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ICE-Chaos auf der Neubaustrecke ICE-Chaos auf der Neubaustrecke: Diese Probleme macht das Zugsicherungssystem

Von Alexander Schierholz 13.12.2017, 22:19
Ein ICE-Sonderzug für Politiker und Bahnmanager verlässt am 08.12.2017 nach den Eröffnungsfeierlichkeiten den Bahnhof von Erfurt. 
Ein ICE-Sonderzug für Politiker und Bahnmanager verlässt am 08.12.2017 nach den Eröffnungsfeierlichkeiten den Bahnhof von Erfurt.  dpa-Zentralbild

Halle (Saale) - ETCS - dieses Kürzel ist gerade in aller Munde. Es steht für das Zugsicherungssystem auf der neuen Schnellfahrtrasse der Deutschen Bahn zwischen Berlin und München, das seit der Eröffnung am Wochenende erhebliche Probleme verursacht. Was steckt dahinter? Die MZ beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was heißt ETCS und wie funktioniert es?

Die Abkürzung steht für „European Train Control System“, zu deutsch Europäisches Zugkontrollsystem. Dabei stehen entlang der Strecke keine herkömmlichen Signale. Stattdessen erhalten die Lokführer per Mobilfunk Aufträge auf einem Bildschirm im Führerstand angezeigt, etwa: Bis Kilometer xy mit Tempo xy fahren. In regelmäßigen Abständen im Gleisbett installierte Bauteile, sogenannte Balisen, orten den Zug während der Fahrt und funken seine Position an ein Stellwerk und eine Steuerzentrale. Von dort werden die Anweisungen und wichtige Daten in den Führerstand gefunkt.

In anderen europäischen Ländern wird ETCS schon länger genutzt. Langfristig soll es europaweit zum Standard werden und mehr als 20 nationale Sicherungssysteme ablösen, die oft nicht miteinander kompatibel sind.

Warum gibt es keine Signale mehr?

Wegen der hohen Geschwindigkeiten auf der Trasse, bis zu Tempo 300, und der langen Bremswege. Normalerweise sind Bahnstrecken in Abschnitte unterteilt, die durch Signale getrennt und gesichert werden. Diese Abschnitte sind so lang, dass ein Zug aus voller Fahrt rechtzeitig zum Stehen kommen kann.

Dazu benötigt er Platz: Bei Tempo 160 etwa beträgt der Bremsweg eines Schnellzuges einen Kilometer, der Lokführer muss bei einem roten Signal also schnell reagieren. Bei Tempo 300 ist der Bremsweg entsprechend länger. Deshalb hat man die Signale von der Strecke quasi in den Führerstand verlegt.

Welche Probleme treten seit dem Wochenende auf?

Der Zug, die Balisen im Gleisbett und die Steuerzentrale kommunizieren ständig elektronisch miteinander. Klappt das nicht oder nur eingeschränkt, wird der Zug aus Sicherheitsgründen zwangsweise automatisch gebremst. Genau das ist seit dem Wochenende mehrmals passiert. Allein am Sonntag mussten nach Angaben der Bahn deshalb acht Züge erst langsamer und dann auf der alten Strecke weiterfahren - mit entsprechender Verspätung. Wie viele Züge insgesamt bisher von ETCS-Problemen betroffen waren, sagt der Konzern nicht. Reisende berichten seit dem Wochenende aber immer wieder von Verspätungen und Ausfällen.

Hinzu kommt: Seit Sonntag standen 16 ICE-Züge außerplanmäßig in der Werkstatt, vier davon wegen System-Fehlern, zwölf mit durch den Wintereinbruch verursachten Schäden. Ersatz für den Betrieb auf der Schnelltrasse, für den 35 Züge notwendig sind, ließ sich nicht so schnell beschaffen. Zwar sind im Fuhrpark der Bahn 110 ICE mit dem ETCS-System ausgerüstet. Ein Teil davon sei aber auf grenzüberschreitenden Strecken nach Belgien und Österreich gebunden, berichtet die „Süddeutsche Zeitung“. Derzeit komme es noch zu „Fahrzeugengpässen“, sagte am Mittwoch Birgit Bohle, im Bahn-Vorstand für den Fernverkehr verantwortlich.

Wie will die Bahn darauf reagieren?

Sie ist mit dem Zulieferer Alstom auf Fehlersuche. Welcher Art genau die ETCS-Probleme im einzelnen sind, ist nämlich noch nicht klar. Bohle sprach am Mittwoch von „verschiedenen kleinen Ursachen“ für die Störungen.

Wie wurden die Lokführer auf die Trasse vorbereitet?

So gut wie gar nicht, kritisiert Claus Weselsky, Chef der Lokführergewerkschaft GDL. Es habe für sie keinen Probebetrieb gegeben, sagte Weselsky den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Die Bahn wies das zurück und erklärte, die Lokführer seien „unter anderem durch Unterlagen zur Streckenkunde und Schulungsprogramme auf den Tablets“ geschult worden. Zudem habe es „hunderte Testfahrten mit Lokführern“ gegeben.

Was erwartet von den ICE-Pannen betroffene Kunden?

Ihnen will die Bahn abweichend von den üblichen Regelungen bei einer Verspätung von mehr als einer Stunde den Fahrpreis komplett zurückerstatten. Zusätzlich sollen sie einen 50-Euro-Reisegutschein erhalten. Dies gilt bis zum Ende des Jahres. (mz)

Das Zugsicherungssystem ETCS bereitet Probleme.
Das Zugsicherungssystem ETCS bereitet Probleme.
MZ/Büttner