1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Wirtschaft
  6. >
  7. Neues Bewertungssystem: Neues Bewertungssystem: Pflegeheime schlechter als bislang gedacht

Neues Bewertungssystem Neues Bewertungssystem: Pflegeheime schlechter als bislang gedacht

Von Timot Szent-Ivanyi 25.05.2016, 16:31
Ein Pfleger hält die Hand einer Patientin.
Ein Pfleger hält die Hand einer Patientin. dpa

Berlin - Gut gemeint ist nicht automatisch gut gemacht. Der sogenannten „Pflege-TÜV“ ist der beste Beweis dafür. Mit wenigen Klicks im Internet herausfinden, ob ein Pflegeheim oder ein ambulanter Pflegedienst seine Arbeit gut macht – das war die Idee, als die Politik 2009 das Benotungsverfahren einführte. Doch die Pflegenoten erwiesen sich als untauglich. Sie verschleiern, statt aufzuklären. Eine Reform kommt aber frühestens 2019. Nun hat sich die private Bertelsmann-Stiftung der Sache angenommen und ein neues Vergleichsportal aufgebaut. Die Ergebnisse der „Weißen Liste“ waren absehbar: Die Pflegeheime schneiden viel schlechter ab als mit der bisherigen Bewertung.

Problematisch ist bisher, dass Pflegeeinrichtungen auch dann eine gute Gesamtnote bekommen können, wenn sie in Kernbereichen der Pflege schlechte Qualität bieten, etwa bei der Versorgung der Pflegebedürftigen mit Flüssigkeit und Nahrung oder bei der Verhinderung des Wundliegens (Dekubitus). Das ist möglich, weil die schlechten Einzelnoten durch gute Bewertungen in weniger wichtigen Bereichen („Gibt es im Pflegeheim jahreszeitliche Feste?“) ausgeglichen werden können. Dadurch liegt der bundesweite Durchschnitt bei einem unrealistisch guten Wert von 1,3. Gut ein Viertel der Heime und 40 Prozent der Dienste erhalten eine glatte 1,0 als Bewertung. Außerdem ist die Schwankungsbreite der Gesamtnoten nicht sonderlich hoch.

Schon lange gibt es Versuche insbesondere der Krankenkassen, die wirklich wichtigen Faktoren herauszuheben beziehungsweise die Berechnung der Durchschnittsnoten zu ändern, um ein klareres Bild zu zeichnen. Doch bisher scheiterten sie an den komplizierten Entscheidungsstrukturen im Gesundheitswesen. Schließlich müssen bisher auch die Pflegedienste selbst zustimmen, doch die wollen aus verständlichen Gründen am liebsten alles so lassen wie es ist. Dem Patientenbeauftragten der Bundesregierung, Karl Josef Laumann (CDU), platze dann im vergangenen Jahr der Kragen. Er forderte die Aussetzung des Notensystems, um die Bevölkerung nicht weiter zu verunsichern. Doch insbesondere die SPD lehnte das mit der nachvollziehbaren Begründung ab, es bestehe dann die Gefahr, dass es am Ende gar kein Bewertungssystem mehr gebe.

Bertelsmann-Stiftung ermittelt tatsächliche Qualität

Die Bertelsmann-Stiftung hat nun das gemacht, was Experten schon seit längerem fordern: Die für die tatsächliche Qualität der Pflege wichtigen Faktoren werden in den Mittelpunkt gestellt. Gewertet für nur das, was direkt beim Pflegebedürftigen ankommt. Erhält er ausreichend zu trinken und zu essen? Wird etwas gegen die Gefahr des Wundliegens oder von Stürzen getan? Liegen alle Genehmigungen für die Verwendung von Bettgittern oder anderen „freiheitseinschränkenden Maßnahmen“ vor? Unberücksichtigt bleiben dagegen Punkte wie: „Wirken die Bewohner an der Gestaltung der Gemeinschaftsräume mit?“

In der Gesamtbewertung werden anschließend nur die Kriterien gezählt, die bei allen Bewohnern voll erfüllt werden. Schon wenn zum Beispiel bei einem Pflegebedürftigen die Dekubitusprophylaxe nicht richtig durchgeführt wird, gilt das Kriterium als durchgefallen. Das ist wesentlich schärfer als die Bildung von Durchschnittsnoten, was sich am Gesamtergebnis ablesen lässt: Nach der neuen Auswertungsmethode erfüllen nur 11 Prozent der Pflegeheime beziehungsweise 29 Prozent der ambulanten Dienste die bei ihnen geprüften Kriterien zu 100 Prozent. Rund zwei Prozent der Pflegeheime und vier Prozent der Pflegedienste haben lediglich ein Drittel oder weniger der bewerteten Kriterien voll erfüllt.

Ein konkretes Beispiel aus der Datenbank: Ein Heim hat bei den bisherigen Pflegenoten eine 1,4 mit damit ein „sehr gut“ erreicht. Die Bertelsmann-Bewertung kommt hingegen zu dem Ergebnis, dass nur 74 Prozent der Prüfkriterien voll erfüllt werden. Das liegt unter dem Bundesdurchschnitt von 80 Prozent. Denn in diesem Heim wurden zum Beispiel die „freiheitseinschränkenden Maßnahmen“ nicht bei allen Patienten regelmäßig überprüft. Außerdem bekamen nicht alle Heiminsassen die Medikamente, die ihnen verordnet worden waren.