Boom! Welcher Boom? Boom! Welcher Boom?: Die Wirtschaft brummt - Aber warum fühlt sich das nicht so an?

Halle (Saale) - Es ist eine Jubel-Nachricht wie zu Zeiten der „Aktuellen Kamera“: Das Wirtschaftswachstum und nahezu Vollbeschäftigung in einigen Regionen Deutschlands haben dem deutschen Staat im ersten Halbjahr 2017 einen Rekordüberschuss beschert. Bund, Länder, Gemeinden und Sozialkassen nahmen unter dem Strich 18,3 Milliarden Euro mehr ein als sie ausgaben, teilte das Statistische Bundesamt am Freitag mit. Einige Kommentatoren schwärmen schon vom neuen Wirtschaftswunder. Doch viele Deutsche werden sich fragen: Warum fühlt sich das nicht so an?
Seit Mitte 2009 steigt das Bruttoinlandsprodukt fast ungebrochen
Seit Mitte 2009 steigt das Bruttoinlandsprodukt, welches den Wert der hergestellten Waren und Dienstleistungen angibt, fast ungebrochen - in 29 von 32 Quartalen. Das ist beeindruckend. Doch ist es ein gemächliches Wachstum von jährlich ein bis zwei Prozent. Hohe Wachstumsraten von mehr als vier Prozent wie in den 60er Jahren in der Bundesrepublik sind die Ausnahme. Die Firmen schaffen mehr Jobs. Der starke Rückgang der Arbeitslosigkeit geht gerade in Ostdeutschland aber darauf zurück, dass mehr ältere Menschen in Rente gehen als junge auf den Arbeitsmarkt kommen.
Seit ein paar Jahren steigen auch die Löhne wieder - doch Gehaltssprünge sind Managern und Ärzten vorbehalten. Die Einkommen der Gutverdiener steigen stärker als der Geringverdiener. Viele neue Jobs entstehen aber gerade im Dienstleistungsbereich - bei Pizza-Diensten und in der Altenpflege. Die dort arbeitenden Beschäftigten werden verständlicherweise nicht das Gefühl haben, einen Boom mitzuerleben.
Von einer Überhitzung der Wirtschaft ist Deutschland weit entfernt
Volkswirtschaftlich gesehen hat das auch Vorteile. Denn von einer Überhitzung der Wirtschaft ist Deutschland weit entfernt. Die immer mal wieder von einigen Ökonomen heraufbeschworene Gefahr eines Crashs ist gering.
Kritischer sieht es aus, wenn man sich die Gründe für den Aufschwung anschaut. Ein wesentlicher Faktor ist die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Sie pumpt bisher ungebremst Hunderte Milliarden Euro in den Markt und hat den Leitzins auf null gesenkt, damit die Staaten in Südeuropa wirtschaftlich nicht untergehen. Für Deutschland wirkt das wie Doping. Jeder, der es sich leisten kann, investiert dank Mini-Zinsen in Immobilien - zur Freude der Handwerker. Die ohnehin starken Industriefirmen können durch den schwachen Euro noch besser ihre Produkte in China oder den USA verkaufen.
Die Neigung zur Hysterie könnte uns allen noch gefährlich werden
Doch auch ohne den ständigen Nachschub an Geld der Notenbank stünde die deutsche Wirtschaft nicht schlecht da. Zwar sitzen hierzulande nicht Google und Facebook, dafür aber tausende mittelständische Technologiefirmen, die an der Zukunft arbeiten. Dass passiert nicht nur in Berlin und München. In Leipzig haben IT-Firmen inzwischen ein Drittel der Bürofläche in der Innenstadt gemietet.
Die Wirtschaftsfunktionäre, die rumjammern, Deutschland verschlafe den technologischen Wandel, sollten einfach mal diese Unternehmen besuchen. Natürlich sind einige Länder wie China oder Südkorea in wichtigen Branchen wie der Halbleiter-Industrie voraus. Doch das sollte eher anspornen als frustrieren.
Eigene Stärke sollte nicht unterschätzt - aber auch nicht überschätzt werden
So richtig ein Bein stellen kann sich Deutschland nur selbst. Es ist der Hang alles schwarz oder weiß zu sehen, die Neigung zur Hysterie, die uns allen gefährlich werden könnte. Aktuelles Beispiel: die Diskussion um die Diesel-Abgase. Jahrelang hat der Gesetzgeber Fantasie-Grenzwerte festgelegt, und die Autobauer haben ebenso fantasievoll unrealistische Abgastests durchgeführt. Jetzt, da der Bluff aufgeflogen ist, überbietet sich die Politik mit Sanktionsdrohungen gegen die Industrie, an der direkt und indirekt jeder zehnte Job hängt. Einige wollen sogar 15 Millionen Diesel-Fahrzeuge aus den Großstädten verbannen. Als Autofahrer, der einen zugelassenen Pkw besitzt, fragt man sich: Geht’s noch?
Ja, der deutschen Wirtschaft geht es gut. Die eigene Stärke sollte nicht unterschätzt - aber auch nicht überschätzt werden. Es gibt kein neues Wirtschaftswunder, sondern nur einen globalen Markt mit Chancen und Risiken. Bisher machen die meisten Menschen hierzulande ihren Job einfach gut. (mz)