Milchquote abgeschafft Milchquote abgeschafft: Revolution am Melkstand

Gatterstädt - Um 14 Uhr wird der Melkstand geöffnet. Gemütlich trotten die Kühe von Landwirt Jörg Kamprad aus dem Stall. Nur einige müssen mit einem „Hopp Hopp“ zum Aufstehen vom Strohlager bewegt werden. 660 Kühe hat die Agrargenossenschaft Querfurt in ihrem erst 2010 errichteten Stall in Gatterstädt stehen. Damit gehört sie zu den großen Milcherzeugern im Süden Sachsen-Anhalts. 27 Cent erhält der Betrieb derzeit für den Liter Milch. „Langfristig ist damit keine kostendeckende Produktion möglich“, sagt der Genossenschafts-Chef. Vor einigen Monaten bekam er noch 37 Cent. Das heute in der EU auch noch die Obergrenze für die Milchproduktion fällt, sieht Kamprad dennoch gelassen. „Die Milchquote hat in der Vergangenheit nicht für stabile Preise gesorgt“, sagt der Landwirt. Nun gewinne man zumindest die wirtschaftliche Freiheit, die Milchmenge selbst zu bestimmen.
Der 1. April 2015 ist für den europäischen Milchmarkt eine wahre Zäsur: Nach 31 Jahren wird die Milchquote abgeschafft. Als sie 1984 eingeführt wurde, gab es zu viel Milch auf dem Markt. Durch Stützungskäufe der EU entstanden riesige Butterberge und Milchseen in den Kühlhäusern. Durch die Begrenzung des Angebotes sollten die Preise - und damit auch die Einkommen der Bauern - gesichert werden. Wer die erlaubte Quote überschritt, zahlte Strafabgaben. Die Landwirte, die mehr produzieren wollten, mussten Quote hinzukaufen. Allerdings war die Quote niemals starr, sondern wurde mit zunehmender Milchnachfrage ausgeweitet.
Zahl der Erzeuger rapide gesunken
„Den Strukturwandel in der Milchwirtschaft hat sie nicht aufgehalten“, sagt Kamprad, der auch im Vorstand des Bauernverbandes Sachsen-Anhalt sitzt. Die Zahlen bestätigen dies: So sank die Zahl der Milcherzeuger in Deutschland seit 1984 von 369 000 auf 77 000. Die Milchmenge ist aber gestiegen. Das heißt, die Höfe wurden größer. Dennoch gibt es zwischen den Bundesländern erhebliche Unterschiede. In Bayern hat ein Milchbetrieb heute im Schnitt 32 Kühe, in Sachsen-Anhalt 184. Der deutsche Durchschnitt liegt bei 60.
Die unterschiedlichen Strukturen führen dazu, dass beim Thema Milchquote ein Riss durch die Bauernschaft geht. Der Deutsche Bauernverband, der die Mehrheit der Milchbauern vertritt, befürwortet den Ausstieg. Die Milchquote habe die unternehmerische Freiheit eingeschränkt und hohe Kosten verursacht. „In der Zeit der Milchquote mussten die Milchbauern schätzungsweise 15 Milliarden Euro an zusätzlichen Kosten für Superabgaben, Quotenkauf und Quotenpacht schultern“, so der Verband.
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Der Bund Deutscher Milchviehalter (BDM), der vor allem kleinere Höfe vertritt, sieht dies etwas anders. „Wir befürchten, dass ohne eine Regulation die Milchpreise in freien Fall geraten“, sagt BDM-Landesvorsitzender Peter Schuchmann. Der Landwirt führt einen Hof bei Stendal mit 240 Kühen. Schuchmann rechnet damit, dass viele Milcherzeuger nun die Produktion ausweiten und damit Milch noch billiger wird. Sein Verband plädiert dafür, dass es weiter Obergrenzen bei der Produktion gibt, sobald der Preis unter ein bestimmtes Niveau fällt. „Die Bauern, die dann mehr liefern, sollen dafür eine Strafabgabe zahlen“, fordert Schuchmann. Auch Landwirt Kamprad will nicht ausschließen, dass die Preise kurzfristig weiter fallen. „Langfristig werden sie steigen, weil 30 Cent je Liter keine wirtschaftliche Produktion erlauben“, sagt er. Sein Betrieb hat sich vorbereitet. In den vergangenen Jahren wurden 3,7 Millionen Euro in neue Ställe und Technik investiert. Bis zu 750 Kühe könnten nun gehalten werden. Kamprad betont, dass die neuen Anlagen den Kühen einen Auslauf im Stall ermöglichen. Das Futter stamme großteils von den eigenen Feldern, mit der Gülle werde eine Biogas-Anlage betrieben. Je nach Marktlage will Kamprad in den nächsten Monaten entscheiden, ob er weitere Kühe anschafft.
China ordert Babynahrung
Der Milchindustrieverband, als Vertreter der Molkereien, rechnet nicht mit einem rapiden Preisverfall. Deutschland sei der fünftgrößte Milchproduzent der Welt, heißt es. „Aufgrund gemäßigtem Klima und ausreichend Wasser gibt es gute Produktionsbedingungen“, sagte MIV-Hauptgeschäftsführer Eckhard Heuser der MZ. Rund 44 Prozent der deutschen Milch würde unter anderem als Milchpulver, Käse oder Quark ins Ausland verkauft. Umgekehrt würden 31 Prozent der in Deutschland verkauften Milchprodukte importiert. „Insgesamt wird aber mehr Milch hergestellt als verbraucht“, erklärt Heuser. Vor allem in Schwellenländern wie China steige der Bedarf. Deutsche Milch etwa in Form von Babynahrung sei dort sehr gefragt.
Fazit: Die Tendenz zu größeren Betrieben wird wohl zunehmen. Vor allem kleinere Höfe werden unter den erwarteten Preisschwankungen besonders leiden. Sie müssen sich wohl stärker spezialisieren. So wächst der Nischenmarkt für Biomilch. Dort liegt das Preisniveau etwas höher. (mz)
