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Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt: Warum sich Hotels als Unterkünfte bewerben

Von Steffen Höhne 16.09.2015, 21:08
Das Maritim-Hotel in Halle
Das Maritim-Hotel in Halle GÜNTER BAUER/ARCHIV Lizenz

Halle (Saale) - Einst war es das erste Haus in der Stadt: Das heutige Maritim-Hotel in Halle wurde am Neujahrstag 1966 eröffnet.

In das damalige Interhotel kehrten in der DDR auch viele Westdeutsche ein, die zu Gast auf der Leipziger Messe waren. Nach der Wende wurde es von der Maritim-Hotelgruppe übernommen und für einen zweistelligen Millionenbetrag saniert und umgebaut. Das Vier-Sterne-Haus mit 298 Zimmer ist heute etwas in die Jahre gekommen, dennoch kam die Nachricht überraschend, dass die Hotel-Gesellschaft aus Bad Salzuflen (NRW) das Haus als Flüchtlingsunterkunft anbietet. Bereits am Mittwoch sind die ersten 80?Flüchtlinge angekommen. Viel früher als eigentlich geplant.

Wellness-Bereich wird geschlossen

Ab 1. Oktober hat das Land Sachsen-Anhalt das Hotel komplett für drei Jahre angemietet und will dort 740 Asylbewerber unterbringen. „Die bauliche Situation des Hotels, konkret die hohe Zahl an Einzelzimmern, macht es schwierig, das Haus in Zukunft dauerhaft und gewinnbringend am Markt zu etablieren“, begründet Maritim-Sprecherin Harriet Eversmeyer den Schritt. Wie es mit dem Großteil der 80?Mitarbeiter weitergeht, ist unklar. Ihnen würden „die verfügbaren offenen Stellen in der Hotelkette deutschlandweit bevorzugt angeboten“, teilt die Kette mit. Nach MZ-Informationen zahlt das Land jährlich vier Millionen Euro für die Nutzung der Immobilie.

Das Maritim ist kein Einzelfall. Auch die H-Hotel-Gruppe (ehemals Ramada) hat 74?Zimmer in ihrem halleschen Hotel dem Land Sachsen-Anhalt angeboten. Das Finanzministerium würde aber gerne das gesamte Hotel mit mehr als 300 Zimmern mieten. „Die Gespräche dazu laufen“, sagt H-Hotel-Sprecherin Iliane Dingel-Padberg. „Die Arbeitsplätze der 66 Mitarbeiter sollen auf jeden Fall erhalten bleiben.“ Die H-Hotel-Gruppe hat bereits Flüchtlinge in ihren Häusern Laatzen bei Hannover und in Frankfurt ?(Oder) untergebracht.

Für die Länder und die Kommunen sind ehemalige Hotels ideal für die Unterbringung von Flüchtlingen. Alle Zimmer verfügen über ein Bad. Somit ist zumindest ein Stück Privatsphäre gewahrt. Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) betonte zuletzt, dass Wellness-Bereiche in den Hotels geschlossen werden. Für das Land sind die Unterkünfte aber vor allem deswegen so interessant, weil sie ohne große Umbauten genutzt werden können. Sachsen-Anhalt soll in diesem Jahr 23?000 Flüchtlinge aufnehmen. Derzeit leben Hunderte in Zelten. Ein Zustand, der im Winter nicht haltbar ist.

Und was bewegt die Vier-Sterne-Hotels, ihre Häuser anzubieten? „Wirtschaftliche Gründe spielen sicher eine Rolle“, sagt H-Hotel-Sprecherin Dingel-Padberg. „Da wir freie Kapazitäten haben, bieten wir diese aber auch an, um Flüchtlingsfamilien zu helfen.“

Lesen Sie auf der nächsten Seite unter anderem, warum es sich für viele Hotels lohnt, Flüchtlingen Unterkünfte anzubieten.

Viele Hotels in Sachsen-Anhalt sind eher schlecht gebucht. Nach Angaben der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau (IHK) beträgt die Auslastungsquote 30,8 Prozent. Das heißt: Statistisch gesehen, bleiben über das Jahr zwei von drei Betten leer. „In Halle liegt die Quote bei 41,4 Prozent“, sagt IHK-Geschäftsführerin Antje Bauer. Im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten ist dies ein schlechter Wert. Um die Häuser zu füllen, werden vielfach Rabatte gewährt. Nach Worten von Bertram Thieme, Chef des halleschen Dorint Hotels, liegt der Durchschnittspreis bei gehobenen Hotels in der Region bei 51,77 Euro pro Nacht. „Um erfolgreich zu arbeiten, seien Preise um die 80 Euro bei einer Auslastung von 60 Prozent nötig“, sagt Thieme. Nach seiner Ansicht bieten die Hotels vor allem wegen der schwierigen wirtschaftlichen Situation ihre Häuser als Flüchtlingsunterkunft an. Thieme formuliert es deutlich: „Man muss schon mehrere Hotels betreiben, um so viel Geld zu verdienen, wie derzeit mit einer toten Immobilie möglich ist.“

Kein gesicherter Überblick

Bundesweit werden im Betrieb befindliche Hotels bisher eher selten als Asyl-Unterkünfte genutzt. „Mir sind aktuell höchstens ein Dutzend Fälle bekannt“, sagt Christopher Lück vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband e.V.. Es gebe allerdings keinen gesicherten Überblick. Die einzelnen Betriebe würden dies für sich entscheiden und auch nicht immer bekanntgeben.

Eines der ersten Hotels bundesweit, das Flüchtlinge aufnahm, war im vergangenen Jahr das „Spreehotel“ im sächsischen Bautzen. In den 80 Zimmern des ehemaligen Vier-Sterne-Hotels leben heute 225 Asylbewerber - vor allem Familien aus Syrien. Als Betreiber bekommt der ehemalige Hotelier Peter Kilian Rausch für jeden Flüchtling 13 Euro pro Tag von der Kommunen. Davon muss er aber auch Heizung, Strom, Reparaturen, Sozialarbeiter und Sicherheitskräfte bezahlen. „Natürlich verdiene ich daran. Millionär wird man so aber nicht“, sagte Rausch zuletzt der MZ.

In der Regel schreiben die Kommunen die Bereitstellung von Unterkünften aus. Den Zuschlag erhält der günstigste Anbieter. Die Preise schwanken bundesweit von sechs Euro bis 20 Euro pro Person und Tag. Nach dem besten Konzept wird selten gefragt, berichten Betreiber von Unterkünften.

Jugendherbergen im Gespräch

In Sachsen-Anhalt könnten künftig auch Jugendherbergen als Flüchtlingsheime genutzt werden. Das Deutsche Jugendherbergswerk Sachsen-Anhalt hat nach eigenen Angaben sechs seiner zwölf eigenen Häuser zur Nutzung von November bis Mitte April 2016 angeboten. Dabei handelt es sich um die Standorte Halle, Nebra, Kretzschau, Naumburg, Kelbra und Quedlinburg. „Diese verfügen zusammen über 883 Betten“, sagt Geschäftsführer Marc Nawrodt. „Die Flüchtlinge könnten wie im normalen Herbergsbetrieb versorgt werden.“ Derzeit laufen die Gespräche mit dem Innenministerium in Magdeburg dazu. Für das Jugendherbergswerk wäre dies sicher auch ein lukratives Geschäft, läuft doch der Betrieb im Winterhalbjahr ohnehin nur eingeschränkt. (mz)