CETA CETA: Ein Handelsabkommen mit neuer Qualität

Noch vor wenigen Jahren hat niemand geahnt, dass ein Freihandelsabkommen je zum Gegenstand leidenschaftlicher Kontroversen werden könnte. Wer hätte gedacht, das Verträge, die in den vergangenen Jahrzehnten abseits öffentlicher Erörterung zu Dutzenden geschlossen wurden, mit einem Mal millionenfachen Widerstand hervorrufen würden?
Und dass die EU-Kommission sich schließlich veranlasst sehen würde, entgegen der eigenen Überzeugung sämtliche Landes- sowie einige Regionalparlamente der Mitgliedstaaten abstimmen zu lassen, um das Handelsabkommen zu retten? Absehbar war eine solche Entwicklung gewiss nicht.
Und doch ist es beim CETA-Abkommen zwischen der EU und Kanada genauso gekommen. Der bereits ausgehandelte Vertrag, der als Vorbild des noch umfangreichern TTIP-Abkommens mit den USA gilt, soll im Oktober ratifiziert werden.
Ein zweifelhaftes Vorgehen
Um die Frage, von welchen Gremien CETA verabschiedet werden soll, hatte es wochenlang einen erbitterten Streit gegeben. Nicht weniger brisant ist die Frage, unter welchen Umständen und wann das Abkommen in Kraft treten kann. Nach Informationen dieser Zeitung soll dies ebenfalls bereits im Oktober geschehen – zwar nur vorläufig, doch in vollem Umfang.
Damit wäre die zugesagte Beteiligung der Parlamente in den Mitgliedsstaaten zunächst einmal umschifft. CETA käme gleichsam durch die Hintertür. Nach Ansicht namhafter Völkerrechtler ist ein solches Vorgehen aus verfassungsrechtlicher Sicht mehr als zweifelhaft.
Doch der Reihe nach: Nach monatelangen Diskussionen vollzog die Kommission in der vergangenen Woche eine Kehrtwendung. Zunächst hatte Brüssel den Vertragstext lediglich dem EU-Parlament zur Verabschiedung vorgelegen wollen, da es sich um ein „nicht gemischtes“ und somit allein in die Zuständigkeit der EU fallendes Abkommen handele.
Haltung der EU-Kommission „unglaublich töricht“ - so Gabriel
Diese Ankündigung – nur einen Tag nach der britischen Brexit-Entscheidung verkündet - war allerdings auf empörten Widerstand in einigen Mitgliedstaaten gestoßen. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) zum Beispiel hatte die Haltung der EU-Kommission als „unglaublich töricht“ bezeichnet.
Angesichts des Protestturms lenkte die Kommission ein: Man halte zwar an der Ansicht fest, dass „das Abkommen vom rein juristischen Standpunkt aus betrachtet in die ausschließliche Zuständigkeit der EU“ falle, betonte Handelskommissarin Cecilia Malmström.
Gleichwohl sei es angesichts der „offenkundigen politischen Situation im Rat“ notwendig, dass CETA als gemischtes Abkommen den Einzelparlamenten vorzulegen, „wenn eine rasche Unterzeichnung ermöglicht werden soll“. Nach dieser Ankündigung hatte sich die Aufregung ein wenig gelegt.
Abstimmung kann bis zu fünf Jahren dauern
Ob dies so bleibt, erscheint allerdings fraglich. Die Kommission will das CETA-Abkommen nämlich ab Oktober per Ministerratsbeschluss unter Beteiligung des EU-Parlaments vorläufig in Kraft setzen, also ohne Zustimmung der insgesamt mehr als 30 National- und Regionalparlamente in den Mitgliedsstaaten.
Wie dauerhaft eine solche Vorläufigkeit sein kann, zeigt das Beispiel des EU-Handelsabkommens mit Südkorea. Viereinhalb Jahre wurde das Abkommen bereits angewendet, bis schließlich das Ja aller Volksvertretungen vorlag.
Beim Ceta dürfe es nach Einschätzung von Experten eher länger dauern. „Ich rechne mit einem Zeitraum von fünf Jahren, bis alle Parlamente über CETA abgestimmt haben“, mutmaßt Wolfgang Weiß, Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht an der Universität Speyer.
Ceta ist rechtlich höchst riskant
Der Jurist hält das Vorhaben, den Vertrag vollständig vorläufig anzuwenden, für rechtlich höchst riskant. „Nach meiner Einschätzung würde das Bundesverfassungsgericht einer Beschwerde gegen das vorläufige Inkrafttreten mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit stattgeben“, sagt Weiß im Gespräch mit dieser Zeitung.
Schließlich gehe es beim Ceta – wie auch im TTIP-Abkommen mit den USA - nicht nur um den Wegfall von Zöllen oder die Angleichung von Industrienormen, sondern um eine Fülle sehr weitreichender Vereinbarungen, die insbesondere den Verbraucher- und Arbeitsschutz beträfen.
Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt der Kölner Völkerrechtler Bernhard Kempen. „Nach Grundgesetz-Artikel 59, Absatz 2, bedürfen völkerrechtliche Verträge der Zustimmung des Bundestages und des Bundesrats. Das gilt auch für eine vorläufige Anwendung des Ceta-Abkommens, weil die Bundesrepublik damit bis auf weiteres in vollem Umfang vertragspflichtig ist“, erläutert Kempen.
Viele wollen Verfassungsbeschwerde einlegen
Die Bundesregierung müsse dem Parlament einen Gesetzentwurf vorlegen, mit dem ein Regierungsmitglied bevollmächtigt werde, der vorläufigen Inkraftsetzung zuzustimmen und den Vertrag zu unterzeichnen. „Das alles müsste noch vor der entscheidenden Ministerratssitzung am 19. Oktober geschehen.“ Wird es aber nicht, das ist laut Kempen absehbar.
Ebenso absehbar im Übrigen, wie der Gang vor das Bundesverfassungsgericht. Die Linksfraktion im Bundestag hat bereits eine Organklage wegen CETA angekündigt. Auch Foodwatch, Campact und Mehr Demokratie wollen Verfassungsbeschwerde einlegen.
Als Verfahrensbevollmächtigten haben die drei Organisationen Bernhard Kempen eingesetzt. Wie Kollege Weiß hält auch Kempen die Wahrscheinlichkeit für sehr hoch, dass das Bundesverfassungsgericht das vorläufige Inkraftsetzen an Bundestag und Bundesrat vorbei als grundgesetzwidrig verwirft.
Ceta und TTIP sind viel umfassender als frühere Freihandelsverträge
Zwar seien auch schon in der Vergangenheit Freihandelsabkommen vorläufig angewendet worden, ohne die Zustimmung der nationalen Parlamente einzuholen. Das bedeute aber nicht, dass diese Praxis rechtens gewesen sei: „Es zeigt lediglich, dass niemand dagegen geklagt hat.“
Ähnliches gelte auch für die nicht-staatliche Schiedsgerichtsbarkeit für Investitionsschutz-Verfahren. Sie existierten zwar seit vielen Jahren, seien aber nie einer verfassungsrechtlichen Prüfung unterzogen worden. „Laut Grundgesetz sind allein staatliche Gerichte befugt, Recht zu sprechen und Verurteilungen vorzunehmen. Wo es um Fragen des Gemeinwohls geht, sind private Schiedsgerichte geradezu abenteuerlich“, findet Kempen.
Zudem seien Ceta und TTIP Handelsabkommen einer neuen Qualität: viel umfassender als frühere Freihandelsverträge, beschränkten sie den Gesetzgeberin unzulässiger Weise, künftig Vorschriften und Standards zum Schutz von Mensch und Umwelt zu entwickeln. „Ich bin kein Gegner des Freihandels, aber diese Beschränkungen sind nicht akzeptabel.“