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Kommentar zur Entwicklungshilfe Kommentar zur Entwicklungshilfe: Deutsche Afrika-Politik hat keine Strategie

Von Timot Szent-Ivanyi 11.06.2017, 15:40
Wolfgang Schäubles Initiative „Compact with Africa“ sieht anstelle von Steuervergünstigungen sogenannte Investitionspartnerschaften vor.
Wolfgang Schäubles Initiative „Compact with Africa“ sieht anstelle von Steuervergünstigungen sogenannte Investitionspartnerschaften vor. dpa

Berlin - An Konzepten mangelt es nicht: Da gibt es den „Marshall-Plan mit Afrika“ von Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU), das Papier „Pro! Afrika“ von Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) und die Initiative „Compact with Afrika“ von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).

Jahrzehntelang spielte Afrika auf der politischen Agenda Deutschlands nur eine untergeordnete Rolle. Doch seitdem klar geworden ist, was es heißt, wenn plötzliche Hunderttausende Flüchtlinge vor der Tür stehen, überschlägt sich die deutsche Politik mit Vorschlägen, um die Wirtschaftsentwicklung in Afrika zu fördern und damit die dort bestehenden Fluchtursachen einzudämmen.

Einigkeit nur über grobe Ziele

Doch bisher gibt es nur ein sehr buntes Sammelsurium an Ideen; das zeigt auch das in der vergangenen Woche von der Regierung beschlossene „Eckpunktepapier“ für die Zusammenarbeit mit Afrika. Eine übergeordnete und abgestimmte Strategie mit konkreten Maßnahmen und Zeitplänen fehlt. Gleichwohl lädt Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag und Dienstag in Berlin zu einer „G20-Afrika-Partnerschaftskonferenz“, an der zahlreiche afrikanische Regierungschefs teilnehmen werden.

Einigkeit herrscht in der Bundesregierung allenfalls über die Bestandsaufnahme und die groben Ziele: Bis 2050 wird sich die Bevölkerung Afrikas auf 2,5 Milliarden verdoppeln - das ist dann ein Fünftel der gesamten Weltbevölkerung. Die Hälfte der Menschen wird unter 25 Jahre sein, das wäre die jüngste Bevölkerung der Welt. Für die vielen jungen Menschen werden jährlich (!) 20 Millionen neue Jobs benötigt. Finden die Jugendlichen keinen Arbeitsplatz, werden sie sich auf den Weg in den Westen machen.

Firmen machen Bogen um Afrika

Entwicklungshilfe wie bisher, so die nicht wirklich neue Erkenntnis, reicht jedoch nicht ansatzweise aus, diesen Herausforderungen gerecht zu werden. Nötig sind deutlich höhere Investitionen der Privatwirtschaft, um die erforderlichen Jobs zu schaffen. Gerade deutsche Firmen machen um Afrika jedoch noch immer einen großen Bogen, weil sie die weit verbreitete Korruption und politische Instabilität fürchten: Während weltweit 400.000 deutsche Firmen aktiv sind, sind es in Afrika nur rund 1000 Unternehmen.

Der schnellste war Anfang Januar Entwicklungsminister Müller mit seinem „Marshall-Plan“, der allerdings von seinen Kabinettskollegen nur kühl aufgenommen wurde. So schlägt Müller zum Beispiel Steuervergünstigungen für Unternehmen vor, die in Afrika investieren – was Schäuble umgehend verstimmte. Das Konzept von Zypries verliert sich in Forderungen nach Gründung „hochrangiger Wirtschaftsgremien“ oder der Einsetzung eines „Afrikalotsen“ für die Wirtschaft.

Schäuble setzt auf Investitionspartnerschaften

Am weitesten gediehen ist der Schäuble-Plan, der bereits Konsens unter den G20-Finanzministern ist. Er sieht sogenannte Investitionspartnerschaften mit interessierten afrikanischen Staaten vor. Ziel ist es, durch Reformen zum Beispiel im Finanzsektor oder im Steuer- und Planungsrecht die Standortbedingungen für die Privatwirtschaft zu verbessern. Die konkreten Reformschritte sollen zusammen mit der Afrikanischen Entwicklungsbank, der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds sowie G20-Partnerländern entwickelt und dann mit deren Hilfe umgesetzt werden.

„Es geht nicht um Almosen oder neues Geld, es geht darum, dass bei der Schaffung neuer Jobs alle an einem Strang ziehen“, sagt Ludger Schuknecht, Chefökonom im Bundesfinanzministerium. Das sei eine völlige Neuausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit, lobt er das Konzept. Zu den ersten Staaten, die an dem Programm teilnehmen, gehören Marokko, Ruanda, Senegal, Äthiopien, Tunesien, Elfenbeinküste und Ghana. Die letzten drei will Deutschland gezielt unter seine Fittiche nehmen.

Migranten könnten Arbeitskräftemangel verhindern

Auch nichtstaatliche Entwicklungsorganisation erkennen inzwischen an, dass es ohne die Privatwirtschaft nicht gehen wird. Die entwicklungspolitische Lobbyorganisation One unterstützt die Investitionspartnerschaften, fordert aber auch, nicht die ärmsten und fragilen Staaten zu vergessen, schließlich sei hier das Bevölkerungswachstum am stärksten. Nach Ansicht von One-Deutschlanddirektor Stephan Exo-Kreischer reicht es daher nicht aus, nur auf die Privatwirtschaft zu setzen. Auch die staatliche Entwicklungshilfe müsse ausgeweitet werden, um die Investitionen in Bildung und Gesundheit erhöhen zu können.

One mahnt aber auch, das kräftige Bevölkerungswachstum in Afrika als Chance zu sehen: Um die Zahl der Erwerbstätigen in Europa trotz der Alterung aufrecht zu halten, werde bis 2050 eine Zuwanderung von 100 Millionen Arbeitskräften benötigt, das seien 2,5 Millionen pro Jahr, rechnet Exo-Kreischer vor: „Qualifizierte Migranten, auch aus Afrika, können dabei helfen, diese Lücke zu schließen.“