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Landwirte sind am Limit Landwirte sind am Limit: Sachsen-Anhalts Bauern leiden unter beispielloser Dürre

Von Steffen Höhne 19.07.2018, 08:00
Die Felder in Sachsen-Anhalt sind extrem trocken. Ein kleiner Funke beim Ernten oder eine achtlos wegworfene Zigarette führen zu Bränden.
Die Felder in Sachsen-Anhalt sind extrem trocken. Ein kleiner Funke beim Ernten oder eine achtlos wegworfene Zigarette führen zu Bränden. Peter Wölk

Halle (Saale) - Am Vormittag hatte Landwirt Jörg Kamprad wieder ein Krisentreffen mit seinen Mitarbeitern: Bei der derzeit laufenden Weizenernte befürchtet die Agrargenossenschaft Querfurt Einbußen von bis zu 30 Prozent.

Diskutiert wurde, wie der Betrieb darauf reagiert. „Kein Maschinenersatz und strenge Kostenkontrolle bei allen Käufen“, sagt Kamprad. Durch die lang anhaltende Trockenheit gebe es deutliche Einbußen bei Gerste, Raps oder Mais. „Das wird die schlechteste Ernte seit Betriebsbestehen“, sagt der Landwirt.

In ganz Sachsen-Anhalt bangen die Bauern um ihre Ernte, einige auch um ihre Existenz. Seit Wochen fehlen Niederschläge. Wie dramatisch die Situation ist, zeigt der Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig.

Bereits bei einer moderaten Dürre wird das Wachstum der Pflanzen beeinträchtigt“, sagt Andreas Marx vom UFZ-Klimabüro. In der Altmark, in der Region Anhalt und Wittenberg wird aktuell der Dürregrad „außergewöhnlich“ erreicht.

Das Land Sachsen-Anhalt unterstützt bereits von der Dürre betroffene Bauern mit folgenden Maßnahmen:

Auf Antrag dürfen Landwirte ökologische Vorrangflächen wie Wiesen auch für Futterzwecke nutzen. Damit soll tierhaltenden Betrieben geholfen werden.

Die Landgesellschaft Sachsen-Anhalt und die bundeseigene Boden-Gesellschaft BVVG sollen Pachtstundungen entsprechend der wirtschaftlichen Lage der landwirtschaftlichen Unternehmen vornehmen.
Zudem soll die Landgesellschaft prüfen, ob sie auf Zinsen bei der Stundung von Zahlungen verzichten kann. 

Die Rentenbank wurde vom Land gebeten, zinsgünstige Darlehen an Betriebe auszureichen, die einen Ergebnisrückgang von mindestens 30 Prozent nachweisen können.

Sachsen-Anhalts Finanzminister André Schröder (CDU) hat die Finanzämter darauf hingewiesen, die Situation der Landwirtschaft zu berücksichtigen. Dabei geht es beispielsweise um die Stundung fälliger Steuern oder die Anpassung von Vorauszahlungen.

Die landeseigene Investitionsbank (IB) soll aus dem Programm „Land und Forst“ Bürgschaften bereitstellen. Bürgschaften können für Kredite zur Finanzierung von Investitionen, für Umschuldungen und Anschlussfinanzierungen sowie für Betriebsmitteldarlehen übernommen werden.

Stundungen von Sozialversicherungsbeiträgen können ebenfalls für eine kurzfristige Entlastung hilfreich sein. Landwirtschaftsministerin Claudia Dalbert (Grüne) hat sich aus diesem Grunde auch an die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau gewandt.

Eine solche Situation komme nur alle 32 Jahre vor, erklärt Marx. Schon im Frühjahr sei nur die Hälfte der normalen Niederschlagsmenge gefallen. Der Oberboden, die ersten 25 Zentimeter Erdschicht, in dem Getreide und Gräser wurzeln, trocknet aus. Auch vereinzelte Niederschläge könnten das aktuell nicht mehr ändern.

40 Prozent Ernteausfall

Sachsen-Anhalts Landwirtschaftsministerin Claudia Dalbert (Grüne), die in den vergangenen Tagen mehrere Höfe besucht hat, bringt die Situation wie folgt auf den Punkt: „Es ist unfassbar, wie es auf unseren Feldern aussieht, Mais ohne Korn, winzige Frühkartoffeln, kaum Futter fürs Vieh. Es ist wirklich ein Ausnahmezustand.“

Erste belastbare Zahlen lieferte heute der Deutsche Bauernverband. Vor allem der Norden und der Osten Deutschlands sind von der Dürre betroffen. Es werde mit „erheblichen Ernteausfällen“ gerechnet, sagte Bauernpräsident Joachim Rukwied. Beim Winterroggen gebe es Ertragseinbrüche von 40 Prozent gegenüber dem Vorjahreswert.

Der Bauernbund kommt in Testbetrieben in Nord- und Ostdeutschland zu folgenden Ergebnissen: Wintergerste minus 50 Prozent, Raps minus 40 Prozent, Weizen minus 35 Prozent gegenüber dem fünfjährigen Mittel. Ähnliche Zahlen hat auch der Bauernverband Sachsen-Anhalt ermittelt. Vor allem bei den Futtermitteln spitzt sich die Lage zu. Aufgrund des Wassermangels gab es nur einen sogenannten Grasschnitt. „Das reicht oft nicht für die Fütterung über den Winter“, sagt Kamprad.

Doch ein Zukauf von Futter sei für viele Betriebe aufgrund steigender Preise schwierig. „Wir werden bei einigen Betrieben Notschlachtungen erleben“, ist Kamprad überzeugt.

Das sieht der Bauernbund ähnlich. „Eigentlich müssten Landwirtschaftsbetriebe auch in der Lage sein, ein schlimmes Erntejahr zu überstehen“, sagt Bauernbundpräsident Kurt-Henning Klamroth. Doch bereits seit 2012 habe sich die Einkommenssituation vieler Betriebe „massiv verschlechtert“. Klamroth: „Viele Betriebe stehen mit dem Rücken an der Wand.“

Landwirtschaftsministerin Dalbert hat für betroffene Firmen finanzielle Erleichterungen wie Pachtstundungen durch die Landgesellschaft und Bürgschaftsprogramme (siehe: „Hilfsmaßnahmen des Landes“) auf den Weg gebracht. Die können jedoch nur die kurzfristige Liquidität sichern.

Die Bauernverbände fordern daher, dass der Notstand ausgerufen wird. „Die betroffenen Betriebe benötigen finanzielle Hilfen, um die Ernteverluste auszugleichen“, sagt Susanne Brandt vom Bauernverband. Ohne dieses Signal aus der Politik müssten viele der Unternehmen Flächen verkaufen, Kredite aufnehmen oder ganz aufgeben.

Notverkäufe an Investoren?

Bund und Land könnten wie bei der Flut 2013 staatliche Unterstützung gewähren. Laut Dalbert müssen dafür die Auswirkungen einer „Naturkatastrophe gleichzusetzen sein“. Das sei gegeben, wenn die Erträge der landwirtschaftlichen Unternehmen um mindestens 30 Prozent gegenüber dem Durchschnittsertrag gesunken sind. Im August werden vollständigere Erntedaten erwartet. Dem Land sind bis dahin die Hände gebunden, weil die EU die Zahlungen sonst als unerlaubte Beihilfen einstufen könnte.

Landwirt Kamprad, der zudem Vize-Präsident des Bauernverbandes Sachsen-Anhalt ist, hält Finanzhilfen auch für nötig. Doch sagt er offen, dass sie für viele Betriebe zu spät kommen werden. „Anträge, Prüfungen, Bearbeitungen und Genehmigungen werden sich über Monate hinziehen, frühestens ab Mitte 2019 wird dann vielleicht ausgezahlt.“

Der Agrar-Unternehmer prophezeit: „Sowohl einige größere Agrarfirmen als auch Familienbetriebe werden aufgeben, Investoren, die nicht aus der Landwirtschaft kommen, stehen zum Kauf der Äcker schon bereit.“  (mz)