Digitalstrategie der EU-Kommission Digitalstrategie der EU-Kommission: Endlich grenzenlos surfen in Europa
Brüssel - Es war ein Novum. „Erstmals hat die EU-Kommission heute ohne Papiervorlagen getagt“, sagte Kommissionsvizepräsident Andrus Ansip am Mittwoch. Für ihn war das nicht wirklich neu, als Regierungschef in Estland hat er den baltischen Staat zum Vorreiter für E-Government und zum digitalen Erfinderland gemacht. Die Videotelefonie Skype etwa ist eine estnische Erfindung.
Nun will Ansip auch Europa ins gelobte digitale Land führen. Neben ihm stand EU-Digitalkommissar Günther Oettinger. Auch er will den Fortschritt. Aber Oettinger denkt gern in industriellen Lösungen von oben. Und so stößt der digitale Aufbruch noch an Grenzen. Europa kennt zwar den Binnenmarkt, aber das Weltumspannende stolpert am nationalstaatlichen Recht. Ansip und Oettinger präsentierten am Mittwoch 16 Vorschläge für den digitalen Aufbruch der EU. Die wichtigsten Vorhaben und der Fahrplan für die nächsten Jahre:
Geoblocking: Die Krimiserie „The Team“ ist eine deutsch-dänisch-belgische Koproduktion. Wer den Film aber in Belgien im Netz in der ZDF-Mediathek anschauen wollte, bekam nur den Hinweis: „In Ihrem Land nicht verfügbar.“ Geoblocking heißt das unterdrückte Aufrufen von Netzseiten aus dem Ausland. Ansip wollte damit Schluss machen, Oettinger fürchtete um Lizenzrechte. Herausgekommen ist das Aus, für das, was Ansip „ungerechtfertigtes Geoblocking“ nennt. Bezahlte Dienste wie das Filmportal Netflix oder der Sportkanal SkyGo sollen für Abonnenten auch im EU-Ausland verfügbar sein. „Das ist nicht mehr als eine Geo-Roaming“, rügte die Europaabgeordnete Julia Reda von den Piraten. Das Geoblocking steht nur halb vor dem Aus.
E-Commerce: Das Netz revolutioniert auch den Handel. Evelyne Gebhardt kann davon berichten. Die deutsch-französische SPD-Europaparlamentarierin wollte ihrer Mutter in Paris eine Kaffeemaschine zukommen lassen. Das ging aber nicht, weil sie in Frankreich von der deutschen Seite des Anbieters stets auf der Firmenseite landete, die mit .fr endete. „Dort war das Gerät fast doppelt so teuer“, so Gebhardt. Also ging’s klassisch analog zu. Kaufen in Deutschland, dann per Versand nach Paris. Ansip will das ändern, stößt dabei aber auf Probleme: Die EU-Staaten haben unterschiedliche Mehrwertsteuersätze. „Wir wollen kein System, das an Landesgrenzen haltmacht“, so Ansip. Die Mitgliedstaaten sehen das anders. Noch.
Urheberrecht: EU-Kommissar Oettinger umschrieb das Problem im Netzzeitalter so. Die Nutzer wollten an Informationen – „kostengünstig, am besten umsonst“. Kreativwirtschaftler wie Musiker, Regisseure und Autoren wollten den Schutz ihrer Rechte sowie, wie auch die Verlage, ihre Leistung entlohnt sehen. Das Internet aber bringt das alte Modell ins Wanken. Google hat den Verlagen eine freiwillige Gabe angeboten: 150 Millionen Euro in einen Fonds für das Listen von Zeitungstexten. Oettinger will mehr, bis Jahresende will er seine Pläne für ein Urheberrecht im Netzzeitalter präsentieren. Das Europaparlament will noch vor der Sommerpause einen Entwurf vorlegen.
Datenschutz: „Die Industrie 4.0 braucht die Cloud“, sagt Oettinger. Also das Speichern von Daten im virtuellen, überall verfügbaren Raum. Europa will deshalb seine eigene Datenwolken schaffen. Überflüssig eigentlich, weil es diese Speicherräume bereits gibt, etwa von Google & Co. Nur wächst angesichts der NSA-Affäre das Misstrauen. Über einen gemeinsamen neuen Datenschutzstandard können sich die EU-Staaten aber nicht einigen. Europa scheitert also nicht technisch, sondern rechtlich. Denn das Netz ist längst da, wo Europa noch hin will: im postsouveränen Raum. „Wirtschaftsräume sind im Netzzeitalter nicht mehr nach nationalen Gebietsgrenzen zu regulieren“, sagte Günter Oettinger. Das Netz untergräbt den Nationalstaat. Oettinger kommt dann doch langsam an in der Netzwelt.