Milliardenschwere Digitalisierung Deutsche Bahn will mehr Züge fahren lassen

Berlin/Köln - Mit einem milliardenschweren Investitionsprogramm will die Deutsche Bahn ihr gesamtes Streckennetz von rund 33 000 Kilometern bis zum Jahr 2033 digitalisieren. Ziel sei es, bis zu 20 Prozent mehr Auslastung auf der Schiene zu schaffen – den geplanten Ausbau der Infrastruktur nicht eingerechnet. Das Programm „Digitale Schiene Deutschland“ sei „unser mächtigster Hebel für mehr Kapazität“, sagte Bahnchef Richard Lutz in Berlin. „Wir arbeiten an einem grundlegenden technischen Wandel im Eisenbahnsektor. Ich rede von Chancen, die einen noch nie dagewesenen Entwicklungsschub für die Eisenbahn in Deutschland bieten.“
Um mehr Verkehr auf die Schiene ohne Streckenausbau zu holen, der wegen der langwierigen Planungen oft Jahrzehnte dauert, will die Bahn das europäische Zugsicherungssystem ETCS flächendeckend einführen, das beispielsweise den gesamten ICE-Verkehr auf der Neubaustrecke zwischen Berlin und München steuert. Es überwacht insbesondere die Höchstgeschwindigkeit unter Einbeziehung von Baustellen und Kurven nach einem europaweit einheitlichen Standard. Nach Angaben von Lutz macht „diese Technik die rund 160.000 Signale und ein Großteil der 400.000 Kilometer Kabel überflüssig“. Der Verkehr auf der Schiene werde damit „stabiler, verlässlicher und pünktlicher“.
Die Digitalisierung der Stellwerke ist der zweite Baustein des Investitionsprogramms. Derzeit werden nach Schätzungen von Experten rund 30 Prozent des Bahnverkehrs von modernen Stellwerken gesteuert. Eines dieser Stellwerke steht in Berlin-Pankow. Von dort wird unter anderem der Verkehr auf der ICE-Schnellfahrstrecke bis Wolfsburg abgewickelt.
Technik teils aus den 1970er Jahren
Selbst in großen Bahnknoten wie Köln stammt die Stellwerkstechnik teilweise noch aus den 1970er Jahren. Nach den bisherigen Plänen ist die Umrüstung in Köln für die Jahre 2022 und 2024 in zwei Etappen vorgesehen. Allein bei der S-Bahn könnte durch die Digitalisierung die Zugfolge im Bahnknoten Köln nach Angaben des Nahverkehr Rheinland, dem Zusammenschluss des Verkehrsverbund Rhein-Sieg und der Aachener Verkehrsverbunds, von jetzt fünf auf zweieinhalb Minuten verkürzt werden. „Eine aufwendige Verkabelung, die zu jedem Relais, jedem Signal und jedem Gleiskontakt führt, wird zukünftig nicht mehr erforderlich sein“, sagte der Bahnchef. Alle Weichen sollen im Zuge der Modernisierung an ein digitales Fernkontrollsystem angeschlossen werden.
Die Verhandlungen über das Investitionsprogramm mit dem Bund sollen noch in diesem Jahr beginnen, wenn eine neue Bundesregierung ihre Arbeit aufgenommen hat. Die Umrüstung würde ein Großteil der 2800 Stellwerke überflüssig machen. Bei der Umsetzung des Programms müssen laut Lutz alle Branchenvertreter an einen Tisch. „Wettbewerber und Deutsche Bahn, Aufgabenträger im Nahverkehr sowie Politik, Branchen- und Interessenverbände.“ Am Donnerstag will Infrastruktur-Vorstand Ronald Pofalla bei einem Symposium über Einzelheiten des Programms berichten. Die Bahn geht davon aus, dass sie auf Zustimmung für das Programm stoßen wird.
Wie hoch die Investitionen genau sein werden, will sie noch nicht öffentlich machen. „Natürlich geht das nicht alles von heute auf morgen, wir denken hier in einem Zeitraum von zehn bis 15 Jahren“, so Lutz. „Und natürlich kostet das sehr viel Geld. Darüber werden wir mit unserem Eigentümer reden.“ Im Bahn-Konzern ist man überzeugt davon, dass die Bundesregierung ihre Klimaschutzziele bis 2030 nur erreicht, wenn sie mehr Kapazität auf der Schiene schafft. An den bis 2030 geplanten Streckensanierungen und Ausbauten wird sich durch das Programm „Digitale Schiene Deutschland“ nichts ändern. Die Infrastruktur ist in einem derart schlechten Zustand, dass die Bahn erst 2024 den Wendepunkt erreichen wird. Bis dahin wird der Instandhaltungsstau anwachsen.
Passagier-Rekord für vergangenes Jahr erwartet
2017 sei für die Bahn ein „durchwachsenes Jahr“ gewesen, sagte Bahnchef Lutz. Vor allem im zweiten Halbjahr habe es Rückschläge bei der Qualität und Pünktlichkeit gegeben. Die Pannen bei der Inbetriebnahme der Schnellfahrstrecke zwischen Berlin und München seien inzwischen behoben, die Nachfrage so groß, dass man die Zahl der Sprinter-Verbindungen zwischen beiden Metropolen im Dezember 2018 von drei auf fünf pro Tag und Richtung aufstocken und rund 3000 Sitzplätze täglich mehr anbieten werde. Bei der Pünktlichkeit will die Bahn im Fernverkehr 2018 einen Wert von 82 Prozent erreichen. Das langfristige Ziel seien 85 Prozent.
Trotz vieler Probleme werde man die für 2017 anvisierten wirtschaftlichen Ziele erreichen. Bei der Halbjahres-Prognose Ende Juli hatte Lutz Vorstand jetzt einen Umsatzrekord von mehr als 42,5 Milliarden Euro (bisher: 41,5 Milliarden) sowie einen Betriebsgewinn von mindestens 2,2 Milliarden Euro (bisher: 2,1 Milliarden Euro) prognostiziert. Die Bilanz 2017 wird im März vorgelegt. Beim Fernverkehr wird ein Passagier-Rekord erwartet. Pro Tag waren in den Zügen 380.000 Menschen unterwegs.