"Orange Wine" aus dem Saale-Unstrut-Gebiet "Orange Wine" aus dem Saale-Unstrut-Gebiet: Rarität mit viel Geschmack

Freyburg - Auf dem Tisch von Gottfried Hage steht ein Glas mit Wein, Jahrgang 2013. Aufgrund der hell-orangenen Farbe könnte ein Gast bei einer Verkostung vermuten, es handelt sich vielleicht um einen Müller-Thurgau, der für seine goldenen Töne bekannt ist. Der Tropfen duftet auch frisch wie ein Weißwein, doch schon beim ersten Schluck wird jedem Weintrinker klar, dass hier etwas ungewöhnliches vor ihm steht. Geschmacklich ist es nur schwer einzuordnen. Der Wein ist fruchtig mit Holzaroma. Das würde eigentlich zu einem Rotwein passen.
Winzer Hage lächelt: „Wir haben 2013 etwas Neues gewagt.“ „Orange Wine“ (Oranger Wein) nennt der 26-Jährige diese Kreation. So heißen Weine, die möglichst ohne Zusätze und ohne aufwändige Kellertechnik produziert werden. Der Begriff ist nicht gesetzlich geregelt. In Deutschland wird häufig auch von Naturweinen oder „Raw Weinen“ gesprochen. Das Verfahren stammt aus dem biologisch-dynamischen Anbau. Charakteristisch ist, dass viele dieser Weine intensiv schmecken. Im Supermarkt und auch in vielen deutschen Weinhandlungen sind sie nicht erhältlich. Doch es gibt eine wachsende, internationale Fangemeinde, bei der die natürlichen Weine geradezu Kultstatus besitzen.
342 Flaschen abgefüllt
Das Weingut Dr. Hage aus Zeuchfeld, einem Ortsteil von Freyburg (Burgenlandkreis), ist mit 20 Hektar Rebfläche das zweitgrößte private Weingut im Saale-Unstrut-Gebiet. Eberhard Hage baute es nach der Wende auf. Sein Sohn Gottfried studierte in Halle Agrarwissenschaften und beschäftigte sich in seiner Abschlussarbeit mit der Rebsorte „Blauer Silvaner“. Diese blauen Trauben sind eine Rarität. Silvaner wird fast ausschließlich als helle Traube angebaut. Auch die blauen Trauben wurden von dem Weingut in der Vergangenheit zu Weißwein verarbeitet. Doch der junge Winzer wollte wissen, ob noch mehr möglich ist. Also beschäftigte er sich mit den „Orange Wines“.
Bei der klassischen Weißwein-Herstellung werden die Trauben nach der Ernte gepresst. Der entstandene Saft wird dann - vereinfacht dargestellt - unter der Zugabe von Hefe vergoren. Der Zucker aus den Trauben und die Hefe lassen Alkohol einstehen. Es ist die Kunst des Kellermeisters, bei diesem Prozess möglichst viele Aromen zu erhalten. Der Wein wird dabei unter anderem geschwefelt und teilweise auch durch Gelatine gefiltert, um ihn möglichst klar zu bekommen.
Aromen befinden sich in der Schale
Nach Worten von Hage ist sein Ansatz beim „Orange Wine“ ein anderer. Wie bei der Rotwein-Herstellung hat er zunächst die ganzen Trauben des Blauen Silvaners in einem sogenannten Maische-Behälter zum Gären gebracht. „Viele Aromen des Weines befinden sich in der Schale“, erklärt er. Auf den Schalen sind auch verschiedene Wild-Hefen. Durch diese wird eine natürliche Gärung angestoßen. Dann kommt der Wein nach einer mechanischen Filterung in ein Holzfass zur Nachgärung. Nur in sehr geringen Mengen hat Hage geschwefelt, um den Gärprozess aufzuhalten. „Da man in diesem Verfahren kaum eingreift, besteht das Risiko, dass die Weine nicht den Anforderungen genügen“, sagt Hage. Im schlimmsten Fall seien sie Ausschuss. Da viele Aromen im Wein blieben, sei es allerdings so auch möglich, „ganz hervorragende Weine herzustellen“. Mit dem ersten Jahrgang 2013 ist er sehr zufrieden. Hage hatte 220 Liter produziert und damit 342 Flaschen „Blauer Silvaner Antik“ abgefüllt. „Die sind eine Rarität“, sagt er.
Weinexperten kritisch gegenüber Trend
Viele Weinexperten standen dem Trend, der vor einigen Jahren aufkam, zunächst sehr kritisch gegenüber. Als „fehlerhaft“ oder „Plörre von Ökobauern“ wurden die Weine abgetan. Doch dies hat sich inzwischen geändert. Weinpapst Stuart Pigott sagte der MZ: „Jede Weinmode führt zu einer Erweiterung der stilistischen Bandbreite des Weines und hat damit eine positive Seite.“ Manche dieser neuen Weine seien spannend, andere geschmacklich zu herausfordernd.
Getränkeexperte Hermann Pilz vom Fachmagazin „Weinwirtschaft“ meint, dass einige dieser Weine ein „besonderes Aroma haben“. Insgesamt überwiegt bei ihm allerdings die Skepsis: „Wie der Wein wird, ist reiner Zufall.“ In vielen Fällen seien die Erzeugnisse technisch unzulänglich. Das heiße freilich nicht, dass sie einigen Verbrauchern nicht trotzdem schmecken.
Pigott würde keinem Winzer, der nicht von der Sache begeistert ist, raten mitzumachen. „Trittbrettfahrer werden schnell vom Trittbrett fallen.“ In Deutschland gibt es vielleicht ein oder zwei Dutzend Weingüter, die Naturweine regelmäßig herstellen. In Österreich haben sich schon eine ganze Reihe von Anbietern etabliert.
Keller ist kein Chemielabor
Die natürlichen Weine haben auch Gottfried Hages Interesse geweckt. In diesem Jahr hat er ein neues Fass mit 300 Liter „Orange Wine“ angesetzt. In Anbetracht von einer Fasskapazität von 170.000 Litern des Weingutes fällt dies zwar kaum ins Gewicht. Hage sieht darin allerdings „mehr als nur eine Spielerei“. Er studiert an der hessischen Hochschule Geisenheim Önologie (Kellerwirtschaft). „Bei der Beschäftigung mit den neuen Weinen überdenkt man auch herkömmliche Produktionsverfahren.“ Vor allem bei Verbrauchern in den Großstädten seien zunehmend Weine mit möglichst wenig Zusatzstoffen gefragt. Auch im Weinberg werde darauf geachtet, möglichst wenig Pflanzenschutzmittel einzusetzen. Eine prophylaktische Pilzbekämpfung etwa gegen Mehltau komme für ihn nicht infrage. Hage geht es nicht darum, Bioweine herzustellen. Doch der Weinkeller soll in seinen Augen auch kein Chemielabor sein.
Nach seiner Einschätzung muss jedes Weingut seinen eigenen Weg finden. „Es kann aber nicht schaden, sich mit einigen Produkten von anderen abzuheben.“ (mz)