Nach dem Hochwasser Nach dem Hochwasser: "Wir haben keine Zeit zum Jammern"

Naumburg/zeitz/MZ - Blütengrund 35. Die Naumburger Wein & Sekt Manufaktur hat nicht nur eine schöne Adresse, das größte private Weingut der Region liegt auch malerisch an der Saale. Vom 1. auf den 2. Juni sprang der Fluss allerdings in einer bis dahin noch nie dagewesenen Weise über die Ufer. Bis zum Pegelstand von 5,80 Metern hat man in der Manufaktur trockene Füße. Am Sonntag vor eineinhalb Wochen habe der Fluss bei sechseinhalb Metern und damit im Weinkeller sowie den Produktionsräumen mit Abfüllmaschinen gestanden, berichtet Inhaber Andreas Kirsch. Rund um die Uhr, 48 Stunden, kämpften der Winzer und seine Mitarbeiter mit Sandsäcken und Pumpen gegen die Fluten. „Am Ende gelang es, wichtige Maschinen und die abgefüllten Flaschen trocken zu halten“, sagt Kirsch. Auch das 900 Jahre alte Kellergewölbe mit dem ältesten deutschen Sektkeller blieb weitgehend von Nässe verschont. In den letzten Tagen reinigten die Mitarbeiter bereits mit Schrubber und Wischlappen die Gebäude. Am Dienstag lieferte Kirsch erstmals wieder Wein aus. „Wir haben keine Zeit zum Jammern“, sagt er. „Wir wollen zur Normalität zurück.“
Schnelle Produktionsaufnahme
40 Kilometer weiter südöstlich erwischte es die Zuckerfabrik von Südzucker in Zeitz und das angrenzende Bioethanolwerk. Die Weiße Elster überflutete erstmals laut Werkchef Philipp Schlüter die Betriebe. Südzucker stellte die Produktion ein und den Strom ab, um Kurzschlüsse zu vermeiden. Auch bei Südzucker sind die Mitarbeiter derzeit mit der Reinigung der Anlagen beschäftigt. Zur Schadenshöhe kann Schlüter noch keine Angaben machen. „Die Instandhaltung und die Reparaturen beginnen gerade.“ Doch auch die Zuckerfabrik hat die Produktion wieder aufgenommen, die Biosprit-Herstellung wird gerade hochgefahren.
Zwei Beispiele, die zeigen, dass die Unternehmen in den Hochwassergebieten versuchen, die Ausfälle gering zu halten. Zum Ausmaß des gesamten Schadens für die Wirtschaft kann der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau (IHK), Thomas Brockmeier, noch keine Angaben machen. Bei der Flut 2002 habe es im südlichen Sachsen-Anhalt zwischen 800 bis 900 geschädigte Unternehmen gegeben. „Die Betroffenheit ist diesmal größer als damals“, sagt Brockmeier. Denn diesmal gebe es auch große Überflutungen an Saale und Weißer Elster - nicht nur an Elbe und Mulde.
Nach Einschätzung von Brockmeier haben viele Unternehmen eine Versicherung. Dies gelte freilich nicht für Betriebe in unmittelbarer Flussnähe. „Eine Gaststätte an der Saale versichert keine Gesellschaft“, sagt Brockmeier. So habe es viele gastronomische Einrichtungen an den Flüssen hart getroffen. Der IHK-Hauptgeschäftsführer spricht von einem Gastwirt in Weißenfels, der erst vor kurzem ein Restaurant übernommen hatte, das nun regelrecht abgesoffen ist. Einige Metallfirmen konnten teure Werkzeugmaschinen nicht mehr vor den Fluten retten. Die Produktion liege daher für mehrere Wochen brach. „Einige Unternehmer stehen vor dem Nichts.“
Hart getroffen hat es auch einige Landwirte. Fritz Schumann vom Landesbauernverband teilte der MZ mit, dass im südlichen Sachsen-Anhalt 30 000 Hektar Grünland und 10 000 Hektar Ackerland überflutet seien (die MZ berichtete am Samstag). Dies entspricht einer Fläche von 52 000 Fußballfeldern. Inwieweit die Ernte dort vernichtet ist, wird sich erst in den nächsten Wochen zeigen.
Nur kurzfristige Konjunkturdelle
Einige größere Unternehmen werden auch mittelbar durch die Flut geschädigt. So kann der Industriepark bei Zeitz wegen einer kaputten Eisenbahnbrücke nicht mit wichtigen Rohstoffen beliefert werden. Dies führt zu Produktionsausfällen. „Fasst man all die negativen Auswirkungen im IHK-Bezirk zusammen, sind die Folgen gravierend“, erklärt Brockmeier.
Die Produktionsausfälle führen laut Udo Ludwig vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) in Sachsen-Anhalt zunächst zu einer Schwächung der Konjunktur. „Während die Industrie Produktionseinbußen oft aufholen kann, ist dies in der Landwirtschaft und der Gastronomie nicht möglich.“ In der zweiten Jahreshälfte erwartet Ludwig dagegen spürbare Impulse durch die Bauwirtschaft. „Straßen und Brücken werden repariert, Häuser neu hergerichtet“, so der Wirtschaftsforscher. Die Flut an Elbe und Mulde im Jahr 2002 hat nach seinen Worten nachweisbar gezeigt, dass der „positive Impuls durch staatliche und private Investitionen überwiegt“.
Der IWH-Forscher weist jedoch darauf hin, dass dies an der Definition des Bruttoinlandsproduktes liegt. Wertverluste beim Vermögen durch Hochwasserschäden würden nicht in die Berechnung der Wirtschaftsleistung eingehen, die vielen späteren Investitionen in neue Anlagen, Straßen und Gebäude hingegen schon.