Entwicklung nach der Wende Entwicklung nach der Wende: Wie der Osten heute vom Westen verwaltet und regiert wird

Es ist das Magdeburger Modell, quasi, das überall in Ostdeutschland herrscht: Knapp drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall, so zeigt es eine von der Jenaer Schiller-Universität angefertigte Studie der Deutschen Gesellschaft e.V. (DG), sind Ostdeutsche in den Eliten der Republik anhaltend unterrepräsentiert. Und mehr noch - ihre Teilhabe an der Lenkung und Leitung von politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozessen nimmt weiter ab.
Das Magdeburger Modell steht dafür beispielhaft. Stammten im ersten Kabinett des Ministerpräsidenten Wolfgang Böhmer vor 15 Jahren noch sieben von neun Kabinettsmitgliedern aus Ostdeutschland, sind es im aktuellen Kabinett Haseloff gerade noch drei. Ganz Ostdeutschland stellt damit weniger Minister in Magdeburg als Niedersachsen. Sachsen-Anhalt weniger als Nordrhein-Westfalen.
Ein Muster, das nach der Studie „Ostdeutsche Eliten. Träume, Wirklichkeiten und Perspektiven“ auf den gesamten ostdeutschen Raum übertragbar ist.
Der Anteil Ostdeutscher in ostdeutschen Elitepositionen sinkt
Unterscheide man die politischen Eliten nach ihrer regionalen Herkunft, seien Ostdeutsche 1995 mit 85,9 Prozent etwa proportional zu ihrem Anteil in der Bevölkerung in den neuen Ländern in ostdeutschen politischen Elitepositionen vertreten gewesen, heißt es da etwa. Bereits damals aber lag ihr Anteil in den ostdeutschen Landeskabinetten mit rund zwei Drittel unter ihrem Bevölkerungsanteil von rund 87 Prozent. Und seitdem sinkt er sogar kontinuierlich.
Nicht viel anders sieht es in der Wirtschaft aus. Der Anteil Ostdeutscher an den Führungspositionen der 100 größten ostdeutschen Unternehmen liegt bei nur 33,5 Prozent, der der Unternehmenschefs sogar nur bei einem Viertel.
Ostdeutschland ist im 28. Jahr nach dem Mauerfall ein Landstrich ohne eigene Eliten. Ronald Gebauer, Axel Salheiser und Lars Vogel von der Uni Jena, die die Elitenentwicklung im Osten untersucht haben, sehen die Ursache in einem „mit der Wiedervereinigung vollzogenen umfassenden Institutionentransfer“.
Erst der „Einsatz westdeutschen Fachpersonals in Ämtern und Behörden in den neuen Bundesländern zunächst unabdingbar“ gewesen, weil westdeutsche Experten als „Aufbauhelfer“ benötigt worden seien. Zugleich aber habe die „Ablösung der ehemaligen DDR-Verwaltungseliten“ aber auf „machtpolitischen Kalkülen beruht“: Nicht nur die Entfernung von SED-Funktionären und Personen mit MfS-Belastung aus dem öffentlichen Dienst war gewollt, sondern ein Elitenaustausch.
„Da Ostdeutsche generell erst nachqualifiziert werden mussten, eröffnete sich ein Opportunitätsfenster für Aufstiege bisher blockierter Nachwuchsbeamter, das gleichzeitig als Ventil für den Personalüberhang im öffentlichen Dienst der alten Bundesländern fungierte“, heißt es in der Studie.
Einst junge Westdeutsche blockieren noch heute Stellen in Ostdeutschland
Die unter Ostdeutschen als „Besserwessis“ verspottete Übersiedlergeneration der anfangs zumeist noch relativ jungen Stelleninhaber blockiert bis heute das Nachrücken einer eigenen ostdeutschen Nachwuchselite. Mit dem Ergebnis, dass die Zuwachsraten von Ostdeutschen in leitenden Verwaltungspositionen weiter sehr gering sind, obwohl längst ganze Jahrgänge von den Universitäten kommen, die nicht einmal mehr eine Geburtsurkunde aus der DDR besitzen.
Doch wie in der Endzeit der DDR sind alle Plätze besetzt. Wer Anfang bis Mitte der 90er Jahre mit knapp 30 Jahren aus Celle, Regensburg oder Kiel nach Sachsen-Anhalt kam, ist heute Mitte bis Ende 50. Und hat noch einige Berufsjahre vor sich.
Aber auch danach wird es vielleicht nicht besser, das zeigt schon die gegen die erwartbare Entwicklung verlaufende Statistik der Ostdeutschen in Regierungsverantwortung. So war mit Johanna Wanka bisher nur eine einzige Ostdeutsche Mitglied eines westdeutschen Landeskabinetts.
Zugleich regierten bis zum Rücktritt von Erwin Sellering in Mecklenburg-Vorpommern in drei von sechs ostdeutschen Ländern (inklusive Berlin) gebürtige Westdeutsche. Nach einer Studie des MDR vom vergangenen Jahr stammen von 60 Staatssekretären der Bundesregierung derzeit nur drei aus dem Osten. 2004 waren es noch sechs. Insgesamt besetzen Ostdeutsche bundesweit nur 1,7 Prozent der Führungspositionen. Und von 190 Vorstandsposten in Dax-Konzernen sind nur drei von Ostdeutschen besetzt.
Auch der Anteil der ostdeutschen Manager in ostdeutschen Unternehmen schrumpft seit 2004, ebenso sank die Zahl der ostdeutschen Staatssekretäre in den neuen Bundesländern. Selbst unter den Landesparlamentariern, die die eigentliche örtlich gebundene Repräsentationselite der Bevölkerung bilden, fanden die Jenaer Forscher weniger Ostdeutsche als 1990. Waren damals 97,2 Prozent der Landtagsabgeordneten im Osten geboren, sind es heute nur noch 80 Prozent.
Angesichts einer immer noch zu etwa 87 Prozent in Ostdeutschland geborenen Bevölkerung der neuen Ländern bei weitem zu wenig. Aber keine Ausnahme: Im noch aktuellen Bundeskabinett sind unter den 16 Regierungsmitgliedern nur zwei Ostdeutsche. Das entspricht einem Anteil von zwölf Prozent. Im Präsidium des Bundestags ist sogar nur eines von sieben Mitgliedern ostdeutscher Herkunft - repräsentativ wäre jeweils eine Quote von 17 Prozent.
Doch Besserung angesichts einer so „markanten und anhaltenden Unterrepräsentation von Ostdeutschen in den Eliten der ostdeutschen Bundesländer, aber auch im gesamten Elitesystem der Bundesrepublik Deutschland“, wie es die Forscher aus Jena nennen, ist kaum in Sicht. Netzwerke des gegenseitigen Schätzens und Vertrauens vergeben Posten gern nach Selbstähnlichkeit. So dass die Besetzung einer Stelle mit Ostdeutschen umso „unwahrscheinlicher wird, je höher die Position klassifiziert ist“, wie Raj Kollmorgen von der Hochschule Zittau meint. (mz)