Belästigt am Arbeitsplatz Belästigt am Arbeitsplatz: Wie wehrt man sich gegen sexuelle Übergriffe?

Halle (Saale)/DMN. - Ein anzüglicher Spruch oder eine scheinbar zufällige Berührung am Po: Vor allem Frauen leiden immer wieder unter sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. 40 bis 50 Prozent der europäischen Arbeitnehmerinnen haben schon Attacken im Job erlebt, berichtet die Internationale Arbeitsorganisation (ILO). In Deutschland gilt das für jede vierte Frau - allerdings sind die Zahlen des Bundesfamilienministeriums von 2005. Und die Dunkelziffer dürfte hoch sein. Denn die wenigsten Frauen sprechen darüber oder suchen Hilfe - zu groß ist die Unsicherheit, was man dagegen tun kann.
In den Beratungen werde häufig zunächst geklärt, ob eine sexuelle Belästigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vorliegt, erklärt Anette Diehl von der Frauenberatungsstelle Mainz. Bei Stellen wie dieser finden Betroffene bundesweit Rat und Hilfe. Tabu sind nach dem AGG „unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen“.
„Jeder Arbeitgeber ist nach dem AGG verpflichtet, eine interne Beschwerdestelle einzurichten“, betont die Berliner Rechtsanwältin Katrin von Balluseck. Diese ist verpflichtet, die Beschwerde zu prüfen. Liegt tatsächlich eine sexuelle Belästigung vor, muss der Arbeitgeber aktiv werden. Er kann dem Belästiger gegenüber zu arbeitsrechtlichen Schritten greifen - ihn also abmahnen, versetzen oder kündigen.
Auf das eigene Bauchgefühl hören
Doch nur wenige Vorfälle werden rechtlich verfolgt. Denn die Beweislast liegt bei der Frau. Häufig geht es darum zu klären, ob das Handeln des Beschuldigten im Sinne des AGG „unerwünscht“ war, erläutert von Balluseck. Da stehe oft Aussage gegen Aussage - mit ungewissem Ausgang. Wichtig ist es deshalb, Belege wie anzügliche E-Mails zu sammeln. Fruchten interne Bemühungen gegen Täter nicht, kann es jedoch durchaus sinnvoll sein, einen Anwalt einzuschalten. Dieser kann zum Beispiel Schadensersatzansprüche stellen, wenn ein Arbeitgeber seiner Pflicht nicht nachgekommen ist, die Mitarbeiter zu schützen.
Was als sexuelle Belästigung empfunden und wie damit umgegangen wird, ist so individuell, wie Frauen verschieden sind. Was die eine als Grenzüberschreitung empfindet, hakt die andere als derben Witz ab. Dennoch, da sind sich die Experten einig: Wenn man in der Gegenwart eines Kollegen ein komisches Bauchgefühl hat, Gesprächen oder Zusammentreffen möglichst ausweicht, stimmt etwas nicht.
Auf gar keinen Fall sollte eine Frau ihren Belästiger ignorieren, rät Peter Modler, Unternehmensberater mit Lehrauftrag an der Universität Freiburg. „Wenn er einmal damit durchgekommen ist, versucht er es immer wieder.“ Stattdessen sollten Betroffene sofort reagieren: „Tief Luft holen und dann in einfachsten Worten laut und langsam sagen: 'Nein. Das kommt nicht infrage!' Das kann man so lange wiederholen, bis er es checkt.“
Neben dem Samthandschuh sollten Frauen genauso den Stahlhandschuh in der Tasche haben, sagt Modler. Das heißt: „Ich schiebe ihn an der Schulter langsam und mit festem Druck weg und werde langsam laut.“ Frauen neigten dazu, auch in einer solchen Situation mit einem differenzierten Argumentationskatalog zu antworten. Doch das funktioniere genau so wenig wie Schlagfertigkeit oder Ironie: „Das ist Luxus, das verstehen Männer in diesem Moment gar nicht.“
Auch Männer sollten mal eingreifen
Auch die Genderforscherin Silke Martini rät zu einem sachlichen Ton. Denn wer zu nett ist, wird möglicherweise gar nicht ernst genommen - nach dem Motto: „Wenn die noch lächelt, kann es ja nicht so schlimm gewesen sein.“ Wer das direkte Gespräch scheut, sollte dem Kollegen eine Notiz schreiben.
Die Vorfälle schriftlich festzuhalten, ist auch dann sinnvoll, wenn sie häufiger passieren. „Dann bietet sich eine Art Mobbing-Tagebuch an, in dem genau datiert wird, was passiert ist, mit Ort, Datum und Uhrzeit“, so Martini. Dies stärke die Position, wenn es zum Gespräch mit dem Vorgesetzten oder gar zu einer juristischen Auseinandersetzung kommt. Ist der Chef der Übeltäter, rät Martini zum Gang zum Anwalt. Meist ende dieser Schritt in einem Aufhebungsvertrag.
Grundsätzlich sollten Frauen sich im Betrieb selbstbewusst präsentieren, so Modler. So geraten sie nicht so leicht in die Opferrolle. Dazu gehörten eine „aufrechte Körperhaltung, Schultern nach hinten, ein seriöses Outfit“. Dagegen sieht Martini, die zu dem Thema Seminare für Führungskräfte anbietet, präventiv eher Arbeitgeber in der Pflicht.
Ein striktes Verbot, anzügliche Kalender aufzuhängen, oder ein klares Signal des Chefs, sexuelle Belästigung nicht zu dulden, änderten die Betriebskultur ungemein. Und männliche Kollegen sollten ruhig mal eingreifen, wenn sich bei der Arbeit eine „Herrenwitzkultur“ breitmache: „Das wäre doch gut, wenn auch mal Männer zu ihrem Kollegen sagen: Hör doch auf damit, das nervt.“ (gs/dpa)
