Freihandelsabkommen TTIP Freihandelsabkommen TTIP: Was dran ist am TTIP-Chlorhuhn

Berlin - Ginge es nur um den Abbau von Zöllen, die Harmonisierung von Maßeinheiten und die Vereinheitlichung von Industrienormen, das TTIP wäre vermutlich so unbekannt wie die übrigen 31 Freihandelsabkommen, die die Europäische Union mit Nicht-Mitgliedstaaten bisher abgeschlossen hat. Aber es geht in den Verhandlungen zur „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ zwischen der EU und den USA um weitaus mehr: Regulierungen, die Verbraucherstandards, Umweltbelange oder den Tierschutz betreffen, sollen dies- und jenseits des Atlantiks so weit angeglichen werden, dass sie den freien Austausch von Waren und Dienstleistungen nicht beeinträchtigen. Sieht ein Unternehmen den Handel durch staatliche Aktivitäten eingeschränkt, so kann es unter Berufung auf den Investitionsschutz vor einem nichtstaatlichen Schiedsgremium den betreffenden Staat auf Schadensersatz verklagen. Diese Investitionsschutzverfahren werden bisher nicht öffentlich geführt, die Entscheidungen können nicht angefochten werden. Beides soll nach Aussage von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel beim TTIP allerdings anders geregelt werden. Die wichtigsten Kritikpunkte am TTIP im Überblick.
Lebensmittel
Zum einem Symbol für die Ablehnung des TTIP ist das „Chlorhuhn“ avanciert. Dabei ist das so bezeichnete Lebensmittel eigentlich gar nicht so problematisch. Es hat sogar Vorteile. In den USA wird Schlachtgeflügel zur Desinfektion mit Chlordioxid begast, wodurch Salmonellen und anderen gefährlichen Erregern der Garaus gemacht wird. In Europa ist die Methode zwar verboten, gesundheitliche Gefahren durch die Chlor-Behandlung sind aber nicht bekannt. Dagegen sind Vergiftungen durch die in europäischen Geflügelbeständen verbreiteten Salmonellen durchaus geläufig. Das „Chlorhuhn“ ist also eigentlich ungeeignet, um tatsächlich drohende Gefahren durch das TTIP zu versinnbildlichen. Diese gibt es nämlich in der Tat: In den USA sind, anders als in Europa, Antibiotika- und Hormonbeigaben zur Wachstumsförderung in der Tiermast erlaubt.
TTIP ist die Abkürzung für Transatlantic Trade and Investment Partnership, also eine transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft oder noch kürzer gesagt: ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA.
Die Verhandlungen wurden 2013 aufgenommen. Kanzlerin Angela Merkel hätte gern einen Abschluss der Verhandlungen bis Ende des Jahres. Wegen des aufziehenden Präsidentschaftswahlkampfs in den USA dürften sich die Verhandlungen allerdings bis 2018 hinziehen und damit auch im nächsten Bundestagswahlkampf 2017 ein Thema werden.
Das Europaparlament muss dem Abkommen zustimmen, strittig ist, ob auch die nationalen Parlamente der EU-Staaten den Vertrag billigen müssen. Dazu läuft derzeit ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof.
Am 20. April beginnt in New York die nächste Verhandlungsrunde mit den USA. Am Wochenende startet eine Bürgerprotestaktion. In den EU-Staaten werden Unterschriften gesammelt.
Wer in Berlin an den Protesten teilnehmen möchte, kann sich unter www.campact.de informieren.
Beides ist geeignet, die Gesundheit des Menschen zumindest indirekt beeinträchtigen. Vor allem die massenhafte Verwendung von Antibiotika kann dazu führen, dass resistente Keime entstehen, die für Menschengefährlich sein können. Zudem sind in den USA gentechnisch veränderte Lebensmittel frei verkäuflich und müssen nicht einmal als solche gekennzeichnet werden. Demgegenüber ist der Gentechnikeinsatz in der EU auf Tierfuttermittel begrenzt, die zudem mit einem entsprechenden Hinweis gekennzeichnet sein müssen. Die Bundesregierung hat zwar betont, dass es zu keiner Absenkung europäischer Standards durch das TTIP kommen wird. Dessen ungeachtet könnten US-Lebensmittel- und Gentech-Konzerne unter Berufung auf den Investitionsschutz Schadensersatz verlangen, wenn sie ihre Erzeugnisse nicht frei in Europa verkaufen können.
Investitionsschutz
Daran wird deutlich, warum der Investitionsschutz so sehr in der Kritik steht. Im konkreten Beispiel könnten Unternehmen sogar gegen eine EU-Regelung vorgehen, die auch nur eine klare Kennzeichnung von Gen-Food vorschreibt. Eine solche Kennzeichnung würde nämlich die Absatzchancen in Deutschland und anderen EU-Ländern drastisch verringern, so dass sich US-Konzerne um den Ertrag ihrer Investitionen gebracht sehen könnten und daraus Schadenersatzansprüche ableiten. Beispiele für solche Verfahren gibt es einige: Der Pharmahersteller Eli Lilly fordert von Kanada 500 Millionen US-Dollar, weil dort der Patentschutz für zwei Medikamente abgelehnt wurde; der Tabak-Konzern Philip Morris verlangt von Uruguay Ausgleichszahlungen wegen der staatlichen Anti-Raucher-Kampagne, das Energie-Unternehmen Lone Pine hat die Provinz Quebec wegen deren Fracking-Moratorium auf Zahlung von 250 Millionen Dollar verklagt, Vattenfall will 4,7 Milliarden Euro vom Bund wegen des Atomausstiegs und der niederländische Versicherer Achmea ging gegen eine – gewinnmindernde - Gesundheitsreform in der Slowakei vor.
Gesundheit und Kosmetika
Letzteres Beispiel verweist darauf, dass auch der Gesundheitsbereich von Freihandelsabkommen betroffen ist. Im Fall des TTIP geht es vor allem um unterschiedliche Patentlaufzeiten und nationale Preisdämpfungsmaßnahmen für Arzneimittel. Der Patentschutz in Europagilt in der Regel für zehn Jahre. Im Anschluss können andere Hersteller ein Medikament nachahmen und billig auf den Markt bringen. Durch diese Generika-Präparate sparen die Krankenkassen jedes Jahr viele Milliarden Euro ein. In den USA laufen die Patentrechte länger, teils bis zu 20 Jahren. In der Folge müssten hiesige Krankenkassen und so letztlich die Versicherten länger höhere Preise für die patentschützten Arzneien zahlen. Außerdem könnten US-Hersteller gegen staatlich festgelegte Arzneimittelrabatte und andere Kostendämpfungsgesetze klagen.
Bei Kosmetika drohen weniger steigende Kosten, als vielmehr gesundheitliche Risiken. 1378 Substanzen dürfen nach der EU-Kosmetikverordnung nicht verwendet werden, für 266 weitere ist der Einsatz eingeschränkt. In den USA sind gerade einmal elf Stoffe verboten. Erlaubt sind dagegen Teere, Bleiverbindungen und hormonell wirksame Beigaben, die in der EU ausdrücklich verboten sind. Hieran werden unterschiedliche Ansätze deutlich, die den Verbraucherschutz dies- und jenseits des Atlantiks prägen: In Europa gilt das Vorsorgeprinzip, demzufolge die Ungefährlichkeit eines Stoffes im Zweifel nachgewiesen werden muss. In den USA hingegen gelten Stoffe als unbedenklich, solange ihre Gefährlichkeit nicht erwiesen ist.
Tier- und Umweltschutz
Auch in diesen Bereichen sind die Unterschiede beträchtlich. Während bei uns Tierversuche für Kosmetika seit Jahren verboten sind, ist es in den USA sogar vorgeschrieben, Produkte wie Zahnpasta oder Sun-Blocker vor der Markteinführung an Tieren zu testen. Auch in der Tierhaltung sind europäische Vorschriften strenger: In den USA ist die Käfighaltung von Geflügel weiterhin erlaubt, ebenso wie die so genannte Kastenhaltung von Schweinen, bei denen die Tiere in engste Käfige eingepfercht sind. Das Fleisch solcher Tiere wäre nach Inkrafttreten des TTIP auch in Europa verkäuflich. Und wenn nicht, drohen Investitionsschutzverfahren.
Kultur
Selbst der kulturelle Bereich ist vom TTIP berührt. Im Urheberrecht unterscheidet sich das Rechtsverständnis anglo-amerikanischer und kontinentaleuropäischer Prägung in einem zentralen Punkt: In Europa dominiert das Konzept von einer unauflöslichen Verbindung zwischen dem Schöpfer – einem Autoren, Musiker oder bildenden Künstler - und seinem Werk. Daher gibt es in Deutschland das Urheberpersönlichkeitsrecht, demzufolge der Schöpfer oder Urheber auch dann Einfluss auf die Verwertung seines Werkes nehmen kann, wenn er die Rechte daran abgetreten hat. Im Copyright der USA ist ein solcher Anspruch auf Einflussnahme nicht vorgesehen. Tritt ein Urheber in den USA alle Rechte an seinem Werk ab, verliert er damit auch jeden Einfluss auf dessen Verwendung. Dafür gibt es –anders als in Kontinentaleuropa - im amerikanischen Urheberrecht eine Regelung namens Fair Use, die eine nicht autorisierte Nutzung von urheberrechtlich geschützten Inhalten erlaubt, sofern dies der öffentlichen Bildung zuträglich ist. Ein weitere zentraler Unterschied ist die Buchpreisbindung, die es in Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, den Niederlanden, Österreich, Portugal und Spanien gibt, nicht aber in den USA. Eine Angleichung der Rechtslage erscheint in dem Punkt kaum möglich. Mithin könnten US-Anbieter klagen, die sich durch Buchpreisbindung und Urheberrecht am Verkauf ihrer Erzeugnisse gehindert fühlen.
