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Amazon in Leipzig Amazon in Leipzig: 1.500 zusätzliche Kräfte für Weihnachtsgeschäft

Von Steffen Höhne 14.11.2014, 06:50
Bis zu 500.000 Sendungen verlassen täglich in der Vorweihnachtszeit das Leipziger Versandzentrum.
Bis zu 500.000 Sendungen verlassen täglich in der Vorweihnachtszeit das Leipziger Versandzentrum. dpa Lizenz

Leipzig - Jochen Kaplan zieht aus einer kleinen Box eine Verpackung mit Kopfhören, scannt den Barcode und legt sie in den Paketkarton. Es folgen ein Kalender und eine Decke. Auf einem Monitor erscheint die Nachricht, dass die Kunden-Lieferung nun vollständig ist. Kaplan stopft noch etwas Papier in den Karton, damit die Waren beim Transport nicht verrutschen und beschädigt werden. Anschließend schließt er das Paket. Es ist 15.30 Uhr. Seine achtstündige Schicht hat gerade begonnen. Seit sechs Jahren arbeitet er im Versandzentrum in Leipzig. „Ich war damals froh, dass mir Amazon eine Chance gegeben hat“, sagt der 65-Jährige. In wenigen Monaten will er in Rente gehen. An den von der Gewerkschaft Verdi organisierten Streiks beteiligt er sich nicht. „Ich bin zufrieden, so wie es ist.“ Früher habe er bei einem Kurierdienst für mehr Arbeit weniger verdient.

Amazon ist der größte Online-Versandhändler der Welt. Der erst 1995 gegründete US-Konzern wächst in Deutschland rasant. 7,7 Milliarden Euro hat Amazon im vergangenen Jahr hierzulande umgesetzt. Schnelle Lieferungen über Nacht und Kundenservice werden groß geschrieben. Eher knauserig behandelt der Weltkonzern aus Sicht der Gewerkschaft Verdi seine Mitarbeiter. Tarifverträge schließt Amazon kategorisch aus. Seit Frühjahr 2013 streiken daher immer wieder Teile der Belegschaft.

Mehrere Millionen Artikel

In die betriebsinterne Welt von Amazon bekommt man nur selten einen Einblick. Am öffnete der Standort Leipzig für Journalisten die Tore. 75 000 Quadratmeter - elf Fußballfelder - ist das Versandzentrum groß. Zwischen den Hochregalen und den langen Förderbändern wirken die Mitarbeiter in ihren roten Leuchtjacken wie emsige Ameisen. Alle Waren, ob Bücher, DVDs, Software oder Fernseher bekommen bei der Einlagerung einen Barcode. Bei einer einlaufenden Bestellung sieht der Amazon-Mitarbeiter dann auf seinem Display: Windeln in Halle A, Reihe 350, Regalhöhe B, Fach 28 Und los geht es.

„Gelagert wird bei uns nach einem chaotischen System, das spart Platz“, erklärt Standortleiter Dietmar Jüngling. „Nur der Computer weiß, wo sich die Waren befinden.“ So kann neben der Windel ein Buch oder ein Blumentopf stehen. Mehrere Millionen Artikel sind in Leipzig vorrätig. In der Vorweihnachtszeit herrscht Hochbetrieb. „An einigen Tagen liefern wir mehr als 500 000 Sendungen aus“, sagt Jüngling. Um dies zu bewältigen, wird die Belegschaft von 2 000 Mitarbeitern um 1 500 Saisonkräfte aufgestockt. Die Mitarbeiter im Lager, die die Waren zusammenstellen, legen täglich bis zu 15 Kilometer Wegstrecke zurück. Die Arbeitsbelastung ist hoch. Denn auf den Displays steht nicht nur, welche Waren eingesammelt, sondern auch, wann diese ausgeliefert werden müssen. „Unser Ziel ist es, dass 100 Prozent der Sendungen pünktlich und korrekt rausgehen“, sagt Jüngling.

Was Amazon Einsteigern bezahlt wie hoch die Streikbeteiligung an den einzelnen Standorten ist, lesen Sie auf Seite 2.

9,75 Euro brutto pro Stunde zahlt Amazon Einsteigern. Inklusive Nebenleistungen verdient ein Mitarbeiter nach Worten des Standortleiters etwa 2 000 Euro brutto im Monat. Die Entlohnung orientiert sich an der Logistikbranche.

Die Gewerkschaft fordert allerdings den höheren Einzelhandelstarif, der auch Urlaubs und Weihnachtsgeld mit einschließt. Amazon-Mitarbeiter Andreas Sandig nimmt an den Streiks teil: „Wir leisten gute Arbeit und sollten auch entsprechend entlohnt werden.“ Ein Tarifvertrag bedeute nicht nur mehr Geld, sondern auch mehr Schutz. Die Belegschaft ist jedoch geteilt, ob man dies durch Streiks durchsetzen soll.

Mittlerweile beteiligen sich fünf deutsche Standorte an den Streiks. Doch der Organisationsgrad der Gewerkschaft ist in den einzelnen Zentren unterschiedlich hoch. „In Leipzig nehmen regelmäßig 350 bis 450 Mitarbeiter am Tag teil“, sagt Gewerkschaftssekretär Thomas Schneider. Dies habe natürlich Auswirkungen. So könne Amazon die Lieferzeiten an die Kunden nicht einhalten. In den kommenden Wochen werde wieder die Arbeit niedergelegt. Amazon-Manager Jüngling sagt dagegen: „80 Prozent der Belegschaft arbeiten, auch wenn Verdi zum Streik aufruft.“ Bisher sei es immer gelungen, alle Aufträge pünktlich abzuarbeiten.

In diesem Weihnachtsgeschäft hat Amazon mit zwei neuen Standorten in Polen zusätzliche Ausweichmöglichkeiten geschaffen. In Posen (Poznan) und Breslau (Wroclaw) wurden im Herbst große Verteilzentren eröffnet. Diese arbeiten vor allem für deutsche Kunden. Laut Medienberichten verdienen die Mitarbeiter 2 400 Złoty im Monat. Das entspricht 600 Euro - weniger als ein Drittel des Leipziger Lohns. „Natürlich haben wir Angst, dass künftig mehr über Polen abgewickelt wird“, sagt eine Mitarbeiterin, die nicht namentlich genannt werden möchte. Laut Jüngling sind die polnischen Zentren dafür da, das zusätzliche Wachstum aufzufangen. Es sei nicht geplant, einen bestehenden Standort aufzugeben.

Einige Zugeständnisse

In den Augen vieler Beschäftigter, ob sie streiken oder nicht, kann ihr Arbeitgeber mit den polnischen Lagern den Druck erhöhen. Schon heute gibt es bei der Entlohnung ein Bonussystem, das sich an Produktivität, Arbeitssicherheit und Qualität orientiert. Um bis zu zwölf Prozent kann das Entgelt für alle Beschäftigten an einem Standort steigen. „Durch die hohen Vorgaben war der Bonus in den zurückliegenden Monaten aber null“, so ein Mitarbeiter.

Laufen die Streiks also künftig ins Leere? Nein, sagt Schneider von Verdi. Es gebe schon heute einige Zugeständnisse. So habe Amazon etwa ein kleines Weihnachtsgeld von 400 Euro eingeführt und die Arbeit durch dezentrale Pausenräume erleichtert. Zudem gebe es überall Betriebsräte. „Amazon bewegt sich“, sagt Schneider. „Es reicht aber bei weitem noch nicht.“ (mz)

Mitarbeiterin Christiane Cichoracki sammelt im Amazon-Logistikzentrum in Leipzig Artikel für den Versand ein.
Mitarbeiterin Christiane Cichoracki sammelt im Amazon-Logistikzentrum in Leipzig Artikel für den Versand ein.
dpa Lizenz