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Krebs-Studie Krebs-Studie: Fleisch doch nicht so gefährlich wie Alkohol und Asbest?

Von Steffen Höhne 02.11.2015, 09:29
Verschiedene Fleischsorten in der Theke eines Geschäfts
Verschiedene Fleischsorten in der Theke eines Geschäfts Archiv/dapd Lizenz

Halle (Saale) - Fleisch und Wurst ergeht es nun wie zuvor Milch, Weizenmehl und Zucker. Lange galten sie als wertvolle und wichtige Grundnahrungsmittel. Doch immer neue medizinische Studien, deren wissenschaftliche Fundierung für Außenstehende kaum einzuschätzen ist, verunsichern die Verbraucher. Welches Lebensmittel sind in welchem Umfang überhaupt gesund?

Die Krebsforscher der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben verarbeitetes Fleisch nun erstmals auf eine Stufe mit Zigaretten, Alkohol oder Asbest gestellt. In den Sozialen Netzwerken, aber auch unter Experten, ist eine hitzige Diskussion über den Sinn oder Unsinn solcher wissenschaftlichen Veröffentlichungen entstanden, die viel mit Wahrscheinlichkeiten operieren und Unschärfen besitzen.

800 Studien wurden ausgewertet

Zunächst noch einmal zu den Ergebnissen: Schon länger gab es Hinweise darauf, dass der Verzehr bestimmter Fleischsorten das Risiko erhöht an einigen Krebsarten zu erkranken. Eine 20-köpfige Expertengruppe der Internationalen Krebsforschungsagentur (IARC) in Lyon hat nun über 800 Studien zum Thema ausgewertet. Das Resultat: Verarbeitetes Fleisch ist erwiesenermaßen krebserregend. Dazu zählen etwa Wurst und Speck, aber auch konservierte Fleischsorten wie Corned Beef oder Fertigsoßen mit Fleisch. Weniger eindeutig fällt das Urteil bei rotem Fleisch aus: Es ist vermutlich krebserregend. Fleisch von Rindern, Schweinen oder Schafen gehört dazu. Die Wissenschaftler stuften verarbeitetes Fleisch in die höchste von fünf möglichen Krebsrisikostufen ein - auf dieser steht unter anderem Tabakkonsum. Die Forscher versuchten das Risiko auch zu quantifizieren: Das Darmkrebs-Risiko steigt beim täglichen Konsum von je 50 Gramm verarbeitetem Fleisch um 18 Prozent, heißt es. Ein Hinweis, wie lange eine Person diese 50 Gramm täglich essen muss, fehlt allerdings.

Darmkrebs ist bei Männern und Frauen in Deutschland die häufigste Krebserkrankung. Pro Jahr erkranken rund 73.000 Menschen an Darmkrebs, 26.000 der Betroffenen sterben. Das individuelle Risiko hängt aber stark vom Alter ab. Zwischen dem 50. bis 60. Lebensjahr erkranken, statistisch gesehen, neun von 1.000 Männern. Im Alter zwischen 70 und 80 sind es 37. Auch bei hohem Fleischkonsum würden diese Zahlen allerdings nur leicht steigen.

Der Vergleich mit Rauchen und Alkohol, den das IARC anstellt, hinkt, gerade wenn man die Zahlen der Krebsforscher heranzieht. Danach sollen jedes Jahr weltweit 34 000 Krebstodesfälle auf verarbeitetes Fleisch und möglicherweise 50 000 auf rotes Fleisch zurückgehen. Das Rauchen verursacht laut IARC eine Million Krebstote pro Jahr, Alkohol 600.000 und Luftverschmutzung 200.000. Auch hier muss berücksichtigt werden, dass es nicht einfach ist, verschiedene Krebsursachen statistisch voneinander zu trennen.

Fleischwirtschaft will kein Sündenbock sein

Anhand dieser Zahlen verwundert es nicht, dass die Fleischwirtschaft nicht als Südenbock herhalten will. Dem Verein „Die Lebensmittelwirtschaft“ fehlen auch „klare wissenschaftliche Beweise dafür“, dass Fleisch wirklich ursächlich krebserregend sei. „Bislang konnte nie wissenschaftlich geklärt werden, welche Inhaltsstoffe aus dem Fleisch dem Menschen schaden könnten - ob es also tatsächlich das Fleisch selbst ist oder vielleicht doch die Verarbeitung durch Pökeln, Räuchern oder Fermentieren“, sagt Geschäftsführer Stephan Becker-Sonnenschein.

Man könne Fleisch bedenkenlos essen, sagte Heiner Boeing vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam daher auch im MZ-Gespräch. Auf die Menge komme es aber an. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt nicht mehr als 300 bis 600 Gramm pro Woche zu essen. Bundesweit sieht es (noch) anders aus. Männer verzehren im Durchschnitt wöchentlich etwa doppelt so viel, nämlich 1.092 Gramm.

Der Konsum ist allerdings rückläufig und liegt derzeit bei 60 Kilogramm pro Jahr. Nicht das Krebsrisiko, sondern Gammelfleisch, Dioxin in Schweinen, der Pferdefleisch-Skandal, Antibiotika-Hähnchen und die Zustände in der Massentierhaltung im Allgemeinen verderben immer mehr Deutschen den Appetit.

Vegetarische Kost im Trend

Die Industrie beginnt, sich darauf einzustellen. Einer der größten deutschen Wursthersteller, die Rügenwalder Mühle, bietet eine Vielzahl vegetarischer Produkte an. So wurde zuletzt der fleischlose „Schinken Spicker Bunter Pfeffer“ ins Sortiment aufgenommen. Das Unternehmen startete im vergangenen Jahr mit der vegetarischen Kost und ist selbst vom eigenen Erfolg überrascht. Geplant war, dass das neue Produktsortiment in fünf Jahren einen Umsatzanteil von 30 Prozent erreicht. Das Ziel wird nun wahrscheinlich schon im ersten Jahr erreicht.

Die Entwicklung von Rügenwalder zeigt, dass sich viele Verbraucher gesundheitsbewusster ernähren wollen. Statistisch gesehen haben die sogenannten Pescetarier die längste Lebenserwartung. Sie kombinieren eine vegetarische Ernährung mit Fisch. (mz)