Drohende Deflation Drohende Deflation: EZB senkt Leitzins auf Rekordtief

Frankfurt - Die Europäische Zentralbank (EZB) stemmt sich mit aller Macht gegen eine erneute Eskalation der Eurokrise. Am Donnerstag beschloss der EZB-Rat, den Leitzins auf das Rekordtief von 0,05 Prozent zu senken. Zudem will die Notenbank Unternehmenskredite aufkaufen, um die Zinsen in den Krisenländern zu drücken. Damit reagiert sie auf den Abschwung im Euroraum und die sehr niedrige Inflation, die im August auf 0,3 Prozent gefallen ist. Zudem müssen Banken künftig einen noch höheren Strafzins von nun 0,2 Prozent bezahlen, wenn sie Geld bei der Notenbank parken, statt es in Form von Krediten an Unternehmen weiterzureichen.
In Frankreich, Italien und anderen südeuropäischen Ländern hatten die Regierungen auf Hilfe der Notenbank gehofft beim Versuch, die Konjunktur anzukurbeln. In Deutschland dagegen ist die Sorge groß, dass die Politik des billigen Geldes Blasen etwa an den Immobilien- und Aktienmärkten auslösen könnte. Von einem „schlechten Tag für die Sparer in ganz Europa“, sprach Sparkassenpräsident Georg Fahrenschon. Die Gefahr krisenhafter Zuspitzungen steige durch den Zinsschritt weiter. Schon seit längerem beklagen sich vor allem deutsche Anleger über die extrem niedrigen Zinsen für Spargelder oder Lebensversicherungen.
Enttäuschender Konjunturverlauf
EZB-Präsident Mario Draghi begründete die Entscheidung mit der Enttäuschung über den Konjunkturverlauf. Im Laufe des Sommers ist bei der Notenbank der Glaube an eine Erholung der Wirtschaft in der Währungsunion verschwunden. Stattdessen fürchtet sie verstärkt, dass die Euro-Zone in eine Abwärtsspirale aus sinkenden Preisen und schrumpfender Wirtschaft geraten könnte.
Die deutsche Bankenbranche sieht die EZB-Entscheidungen kritisch. Nun wachse die Gefahr, dass Euro-Länder die „dringend erforderlichen Wirtschaftsreformen“ weiter verschleppten, warnte der Bundesverband deutscher Banken.
Mit den energischen Notmaßnahmen überraschte Draghi auch die Finanzmärkte. Der Deutsche Aktienindex legte nach Bekanntgabe des Beschlusses deutlich zu. Der Euro gab gegenüber dem Dollar nach, weil sich nun Finanzanlagen in der Währungsunion noch weniger lohnen. (mit rtr, afp)
EZB-Präsident Mario Draghi warnt seit Monaten vor den Gefahren der Mini-Inflation für die Konjunktur im Euroraum. Er sieht zwar aktuell keine Deflation - also eine Spirale sinkender Preise durch alle Warengruppen, bei der Verbraucher und Firmen in Erwartung weiter sinkender Preise Ausgaben zurückstellen und so die Konjunktur abwürgen könnten. Doch Draghi betonte: Die Gefahren nehmen zu, je länger die Inflation niedrig bleibt. Eine Zinssenkung könnte das Risiko verkleinern. Denn tendenziell verbilligen niedrige Zinsen Kredite und Investitionen und kurbeln so die Wirtschaft an. Das wiederum stärkt normalerweise den Preisauftrieb.
Bisher haben sich die Hoffnungen auf eine Rückkehr der Inflation in Richtung der EZB-Zielmarke von knapp unter 2,0 Prozent zerschlagen. Im Mai ging die Rate im Euroraum sogar auf 0,5 Prozent zurück. Selbst in Deutschland, wo der Konjunkturmotor brummt und Löhne steigen, sank die Teuerung nach europäischer Berechnung im Mai auf 0,6 Prozent. „Der Sicherheitsabstand zur Nulllinie im Euroraum ist damit wieder sehr gering“, warnt Ökonom Johannes Mayr von der BayernLB.
Das liegt unter anderem an weltweit sinkenden Energie- und Nahrungsmittelpreisen. Dieser Effekt wird durch den relativ starken Euro noch verstärkt. Zum Teil ist der geringe Preisauftrieb aber auch hausgemacht: Die Krisenländer im Euroraum müssen ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken, indem sie Preise senken.
Niedrige Zinsen werden in der Regel relativ schnell an Kunden weitergereicht. Da Sparer ohnehin schon lange unter Mini-Zinsen auf Sparbuch oder Tagesgeldkonto leiden, hagelt es aus Deutschland Kritik: „Niedrigzinsen enteignen Sparer und reißen Lücken in die Altersvorsorge künftiger Rentner“, wettern Sparkassen, Volksbanken und Versicherer.
Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, kritisierte die EZB für die erwartete Zinssenkung in der „Bild“: „Sie plündert die Ersparnisse aus, sie bedroht die Lebensversicherung.“ Berenberg-Chefvolkswirt Holger Schmieding verteidigt, Aufgabe der Notenbank sei, für stabile Preise zu sorgen: „Zu behaupten, die EZB enteigne die europäischen Sparer, verkennt das Mandat der EZB. Ihre Aufgabe ist es nicht, Sparern selbst in Zeiten einer Finanzkrise einen gewünschten Ertrag auf risikoarme Anlagen zu sichern.“ Mit europäischen Aktien, spanischen Rententiteln oder guten Unternehmensanleihen hätten Sparer auch in der Krise auskömmliche Renditen erzielen können - wenn sie bereit waren, Risiken in Kauf zu nehmen.
Wie Unternehmen profitieren sie von günstigen Kreditzinsen - wenn die Banken die Senkung weiterreichen. Prinzipiell ist billiges Geld gut für Schuldner: Verbraucher können eine Waschmaschine, ein Auto oder ein Haus günstiger finanzieren, gleiches gilt für Investitionen von Unternehmen und Staatsschulden. Letzteres entlastet indirekt auch Steuerzahler.
Normalerweise bekommen Banken, die Geld bei der Zentralbank parken, einen Zins gutgeschrieben. In der Krise senkten die Währungshüter diesen Einlagenzins auf null Prozent. Drücken sie ihn nun unter Null, würde die EZB den Banken de facto einen Strafzins aufbrummen, wenn diese Geld bei ihr horten. Ziel ist eine Schwächung des Euro, um so einen Anstieg der Inflationsrate zu erreichen. Banken sollen überschüssige Liquidität nicht bei der EZB parken, sondern das Geld in Form von Krediten an Verbraucher und Unternehmen weiterreichen. Diese könnten investieren und so der Konjunktur auf die Sprünge helfen. Manche Volkswirte meinen allerdings, Banken könnten die Kosten auf ihre Kunden abwälzen. Dann wäre diese EZB-Maßnahme kontraproduktiv: Kredite würden teurer.
Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon schob derartigen Befürchtungen vorsorglich einen Riegel vor. „Wir werden das sicher nicht an unsere Kunden weitergeben. Wir können den Sparern nicht sagen: Jetzt musst Du für Dein Vermögen auch noch Strafe zahlen“, sagte er in Interviews. Volksbanken-Präsident Uwe Fröhlich betonte in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, dass zwar nicht mit negativen Zinsen im Kundengeschäft zu rechnen sei: „Zu befürchten ist jedoch - insbesondere im Zusammenspiel mit einer weiteren Zinssenkung der EZB -, dass der Sparzins künftig noch schmaler ausfallen wird, als er ohnehin schon ist.“