst wenn es anfangs nur einige Flüge sind, birgt das viel Potenzial“

Auf der letzten Auslandsreise des scheidenden Ministerpräsidenten Tillich wurden gute Nachrichten benötigt. Die  im Landesbesitz befindliche  Mitteldeutsche Flughafen AG sollte oder musste liefern. Das dürfte der erste Grund gewesen sein, warum der Deal so frühzeitig verkündet wurde. Zweitens, Markus Kopps Vertragsverlängerung steht offenbar an, auch ihm kommt gute Publicity entgegen, heißt es aus Unternehmenskreisen. Drittens, man hofft offenbar, über die staatlichen Beziehungen den chinesischen Partner fest an der Angel zu halten. 

Luftfahrtexperte Cord Schellenberg hält die angestrebte Kooperation für eine „ausgezeichnete Idee“.  Lufthansa und DHL hätten zahlreiche Flugverbindungen nach China. „Nun wollen die chinesischen Paketdienste, die hier kaum einer kennt, auf den europäischen Markt“, so Schellenberg.  

Das Problem fehlender Landerechte in Deutschland hält der Luftfahrtkenner für politisch lösbar.  „Selbst wenn es anfangs nur einige Flüge sind, birgt das viel Potenzial“, ist Schellenberg überzeugt. Die „Deutsche Verkehrszeitung“ sieht  „SF Express“ auf dem Weg ein internationaler Player wie DHL, Fedex oder UPS zu werden. Vor allem wegen des 2007 eröffneten  DHL-Drehkreuzes, an dem inzwischen knapp 5.000 Mitarbeiter tätig sind, ist Leipzig/Halle bereits heute der zweitgrößte deutsche Frachtflughafen - nach Frankfurt (Main).

Überschaubares Flugangebot am Flughafen Leipzig/Halle

Die russische Fracht-Airline „Volga Dnepr“ hat am Airport ihre Wartungsbasis für den Riesenflieger Antonov. Mit „SF Express“ könnte man in die europäische Champions League aufsteigen. An der Start- und Landebahn Nord hat der Airport jedenfalls noch viel Platz für Unternehmensansiedlungen. Das Frachtgeschäft ist die sonnige Seite des Flughafens.

Die schattige Seite  sieht so aus: Auf  die Abflug-Anzeigetafel am Airport-Terminal passen dieser Tage alle Flüge von 17 Uhr bis zum nächsten Abend 21.45 Uhr  - insgesamt 36. An vielen Großflughäfen reicht der Platz der Anzeige häufig nur für die Verbindungen einer Stunde. Das Flugangebot in Leipzig/Halle darf man also überschaubar nennen.

Passagiere sind voll des Lobes

Im  Bistro neben der Anzeigetafel sitzt Geschäftsfrau Ulrike Steeb mit ihrem Kaffee ganz allein. Sie organisiert die Schau „Partner Pferd“ auf der Leipziger Messe mit und pendelt regelmäßig zwischen  Leipzig und Stuttgart. „Ich kann nur Gutes sagen“, erzählt sie. „Der Flughafen ist schnell erreichbar, hat kurze Wege und es ist nicht viel Andrang.“ 

Der Magdeburger Unternehmer Klemens Gutmann, dessen Firma Regiocom mehrere Call-Center  betreibt, sieht es ähnlich. Wenn er bei Flügen  zwischen  Berlin, Hannover und Leipzig/Halle wählen kann, dann fliegt er vom mitteldeutschen Airport aus. „Die direkte Bahn-Anbindung ist für mich klasse“, so Gutmann. Doch leider könne er oft nicht wählen. Paris oder Amsterdam erreicht  er von Leipzig/Halle nicht direkt, London nur zu ungünstigen Zeiten.  

In den vergangenen sechs Jahren pendeln die jährlichen Fluggastzahlen zwischen 2,2 und 2,3 Millionen. Mal sind es etwas mehr, mal etwas weniger. Von der dynamischen Entwicklung der Region ist im Passagiergeschäft am Airport  wenig zu spüren. 

Jähn und Kopp haben dafür auch viele Erklärungen: So konzentrieren sich die  Billigflieger  Ryanair und Easyjet  auf Großflughäfen wie Berlin und Frankfurt, Air Berlin ist weggebrochen und politische Krisen in Nordafrika und der Türkei verhageln das Urlaubsfluggeschäft.  Mit neuen, kleineren Airlines hat der Flughafen auch kein Glück. So wurde eine Verbindung nach Amsterdam nach kurzer Zeit wieder eingestellt.

Leipzig/Halle setzt auf anspruchsvolle Ziele

Auch im Passagier-Geschäft setzt Jähn nun auf China. Leipzig/Halle soll ab 2018 mit der chinesischen Millionenmetropole Chongqing verbunden werden. Oberbürgermeister Chen Luyping will sich dafür einsetzen. In Frage kommt laut Jähn ein kombinierter Fracht- und Passagierverkehr, der insbesondere auf nach Deutschland reisende chinesische Touristen ausgerichtet sein könnte, die dann von Leipzig/Halle aus Ziele in Sachsen, Deutschland und Europa erkunden.

Doch auch hier ist noch nichts fest vereinbart. Dass Jähn sich überhaupt zu dem Vorhaben äußert, ist erstaunlich. Vor gut einem Jahr kündigte er zusammen mit dem damaligen deutschen Pia-Chef Bernd Hildenbrand Flüge mit der pakistanischen Airline  nach New York an. Die anschließende Hängepartie  und Betrugsvorwürfe gegen Hildenbrand schadeten dem Image des  Flughafens.  Was ist, wenn Jähns neue politische Freunde in China auch nicht mehr den Hörer abnehmen und er 2018 mit leeren Händen dasteht? 

Grundsätzlich ist es gewiss gut, wenn sich die Flughafen-Spitze anspruchsvolle Ziele setzt.  Doch an seinen Zielen wird man auch gemessen.

Chinas Antwort auf DHL, UPS & Co.

Das 1993 gegründete Unternehmen „SF Express“ ist nach der chinesischen Post inzwischen der zweitgrößte Kurierdienst in der Volksrepublik. Mit 300 000 Mitarbeitern und rund 15 000 Fahrzeugen liefert das Unternehmen täglich Millionen  Pakete aus - vor allem an Firmenkunden.

Der Konzern profitiert von dem schnell wachsenden Online-Handel in China. Laut „Deutscher Verkehrszeitung“ wurden in China im  ersten Halbjahr 2016  rund  13,25 Milliarden Sendungen transportiert, 57 Prozent mehr als im Vorjahr. Das ist ungefähr die gleiche Menge Pakete, die im Gesamtjahr 2015 in den USA zugestellt wurde. Das Unternehmen ging Ende 2016 an die Börse, seither zählt der 46-jährige Gründer Wang Wei mit einem Vermögen von 26 Milliarden US-Dollar zu den reichsten Chinesen. „SF Express“ expandiert auch im Ausland und liefert inzwischen in 50 Staaten - vorwiegend im asiatischen Raum.

Das Unternehmen hat eine Flugzeugflotte von 40 Maschinen. Diese soll bis 2020 auf 100 vergrößert werden, dazu wird ein eigener Flughafen gebaut. (mz)