Luftreinhaltung Dieselverbot: Worauf sich Autofahrer bei einer Dieselklage gefasst machen müssen

Stuttgart - Ausgerechnet Stuttgart wird zum Präzedenzfall für die Luftreinhaltung in deutschen Städten. Die Deutsche Umwelthilfe will vor Gericht ein generelles Fahrverbot für Autos mit Dieselmotor durchsetzen. Das soll die Belastung der Atemluft mit dem giftigen Stickoxid (NOX) reduzieren. Wir erläutern, worauf sich Autofahrer gefasst machen müssen.
Müssen Autofahrer mit Dieselfahrzeugen damit rechnen, dass sie bald nicht mehr in Innenstädte fahren dürfen?
Nein. Die Lage ist juristisch und politisch extrem komplex. Es ist damit zu rechnen, dass die Frage der Fahrverbote vor den höchsten Gerichten verhandelt und letztgültig entschieden wird – und das kann Jahre dauern.
Wer klagt gegen wen?
Am Mittwoch wird vor dem Verwaltungsbericht Stuttgart verhandelt. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) klagt gegen das Land Baden-Württemberg, um einen strengeren Luftreinhalteplan für die Landeshauptstadt durchzusetzen.
Das Hauptargument: Das aktualisierte Konzept, das vom nächsten Jahr an umgesetzt werden soll, sei nicht hinreichend, um die Vorgaben der EU in puncto saubere Luft einzuhalten. Im Fokus steht der Wert für Stickstoffdioxid, der an Messstellen in der Stadt zum Teil etwa doppelt so hoch liegt wie der zulässige Grenzwert. Ursache dafür sind die Abgase von Dieselmotoren. Deren Stickoxidwerte liegen erheblich höher als offiziell angegeben, weil die Autobauer bei der Ermittlung der Werte tricksen und betrügen.
Ist Stuttgart ein Einzelfall?
Nein. In nahezu allen deutschen Ballungsgebieten werden die Werte massiv überschritten. Die Probleme sind seit gut einem Jahrzehnt bekannt. Doch weder die Bunderegierung, noch Landesregierungen haben die dagegen etwas unternommen. Es wurde versucht, die Sache auszusitzen. Doch inzwischen hat die EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland auf den Weg gebracht.
Was bedeuten die hohen NOX-Werte für die Großstadtbewohner?
Die EU-Umweltbehörde rechnet damit, dass jährlich etwa 10000 frühzeitige Todesfälle allein in Deutschland auf die überhöhten NOX-Werte zurückzuführen sind. In Italien sind es sogar mehr als doppelt so viele, in Großbritannien 14000 und in Frankreich 7700. Für ganz Europa kommt die Behörde auf 75000.
Was könnte die Konsequenz des Vertragsverletzungsverfahrens sein?
Vertragsverletzungsverfahren werden häufig – gelinde formuliert – nicht allzu ernst genommen. Sie ziehen sich über Jahre hin, Strafen werden von Regierungen immer wieder wegverhandelt. Anders sieht es vor den hiesigen Gerichten aus: Richter haben bereits in mehreren Verfahren deutlich gemacht: An der Pflicht, die Luft sauberer zu machen, geht kein Weg vorbei. Stuttgart wird dabei nur als Präzedenzfall verhandelt. Setzt sich die DUH dort durch, sind auch andere Kommunen zum Handeln gezwungen. In München, Düsseldorf und vielen weiteren Städten wird bereits ebenfalls über Fahrverbote diskutiert.
Sind Fahrverbote der einzige Weg?
Die DUH macht sich für das Fahrverbot für Dieselfahrzeuge stark, da es der schnellste und wirksamste Weg wäre, die NOX-Werte zu drücken. Eine Alternative wäre die Ausweitung der Umweltzonen mit einer blauen Plakette. Damit dürften nur saubere Fahrzeuge in die blaue Zone in den Innenstädten einfahren. Die Werte könnten natürlich auch gesenkt werden, wenn die Abgasreinigung der Dieselfahrzeuge verbessert würde.
Wie steht es um die Nachrüstung der Dieselautos?
Alle größeren Autobauer haben sich schon vor gut einem Jahr zu „freiwilligen“ Rückrufaktionen bereit erklärt - nachdem das Kraftfahrtbundesamt erhebliche Überschreitungen der NOX-Werte im Abgas festgestellt hatte. Geschehen ist bislang wenig. Die Autolobby VDA verweist immer wieder auf technische Probleme.
Doch just am Dienstagabend hat der Stuttgarter Autobauer Daimler angekündigt, die „freiwilligen Servicemaßnahmen“ auf nahezu drei Millionen Mercedes-Fahrzeuge in Europa auszuweiten, um deren „Emissionsverhalten wirkungsvoll zu verbessern“ – was das Eingeständnis bedeutet, dass es bislang bei den Abgasen nicht zum Besten stand. „Daimler leistet damit einen wesentlichen Beitrag, um die Stickoxidbelastung durch Diesel-Fahrzeuge in europäischen Innenstädten zu reduzieren“, heißt es in einer Pressemitteilung. Dass der Vorstoß ausgerechnet jetzt kommt, lässt sich als Versuch werten, die Fahrverbote zu vermeiden. Zumal Politiker verschiedener Parteien diesen Weg unterschützen, auch der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne).
Wie glaubhaft sind die Ankündigungen?
Daimler hat gleich erklärt: Aufgrund der großen Zahl der Fahrzeuge würden die Maßnahmen „über einen längeren Zeitraum andauern.“ Das Prinzip nach dem Motto „viel ankündigen und sich bei der Umsetzung reichlich Zeit zu nehmen“ setzt sich offenbar fort. Der Vorstoß diene jedenfalls auch dazu, Dieselfahrern „wieder Sicherheit zu geben“ und „das Vertrauen in die Antriebstechnologie zu stärken“. Seit Monaten geht es mit den Neuzulassungen von Autos mit Selbstzünder-Motor in Deutschland und in Nachbarländern steil bergab. Dabei haben gerade die deutschen Autobauer auf diese Motoren gesetzt – sie garantieren hohe Renditen und helfen CO2-Abgaswerte einzuhalten, da Diesel weniger Kohlendioxid ausstoßen als Benziner.
Gibt es Alternativen zum Diesel?
Die Umweltforscher-Organisation ICCT hat kürzlich eine Studie veröffentlicht, derzufolge Hybridantriebe, eine Kombination aus Elektro- und Benzinmotor, langfristig für die Hersteller geringere Kosten bedeuten als die Weiterentwicklung von tatsächlich sauberen Diesel-Aggregaten. Doch dies würde zunächst hohe Investitionen erfordern. Daimler jedenfalls hat gerade angekündigt, eine neue Diesel-Motorenfamilie schnell einzuführen.
Wie verhält sich die Bundesregierung?
Das Verkehrsministerium steht auf der Seite der Autobauer, lehnt Fahrverbote und blaue Plaketten ab und will es den Autobauern weitgehend überlassen wann und wie sie ihre Dieselautos sauberer machen.