Überblick Freihandelsabkommen mit der EU: Wer darf über Abschluss von Handelsabkommen mit der EU entscheiden?

Luxemburg - Wer darf über den Abschluss von Freihandelsabkommen entscheiden? Auf diese Frage werden Richter des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) an diesem Dienstag eine mit Spannung erwartete Antwort geben. Für die EU steht viel auf dem Spiel.
Die wichtigsten Punkte im Überblick:
Worum geht es genau?
Vor allem um die Frage, wann nationale Parlamente wie der Bundestag direkt an der Entscheidung über den Abschluss von Freihandelsabkommen beteiligt werden müssen. Die EU-Kommission, die solche Verträge im Auftrag der Mitgliedstaaten aushandelt, ist der Meinung, dass es nach EU-Recht ausreicht, wenn das EU-Parlament und der Ministerrat als Vertretung der Mitgliedstaaten abstimmen. Die Mitgliedstaaten sind jedoch der Auffassung, dass die nationalen Parlamente ebenfalls beteiligt werden müssen.
Der EuGH soll nun ein für alle Mal für Klarheit sorgen. Als Musterfall wurde das zwischen 2010 und 2014 ausgehandelte Freihandelsabkommen mit Singapur ausgewählt.
Wie argumentiert die EU-Kommission?
Die EU-Kommission verweist darauf, dass die Handelspolitik seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon im Jahr 2009 in die alleinige Zuständigkeit der EU-Institutionen fällt. Sie fürchtet, dass eigentlich gute Abkommen scheitern könnten, wenn nicht nur das Europaparlament, sondern auch Parlamente in Mitgliedstaaten zustimmen müssen.
Die demokratische Legitimation ist nach Ansicht der EU-Kommission durch die Mitwirkung des EU-Parlaments gewährleistet. Die Europaabgeordneten seien schließlich demokratisch von allen EU-Bürgern gewählt.
Stichwort gefährlich: Sind die Brüsseler Ängste gerechtfertigt?
Die Erfahrungen des vergangenen Jahres sprechen dafür. Im Frühjahr stimmten die Wähler in den Niederlanden mehrheitlich gegen das Partnerschaftsabkommen der EU mit der Ukraine. Der von den übrigen 27 EU-Mitgliedstaaten schon ratifizierte Vertrag konnte nur durch lange Verhandlungen über eine Zusatzerklärung gerettet werden.
Im Herbst gab es dann ein Drama um das Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (Ceta). Es wäre fast gescheitert, weil die politische Führung der belgischen Region Wallonie der Föderalregierung die notwendige Zustimmung zur Unterzeichnung des Abkommens verweigerte. Für die EU war die tagelange Hängepartie international eine Blamage, es stellte sich die Frage nach der Handlungsfähigkeit.
Wie argumentieren die EU-Staaten?
Gerade in Ländern wie Deutschland und Österreich wird eine Einbeziehung der nationalen Parlamente wegen der kritischen Öffentlichkeit für unverzichtbar gehalten. So hatte der damalige SPD-Chef und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel bei den Ceta-Verhandlungen klar gemacht, ohne Zustimmung von Bundestag und Bundesrat könne es kein Ja aus Deutschland zum Abkommen geben.
Was ist relevant für das EuGH-Gutachten?
In den EU-Verträgen ist in allgemeiner Form festgelegt, welche Politikbereiche in die alleinige Zuständigkeit der EU-Institutionen fallen und in welchen Politikbereichen die Nationalstaaten alleine beziehungsweise zusammen mit den EU-Institutionen zuständig sind.
Wenn der EuGH zu dem Ergebnis kommt, dass alle Regelungen im Freihandelsabkommen mit Singapur in die alleinige Zuständigkeit der EU-Institutionen fallen, können die Regierungen nicht darauf bestehen, dass ähnliche Abkommen vor dem Abschluss auch den Länderparlamenten vorgelegt werden müssen.
Gibt es jedoch Regelungen, die in den Bereich der gemischten Zuständigkeit fallen, können die Mitgliedstaaten darauf bestehen, die nationalen Parlamente am Abschluss zu beteiligen. Wenn es Bereiche gibt, die in die alleinige Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, müssen sie das sogar.
Gibt es schon Hinweise, wie das Urteil ausfallen könnte?
Die Generalanwältin am EuGH plädierte im Dezember dafür, den mit Singapur ausgehandelten Vertrag als Abkommen einzustufen, das nicht in die alleinige Zuständigkeit der EU-Institutionen fällt. Sie argumentierte, dass zum Beispiel Regelungen, die grundlegende Arbeits- und Umweltnormen betreffen, in den Bereich der gemischten Zuständigkeit fielen.
Gar keine Entscheidungskompetenz hätten die EU-Institutionen darüber hinaus bei Regelungen, die sich auf Verträge beziehen, die EU-Mitgliedstaaten früher bilateral mit Singapur abgeschlossen haben. Dass der weitaus größte Teil des Abkommens, zu dem zum Beispiel alle Regeln zum Zollabbau zählen, in den alleinigen Zuständigkeitsbereich der EU-Institutionen fällt, tut ihrer Auffassung nach nichts zur Sache.
Welche Konsequenzen wird das EuGH-Gutachten haben?
Das ist die große Frage. Wenn die Richter der Linie der Generalanwältin folgen, könnten sich die EU-Staaten einfach darauf einigen, künftig alle Handelsabkommen den nationalen Parlamenten zur Zustimmung vorzulegen – in der Hoffnung, dass alle zustimmen. Alternativ könnten die zuletzt sehr umfassenden Abkommen gesplittet werden – in einen Teil, der in die alleinige Zuständigkeit der EU fällt und in einen Teil, bei dem die nationalen Parlamente mitentscheiden. Auf diese Weise würde verhindert, dass über Jahre hinweg ausgehandelte Vertragswerke an der Stimme eines Landes oder einer Region scheitern.
Sicher ist, dass der Text des Abkommens mit Singapur noch einmal geändert werden müsste: Er sieht vor, dass es als Abkommen zwischen der EU und Singapur ohne Beteiligung der Mitgliedstaaten abgeschlossen wird.
Werden die Handelspartner die möglichen Verzögerungen akzeptieren?
Ihnen wird nichts anderes übrig bleiben, wenn sie mit der EU Freihandelsabkommen abschließen wollen. Es bleibt zudem die Möglichkeit, den Großteil der Regelungen bereits vor der endgültigen Ratifizierung in Kraft treten zu lassen – dabei handelt es sich in der Regel um all diejenigen, die in die alleinige Zuständigkeit der EU-Institutionen fallen.
Unklar bleibt jedoch, was passiert, wenn ein nationales Parlament dann die Zustimmung zum vollständigen Inkrafttreten des Abkommens verweigert. Niemand hat bislang eine Antwort auf die Frage, wie lange ein Abkommen vorläufig angewendet werden darf. Vermutlich müsste wieder der Europäische Gerichtshof eingeschaltet werden. (dpa)