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Jubiläum Jubiläum: 130 Jahre Halberstädter Würstchen

Von Ingo Kugenbuch 23.11.2013, 11:34
Mitarbeiter der Halberstädter Würstchenfabrik
Mitarbeiter der Halberstädter Würstchenfabrik Archiv/Stedtler Lizenz

halberstadt/MZ - „Je weniger die Leute darüber wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden, desto besser schlafen sie nachts“, soll Bismarck gesagt haben. Zumindest was die Würste angeht, ist der Schlaf der Halberstädter gesichert: „Unsere Würstchen bestehen nur aus Fleisch, Gewürzen und Därmen“, sagt Silke Erdmann-Nitsch, Geschäftsführerin der Halberstädter Würstchen- und Konservenvertriebs GmbH, der MZ. Und ihr Vater Ulrich Nitsch, der Eigentümer des Würstchenimperiums, ergänzt: „Wir verwenden keine Fleischreste für unsere Wurst.“

Halberstadt ist bekannt für seinen Dom und berühmt für die im Buchenrauch geräucherten Würstchen. Und diese werden am Samstag 130 Jahre alt. Was brachte die Produkte aus der Fabrik von Friedrich Heine buchstäblich in aller Munde? Heine erfand eine Weltneuheit - das Würstchen aus der Konservendose. Das machte es haltbar und überall verfügbar. 1913 baute Heine die Fabrik, in der bis heute produziert wird. Damals war es Europas größte Wurstfabrik - mit Anschluss an den Bahnhof.

Nach der Neugründung 1992 zum Premiumhersteller

Nach zwei Kriegen und der DDR-Zeit wurde die Halberstädter Wurstfabrik neu geboren: 1992 übernahm Ulrich Nitsch, Fleischermeister und Kaufmann aus Lehrte bei Hannover, den Betrieb. Und er tat etwas für die damalige Zeit völlig unübliches: Anstatt auf der grünen Wiese eine Fabrik hochzuziehen und die Traditionsmarke auszuschlachten - wie es angeblich 28 Mitbewerber vorhatten -, investierte er in den heruntergekommenen Standort, brachte die Produktion auf modernes Niveau. Mit nach eigenen Angaben 35 Millionen Euro machte er Halberstädter zu dem, was es jetzt ist: ein Premiumhersteller, der im Osten bei konservierten Würstchen Marktführer ist und deutschlandweit immerhin auf dem fünften Platz rangiert.

Bis heute ist der 75-jährige Patriarch Eigentümer des Familienunternehmens. Dessen sechs Tochterfirmen leiten als Geschäftsführer Tochter Silke Erdmann-Nitsch und Sohn Stefan Nitsch. Wie schafft es eine Familie, so lange auf dem heiß umkämpften Lebensmittelmarkt zu bestehen? Für ihre Antwort bemüht Erdmann-Nitsch den Mythos der Marke, die als Logo ein zu den Domtürmen stilisiertes „H“ besitzt: „Wir haben eine 130-jährige Geschichte, das gibt uns ganz viel Kraft“, sagt sie. Zwar könnten sie sich als Familienunternehmen keine große Werbung leisten, hätten aber durch viele kleine Aktionen mit Qualität überzeugen können. Noch heute ist an jedem Dienstag um 12 Uhr ein heiliger Termin im Werk: Die drei Chefs verkosten neue Produkte. „Und nichts, was mir nicht schmeckt, kommt auf den Markt“, sagt Ulrich Nitsch.

„Bratwurstkracher im Länderstyle“

Die Halberstädter Würstchenleute ruhen sich aber nicht auf ihren Traditionen aus. Sie bringen ständig neue Produkte auf den Markt - zunächst, noch zurückhaltend, Eintöpfe. Jetzt gibt es aber mit Blick auf die Fußball-WM in Brasilien auch „Bratwurstkracher im Länderstyle“ und erstmals in der 130-jährigen Geschichte Würstchen zum Aufwärmen in der Mikrowelle. „Die neuen Produkte tragen zur Verbreiterung des Sortiments bei und machen das Unternehmen unabhängig von saisonalen Schwankungen“, so Erdmann-Nitsch. Dabei könnte auch die Produktion von Fleischwaren für die sieben Millionen Muslime in Deutschland helfen. Das Tochterunternehmen Hisar (Türkisch für Burg) soll Würste und Pasteten herstellen, die ohne Schweinefleisch auskommen, also halal sind.

„Sicher betreibt Halberstädter ein pfiffiges Marketing“, sagt Werner Reinhardt, Chef der Harzsparkasse, der das Unternehmen noch aus DDR-Zeiten kennt. „Aber Ulrich Nitsch ist auch ein knallharter Kaufmann - ein Geschäftsmann, wie man ihn von früher kennt und auf dessen Wort man sich immer verlassen kann.“

Trotz aller Bemühungen musste Halberstädter in diesem Jahr 18 Mitarbeiter entlassen. 1996 habe es noch 86 Einkäufer gegeben, heute erwirtschafteten fünf große Handelskonzerne 85 Prozent des deutschen Lebensmittelumsatzes, sagt Nitsch. Eines von ihnen, Kaufland, hatte wegen einer Preiserhöhung mehrere Produkte aus dem Harz ausgelistet. Das traf das Familienunternehmen empfindlich. Trotz dieser Kündigungen sei Halberstädter aber „wirtschaftlich gesund und innovationsstark“, betont Erdmann-Nitsch. Schließlich will sie auch den 150. Geburtstag des berühmten Würstchens feiern.