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Biogasanlagen in Indien Biogasanlagen in Indien: Mit Kuhfladen das Klima retten

Von Timot Szent-Ivanyi 20.11.2015, 16:18
Radha Nanjundappa bereitet ihre Biogasanlage vor.
Radha Nanjundappa bereitet ihre Biogasanlage vor. Timot Szent-Ivanyi Lizenz

Radha Nanjundappa greift beherzt mit bloßen Händen in die braune Pampe. Stinkende Kuhfladen, ein wenig Wasser, etwas Grünzeug - gut verrührt ist das die beste Vorbereitung für ein schmackhaftes Mahl. Das Gemisch wird in einen unterirdischen, gemauerten Tank geleitet und schon nach zehn Minuten kann die 35Jährige in ihrer Hütte nebenan den Gasherd anwerfen, um Essen für ihre Familie zubereiten.

Die mit einfachsten Mitteln gebaute Biogasanlage im kleinen Dörfchen Gundlapalli im Süden Indiens ist eine von rund 17.000 Kochstellen, die die lokalen Partner der evangelischen Hilfsorganisation Brot für die Welt gebaut haben. Das Besondere daran: Entwicklungshilfe wird auf intelligente Weise mit dem Klimaschutz verbunden. Denn das Geld für die Anlagen stammt unter anderem aus einem kirchlichen Kompensationsfonds für klimaschädliche Treibhausgase.

Gasherde sind aus verschiedenen Gründen beliebt

Blitzsauber ist es in der kleinen Küche von Frau Nanjundappa. Kein Vergleich zu den verrußten Räumen bei den Nachbarn, die noch auf offenen Holzfeuern kochen. Der entscheidende Vorteil ist jedoch ein anderer: Früher sei sie mehrfach die Woche viele Kilometer unterwegs gewesen, um die pro Tag notwendigen zehn Kilogramm Brennholz zu sammeln, berichtet die 35jährige.

Es ist allerdings weniger der Wegfall der schweren Arbeit, die sie und andere Dorfbewohnerinnen nun schätzen. Offen gesprochen wird darüber nicht, aber die Mitarbeiter von Entwicklungsorganisationen kennen den Grund, warum die Gasherde so beliebt sind: Gerade beim Holzsammeln in den Wäldern werden Frauen in Indien oft überfallen und vergewaltigt.

Klimaaspekt spielt eine immer wichtigere Rolle

Der Bau moderner Herde gehört seit Jahren zum Standardprogramm von Hilfsorganisationen in Afrika oder Asien. Allein in Indien sind fast 800 Millionen Menschen für die Zubereitung ihrer Mahlzeiten auf Kohle- oder Holzfeuer angewiesen oder betreiben einen Herd mit Kerosin. Stand bisher im Mittelpunkt, das tägliche Leben der Menschen unmittelbar zu verbessern, spielt neuerdings der Klimaaspekt eine immer wichtigere Rolle.

Denn schon heute ist klar, dass es insbesondere die Entwicklungsländer sind, die vom Klimawandel betroffen sind. Das kann man auch Gundlapalli beobachten: Die Dorfbewohner, überwiegend Angehörige einer sehr niedrigen Kaste, berichten, dass schon im dritten Jahr in Folge der Regen ausgeblieben ist. Inzwischen muss 300 Meter tief gebohrt werden, um Trinkwasser fördern zu können.

Zum anderen bietet der Klimaschutz völlig neue Finanzierungsmöglichkeiten. Ging es bisher eher um Altruismus der westlichen Geber, können die Entwicklungsländer heute eine Gegenleistung bringen: Senken sie zum Beispiel durch die Biogasanlagen, effiziente Holzherde oder Solarzellen den Ausstoß von Treibhausgasen, dann können sie diese Ersparnis in Form sogenannter Zertifikate in den Industriestaaten verkaufen.

„Wir verkaufen euch unsere Armut nicht mehr“

Privatpersonen oder Unternehmen in der westlichen Welt können dadurch ihre eigenen Emissionen kompensieren und so gleichzeitig die Projekte finanzieren. „Wir verkaufen euch unsere Armut nicht mehr. Wir machen Geschäfte.“, sagt Ram Esteves, Chef des indischen Brot-für-die Welt-Partners ADATS. Und er fügt hinzu: „Die Armen sind nicht mehr Teil des Problems, sie sind Teil der Lösung.“

Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Projekte tatsächlich nachweisbar dem Klimaschutz und den Menschen vor Ort nutzen. Dazu haben Umwelt- und Entwicklungsorganisationen den international gültigen „Gold Standard“ entwickelt, der unter anderem eine Einbeziehung der lokalen Bevölkerung verlangt. Zertifiziert werden nur Vorhaben, die keine negativen Auswirkungen auf die Umwelt haben und tatsächlich auch der Armutsbekämpfung dienen.

Das ist längst keine Selbstverständlichkeit. So sind beispielsweise Wasserkraftwerke zwar klimafreundlich. Wenn aber für den Bau der Anlagen Hundertausende Menschen vertrieben und sensible Ökosysteme zerstört werden, dann überwiegt der Schaden.

Die Biogasanlagen in Südindien zum Stückpreis von rund 200 Euro entsprechen dem strengen Standard. 250.000 Tonnen Kohlendioxid wurden durch sie bereits eingespart. Das Problem ist allerdings, dass sich die dadurch generierten Emissionsrechte nicht am offiziellen Zertifikate-Markt verkaufen lassen.

In Klimaschutzprojekte investieren

Denn dort sind die Preise für eine Tonne Kohlendioxid unter anderem wegen eines Überangebots auf wenige Euro abgestürzt. Mit diesen Beträgen lassen sich selbst in Entwicklungsländern keine Klimaschutzprojekte auskömmlich finanzieren, schließlich müssen die entsprechenden Anlagen über Geldgeber vorfinanziert werden.

Als angemessen gelten 23 Euro pro Tonne. Diesen Betrag verlangen der kirchliche Kompensationsfonds „Klima-Kollekte“ oder die auf die Kompensation von Flugreisen spezialisierte Organisation „atmosfair“. Wer über diesen Weg seine Emissionen freiwillig ausgleichen will, kann sich im Gegenzug sicher sein, dass sein Geld tatsächlich in sinnvolle und von externen Gutachtern kontinuierlich überwachte Projekte gesteckt wird.

Außerdem werden die aufgekauften Emissionsrechte nicht weiterverkauft, sondern still gelegt. Damit ist gewährleistet, dass es am Ende insgesamt zu einer Senkung des weltweiten CO2-Ausstosses kommt. “Wir schlagen eine Brücke zwischen Klima- und Umweltschutz sowie der Armutsbekämpfung“, sagt Brot-für-die-Welt-Präsidentin Cornelia Füllkrug-Weitzel.

Für die Hilfsorganisation haben die Klimaschutzmaßnahmen einen weiteren Vorteil. „Wir erreichen mit diesen Projekten ganz andere Kreise von Spendern als bei der klassischen Armutsbekämpfung“, sagt Füllkrug-Weitzel. Derzeit investieren Privatpersonen und Unternehmen weltweit etwa 400 Millionen Euro in den Kauf von Zertifikate, um den C02-Ausstoss zu kompensieren.

Seidenrauben funktionieren besser als Kuhdung

Experten gehen davon aus, dass dieser sogenannte „freiwillige Markt“ bis zum Jahre 2020 um das Fünffache auf rund zwei Milliarden Euro anwachsen wird.

Dass sie die im „Gold Standard“ geforderte Mitwirkung bei Klimaschutzprojekten ernst nehmen, zeigen die Menschen in Gundlapalli. Da sich wegen der zunehmenden Trockenheit immer weniger Landarbeiter Kühe halten können, haben sie mit den Hinterlassenschaften anderer Tiere experimentiert, um die Biogasanlagen zu füllen. Fündig geworden sind sie bei den Seidenraupen, die in vielen Haushalten gezüchtet werden.

„Das funktioniert sogar besser als der Kuhdung“, berichtet Dorfbewohnerin Narashima Gangavapama. Offenbar ist der Kot der nimmersatten Raupen energiereicher. Die wählerischen Tiere, die nur die Blätter des Maulbeerbaums fressen, dienen den Indern damit gleich doppelt: Als Rohstofflieferant für prächtigen Saris und fürs warme Abendessen.

Delhi im Smog.
Delhi im Smog.
dpa Lizenz
Indien im Dunst.
Indien im Dunst.
AFP Lizenz
Neu Delhi hat ein massives Umweltschutz-Problem.
Neu Delhi hat ein massives Umweltschutz-Problem.
AP Lizenz