Zusteller mit Billiglöhnen Paketboten für Amazon, UPS und Co: Moderne Weihnachtsmänner

Berlin - Der Weihnachtsmann fährt heute Auto. Immer mehr Geschenke werden online bestellt und von einem der fünf großen Paketzustelldienste in Deutschland an der Haustür abgeliefert.
Für das diesjährige Weihnachtsgeschäft rechnet der Bundesverband Paket & Express Logistik (BIEK) mit einem Umsatzplus von rund zehn Prozent im Vergleich zum Advent 2016. Die Zahl der Sendungen wird von 260 auf 290 Millionen zunehmen, an manchen Tagen erreichen bis zu 15 Millionen Pakete und Päckchen ihre Adressaten.
Für Kunden bequem, für Paketboten stressig
Für die Kunden ist der Onlinekauf bequem. Für die Beschäftigten von Post/DHL, UPS, Hermes, DPD und GLS dagegen ist der Advent die stressigste Zeit des Jahres.
Doch nicht allein die Zusteller ächzen. Die Lieferwagen der Paketdienste sind in vielen Innenstädten zu einem ausgemachten Ärgernis geworden. Weil’s immer schnell gehen muss, wird fast gewohnheitsmäßig in der zweiten Reihe geparkt, nicht selten sind vormittags drei oder vier Transporter in einer Straße unterwegs, angeliefert wird in der Regel bei laufendem Motor.
Lärm, Staus, Abgase, Stress - das ist der Preis für massenhafte Bestellungen per Mausklick. Und dieser Preis steigt absehbar weiter an. Nach Prognosen des BIEK wird die Zahl der Paketsendungen, die in diesem Jahr 3,3 Milliarden erreicht, bis 2021 auf mehr als vier Milliarden Sendungen jährlich wachsen. Wachstum? Ja, bitte. So wie bisher allerdings kann und darf es nicht weiter gehen.
Zusteller arbeiten oft nur für Mindestlohn
Das gilt zunächst für die Beschäftigten. Beim Weihnachtsmann im Lieferwagen handelt es sich nämlich oftmals um eine Arbeitskraft, die fürs Schleppen, Treppensteigen und fürs freundliche Lächeln an der Haustür nicht mehr als den gesetzlichen Mindestlohn von 8,84 Euro pro Stunde erhält.
Nur die Post und ihr Logistikunternehmen DHL sowie der US-Zusteller UPS beschäftigen vorwiegend eigene Paketauslieferer und bezahlen diese nach Haustarifvertrag oder dem geltenden Branchenflächentarifvertrag.
Die Stundenlöhne liegen, je nach Tarifbezirk und Eingruppierung, zwischen 11 und 19 Euro. Es gibt Betriebsräte, die sich um die Belange der Fahrer kümmern, auf Arbeits- und Gesundheitsschutz achten und die Interessen der Beschäftigten gegenüber der Unternehmensleistung vertreten. So weit, so gut.
Paketboten haben keine Gewerkschaft
Bei Hermes und DPD gibt es zwar auch Betriebsräte und Tariflöhne – allerdings nicht für die Paketzusteller, wie die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi kritisiert. „Diese beiden Unternehmen beschäftigen keine eigenen Zusteller, sondern beauftragen Sub- und Subsubunternehmen mit der Auslieferung“, weiß Verdi-Logistikexpertin Sigrun Rauch.
Diese Subunternehmen zahlten zumeist keine Tariflöhne, sondern eben nur das gesetzlich vorgeschriebene Minimum von 8,84 Euro pro Stunde. Auch an andere tarifvertragliche Regelungen – etwa zum Urlaubsgeld oder zur Vergütung von Überstunden – seien diese Subunternehmen nicht gebunden.
Als „schwarzes Schaf“ der Branche bezeichnet Rauch die GLS. Zu der Tochter der britischen Royal Mail existierten „keinerlei funktionierende Sozialbeziehungen“, auch ein Gesamtbetriebsrat fehle in dem Unternehmen.
Verdi sieht politischen Handlungsbedarf
Hinzu kommen Missstände, wie sie aus der Fleischbranche bekannt sind: Oftmals in Osteuropa rekrutierte Auslieferer werden über verschachtelte Subunternehmerketten zu untragbaren Bedingungen beschäftigt.
Sie erhalten weniger als den Mindestlohn, sind zu überhöhten Mieten in Notunterkünften untergebracht, sind als Scheinselbstständige tätig, müssen Teile des Arbeitslohns an Auftraggeber in ihren Herkunftsländern abliefern – und trauen sich nicht, gegen solche ungesetzlichen Methoden vorzugehen.
Vor diesem Hintergrund sieht Verdi politischen Handlungsbedarf: „Wir benötigen für die Paketzusteller Regelungen, wie sie im Sommer mit dem Gesetz zur Sicherung der Arbeitnehmerrecht in der Fleischwirtschaft in Kraft getreten sind“, sagt Rauch.
Nachhaltigkeit spielt auch eine Rolle
Danach haftet das beauftragende Unternehmen für die Einhaltung gesetzlich garantierter Arbeitnehmerrechte in allen beauftragten Subunternehmen. „Es geht darum, in einer weiter wachsenden Branche die Arbeitsbedingungen nachhaltig auszugestalten.“
Nachhaltigkeit ist auch bezüglich des wachsenden Innenstadtverkehrs und der damit verknüpfte Luftverschmutzung ein Thema. Aus der Logistikbranche kommt der Vorschlag, spezielle Parkplätze für Lieferdienste einzurichten.
Die Chancen, Bürgermeister davon zu überzeugen, sind indessen gering. Diese fordern stattdessen, die Zustellung zu bündeln, indem ein Lieferwagen für alle Paketdienste die Sendungen in einer Straße zustellt. Das wiederum werden die Unternehmen kaum mittmachen.
Schließlich herrscht unter den Zustellern scharfe Konkurrenz. Und die schnelle und zuverlässige Lieferung wird zunehmend zum Qualitätsmerkmal – mit der sogenannte letzte Meile als Flaschenhals, also dem Transport vom Verteilzentrum zur Haustür.
Wie sich Lärm- und Abgasbelastung verringern lassen, führt Amsterdam vor. Die dortige Stadtverwaltung setzt massiv auf Verkehr mit null Emissionen. Dort sind schon elektrische Lieferwagen in größerer Zahl unterwegs.
Im nächsten Schritt will die Stadtverwaltung alle Gewerbetreibenden dazu verpflichten, sich nur noch abgasfrei beliefern zu lassen. Dann dürften auch dort Streetscooter zum Einsatz kommen. Das ist ein Lieferfahrzeug, das die Deutsche Post zusammen mit Wissenschaftlern der RWTH Aachen entwickelt hat.
Unternehmen rüsten auf Elektroautos um
5000 Fahrzeuge sind mittlerweile im Einsatz. Sie werden mit Ökostrom geladen, emittieren also keine Stickoxide und vermeiden jährlich den Ausstoß 16.000 Tonnen CO2. Die Nachfrage von vielen anderen Unternehmen wächst beständig.
Auch mit Blick auf mögliche Fahrverbote für Dieselfahrzeuge, die im nächsten Jahr verhängt werden könnten. Laut Umweltbundesamt haben die leichten Nutzfahrzeuge hinter den Pkw mit zwölf Prozent den zweitgrößten Anteil an den giftigen Stickoxidemissionen in deutschen Städten.
Da erweist sich der Streetscooter zunehmend als Wettbewerbsvorteil für DHL, den Paketdienst der Post. Boris Winkelmann, Chef des Konkurrenten DPD, hat indes kürzlich mit einem ganz anderen Vorschlag für Aufregung gesorgt: Er will die letzte Meile einfach zu verkürzen.
Lieferkonzepte müssten weiter entwickelt werden
Die Sendungen sollen standardmäßig in Paketshops zum Abholen deponiert werden. Die Lieferung nach Hause soll nur noch gegen Aufpreis möglich sein. Auch Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Einzelhändler-Dachverbandes HDE, argumentiert in diese Richtung.
Zustell- und Abholkonzepte müssten weiter entwickelt werden. Etwa mit besagten Abholstationen, die von den Paketdiensten gemeinsam betrieben werden. Oder mit einer „Feinverteilung“ von kleinen Depots aus.
Die Feinverteilung werden womöglich bald kleine Roboterautos erledigen, die über die Gehsteige rollen. Diverse Experimente mit autonomen Zustellfahrzeugen auf sechs Rädern laufen in verschiedenen Städten.
Eine Alternative könnten Zustelldrohnen werden, die beispielsweise von Amazon im britischen Cambridge getestet werden. „Alle haben erkannt, dass auf der letzten Meile Innovation gefordert ist“, sagte kürzlich Ralf Kleber, Deutschland-Chef des weltgrößten Einzelhändlers in einem Interview.
Ihm ist dabei beinahe alles recht. Sein Unternehmen versuche sind an der Zustellung mittels Pkw-Kofferraum oder an einen geschützten Ort wie der Terrasse oder dem Balkon.
Womöglich schwirren Amazon-Auslieferer künftig auch mit Fahrrädern und mit elektrischen Lasten-Bikes von Ladengeschäften und/oder Mini-Verteilzentren des Unternehmen aus, die eines Tages in den Innenstädten entstehen könnten.
Denn Amazon will die Belieferung massiv beschleunigen. Mit Prime Now testet der Konzern derzeit schon in verschiedenen deutschen Städten, Produkte des täglichen Bedarfs innerhalb von ein, zwei Stunden zu bringen. Klebers Credo: „Das Paket muss zum Kunden.“
