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Mitfahrgelegenheit Mitfahrgelegenheit: Verärgerte Mitfahrer kündigen im Minutentakt

Von Stefan Sauer 25.04.2013, 17:32
Die Kostenlos-Zeit ist vorbei bei Mitfahrgelegenheit.de.
Die Kostenlos-Zeit ist vorbei bei Mitfahrgelegenheit.de. obs Lizenz

Berlin/MZ - Wenn plötzlich Geld für eine bislang kostenlose Leistung verlangt wird, ist die Reaktion der Kunden vorhersehbar: Sie sind verärgert und wechseln zur Konkurrenz. Dass dieses marktwirtschaftliche Prinzip auch für Dienstleistungen im Internet gilt, erfährt derzeit das Unternehmen Mitfahrgelegenheit.de, ein Ableger der europaweit tätigen Carpooling GmbH mit Sitz in München.

Deutschlands größter Online-Vermittler von Fahrgemeinschaften hat zum Monatswechsel eine Provision zulasten der Passagiere eingeführt. Seither müssen Mitfahrer bei Entfernungen von mehr als 100 Kilometern eine Gebühr in Höhe von elf Prozent des Fahrpreises an das Unternehmen überweisen (die MZ berichtete). Tausende Kunden machten daraufhin auf der Facebook-Seite des Unternehmens ihrem Verdruss Luft. Die Münchner verbuchten Kündigungen im Minutentakt. In Berlin wurde das kostenlos nutzbare Mitfahrportal Bessermitfahren.de gegründet.

Der Vorgang ist kein Einzelfall. Sobald es im Netz ums Bezahlen geht, dreht ein Teil der Nutzergemeinde durch. Dass man für das Herunterladen von Hits Geld an Musiker bezahlen soll, wird von manchem Internetaktivisten als Anschlag auf die Menschenrechte begriffen. Als die Telekom zu Anfang der Woche bekannt gab, von Mai an höhere Tarife für das Übertragen riesiger Datenmengen zu verlangen, folgte eine Kaskade wüster Beschimpfungen.

„Unter vielen Internetnutzern herrscht die völlig irrige Vorstellung, dass Freiheit im Netz auch Kostenfreiheit zu bedeuten hat“, sagt Konsumforscher Alexander Hennig, Wirtschaftsprofessor an der Uni Mainz. Im Online-Bereich habe sich eine ausgeprägte „Flatrate-Mentalität“ entwickelt. Daran seien die Anbieter nicht schuldlos, denn vieles wurde über Jahre ins Netz gestellt, ohne dafür Geld zu verlangen. Habe sich die Kundschaft daran gewöhnt, sei ein Preis für die bisher kostenfreie Leistung nur schwer durchzusetzen.

In der Tat macht Mitfahrgelegenheit.de geltend, die Registrierung der Mitfahrer und deren Gebührenbeitrag garantiere eine größere Zuverlässigkeit. Bisher hätten Fahrer nicht selten vergeblich auf Mitreisende gewartet. Dies sei nun anders, sagt Unternehmenssprecher Thomas Rosenthal. Man habe angesichts des rasanten Wachstums der Carpooling GmbH den kostenfreien Vermittlungsdienst nicht länger anbieten können.

Mehr als 60 Mitarbeiter betreuten 4,45 Millionen europaweit registrierte Nutzer, 750 000 Mitfahrgelegenheiten würden permanent im Netz angeboten, mehr als eine Million Mitfahrten pro Monat vermittelt. Allein durch Werbeeinnahmen und Kooperationspartner sei solcher Apparat nicht finanzierbar. Zumal Carpooling auch Geld verdienen möchte: Neben Mercedes mit 17 Prozent ist der Investor Earlybird mit 37 Prozent beteiligt.