Freihandelsabkommen Freihandelsabkommen: Das wichtigste zum TTIP-Leak in fünf Fragen und Antworten
Berlin - Es ist eine Veröffentlichung, die vielen in Brüssel und Washington nicht gefallen dürfte: Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hat am Montag vertrauliche Dokumente aus den Verhandlungen über das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP ins Internet gestellt. Begleitet wurde dies von Vorab-Veröffentlichungen in führenden deutschen Medien und einer Pressekonferenz in Berlin. Die Aufregung ist groß, die Debatte über Nutzen und Risiken des geplanten Abkommens zwischen der Europäischen Union und den USA ist wieder voll entbrannt.
Das Abkommen müsse umgehend in den Mülleimer befördert werden, forderte am Montag Greenpeace-Handelsexperte Jürgen Knirsch. „Das Beste, was die EU-Kommission tun kann, ist zu sagen: Sorry, wir haben einen Fehler gemacht.“ TTIP greife massiv in europäische Regelungen zum Umwelt- und Verbraucherschutz ein – und zwar „mehr als zuvor vermutet“. Aber sind die jetzt veröffentlichten TTIP-Dokumente tatsächlich so brisant, wie die Umweltschutzorganisation und die mit ihr kooperierenden Medien behaupten? Zweifel sind angebracht. Ein Blick auf den Stand der Dinge.
Was genau hat Greenpeace veröffentlicht?
Die Organisation hat Dokumente von 13 Kapiteln der laufenden TTIP-Verhandlungen ins Internet gestellt. Es handelt sich um Abschriften und nicht um Originale. Insgesamt geht es um rund 250 Seiten in englischer Sprache. Sie sollen den Verhandlungsstand in den Gesprächen zwischen den europäischen und den amerikanischen Unterhändlern bis April widergeben – das heißt ohne die 13. Verhandlungsrunde, die vergangene Woche in New York stattfand. Die Quelle der Dokumente ist öffentlich nicht bekannt. Es muss sich aber um eine europäische Quelle handeln. Denn oben auf den Papieren steht jeweils „Restricted EU“. Das entspricht der deutschen Klassifizierung „Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch“. Dem Vernehmen nach sollen die Unterlagen aktueller sein als jene, die die Bundestagsabgeordneten in einem streng überwachten Leseraum des Wirtschaftsministeriums zu Gesicht bekommen.
Was steht in den Dokumenten?
Das ist der entscheidende Punkt: Die Papiere enthalten noch keine endgültigen Texte. Sie sind vielmehr eine Momentaufnahme und geben die Positionen der beiden Seiten zu einzelnen Verhandlungsgegenständen wieder, etwa im Hinblick auf die Themen Lebensmittelsicherheit, Zölle, Landwirtschaft oder öffentliches Beschaffungswesen. Wie bei internationalen Verhandlungen üblich, werden in den Texten strittige Punkte in eckige Klammern gesetzt. In den nun veröffentlichten TTIP-Papieren wimmelt es von eckigen Klammern. Mal wird um einzelne Wörter gefeilscht, mal um komplexere Gedanken oder gar um grundsätzliche Zugänge zu einzelnen Themen. Überall, wo eckige Klammern stehen, haben sich EU und USA bisher nicht auf gemeinsame Formulierungen einigen können. Möglicherweise werden aber im weiteren Verlauf der Gespräche auch nicht alle strittigen Fragen geklärt. Kommt es zu Kompromissen, müssen diese nicht zwangsläufig in der Mitte zwischen den Ausgangspositionen beider Seiten liegen.
So geht es weiter bei TTIP
Enthalten die Papiere überhaupt Neuigkeiten?
Die Dokumente geben detaillierte Einblicke in die Positionen beider Seiten und lassen auch Rückschlüsse auf die Verhandlungstaktiken der Unterhändler zu. Freilich waren die Positionen zumindest in ihren Grundzügen auch bisher schon zum Teil bekannt und Gegenstand der öffentlichen Debatte. So wollen die Europäer etwa beim wichtigen Thema Verbraucherschutz unbedingt am so genannten Vorsorgeprinzip festhalten. Das bedeutet: Besteht der Verdacht, dass ein Produkt gesundheitsgefährdend sein könnte, dürfen die Behörden die Zulassung verweigern. Dieses Prinzip verhindert beispielsweise, dass in Europa im großen Stil genmanipulierte Lebensmittel in den Handel kommen. In den USA ist dies hingegen gang und gäbe. Die Amerikaner wollen bei TTIP ihr „Wissenschaftsprinzip“ durchsetzen: Produkte gelten als sicher, so lange ihre Gefährlichkeit nicht eindeutig durch Studien belegt ist. Strittig ist in den Verhandlungen unter anderem auch, welche Mitspracherechte die andere Seite künftig bei der Neuformulierung von Standards und Gesetzen haben soll, sofern sich diese auf den transatlantischen Handel auswirken. Zu den wesentlichen Streitpunkten gehört seit geraumer Zeit überdies die Frage, wie künftig Konflikte zwischen Investoren und Staaten beigelegt werden können. Die EU hat sich von der ursprünglichen Idee privater Schiedsgerichte verabschiedet und will diese Aufgabe nun Berufsrichtern übertragen. Die Amerikaner sind auf diesen Vorschlag bislang nicht eingegangen. Sie setzen weiter auf Schiedsgerichte, bieten aber etwas mehr Transparenz an.
Was sagt die Europäische Union zu der Veröffentlichung?
EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström, die für die Verhandlungen mit den USA zuständig ist, befasste sich am Montag in einem längeren Blog-Eintrag ausführlich mit den TTIP-Leaks. „Es ist völlig normal, dass beide Parteien in einer Verhandlung so viele eigene Ziele durchsetzen wollen wie möglich“, schrieb die Schwedin. Sie betonte zugleich: „Das bedeutet nicht, dass die andere Seite diesen Forderungen nachgibt.“ Malmström hob hervor, dass es sich noch nicht um abschließende Texte handelt. „Es muss immer wieder gesagt werden: Niemals wird ein EU-Handelsabkommen unser Niveau an Verbraucherschutz mindern, an Lebensmittelsicherheit oder Umweltschutz. Handelsabkommen werden nicht unsere Gesetze im Hinblick auf genveränderte Lebensmittel, die Bierproduktion oder Umweltschutz verändern.“
Wie geht es überhaupt weiter bei TTIP?
Die Unterhändler von EU und USA haben sich bisher 13 Mal getroffen. Die nächste Gesprächsrunde soll noch vor der Sommerpause stattfinden. Erklärtes Ziel der Europäer und Amerikaner ist es, das Abkommen noch in diesem Jahr fertig zu verhandeln. Dies wurde zuletzt beim Besuch von US-Präsident Barack Obama auf der Hannover Messe bekräftigt. Beide Seiten wollen einen Abschluss, bevor Obama Anfang kommenden Jahres aus dem Amt scheidet. Ob das gelingt, ist angesichts der zahlreichen offenen Fragen aber nicht sicher. Auch nach einem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen gibt es noch zahlreiche Hürden: In Europa muss auf jeden Fall das EU-Parlament zustimmen, wahrscheinlich müssen auch die nationalen Parlamente der 28 Mitgliedstaaten einbezogen werden. Fällt TTIP auch nur in einem einzigen Land durch, ist das gesamte Abkommen tot.