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Volksentscheid in Hamburg Volksentscheid in Hamburg: Friede den Schulen

16.07.2010, 18:41

Halle/MZ. - Am Sonntag befinden die Hamburger Bürger in einem Volksentscheid über das umstrittenste Projekt der ersten schwarz-grünen Koalition der Republik: Die Schulreform. Nach einem komplizierten Diskussionsprozess wird sie sogar von der Opposition in der Bürgerschaft mit getragen. Dennoch könnte es sein, dass der Volksentscheid sie hinweg fegt und Bürgermeister Ole von Beust (CDU) gleich mit.

Die hohe Emotionalität, die den Konflikt in der Hansestadt prägt, ist nicht zu erklären ohne die Verunsicherung jener Mittelschicht, die sich so lange als zentrale Kraft der alten Bundesrepublik gefühlt hat. Statt vier sollen die Kinder in Hamburg sechs Jahre gemeinsam lernen. Danach gehen sie aufs Gymnasium oder in eine "Stadtteilschule", die Haupt-, Real und Gesamtschule ersetzt. Dennoch wittern Reformgegner vor allem einen Anschlag auf das Gymnasium. Dass "Gymnasialkinder" länger mit Schwächeren lernen, begreifen sie vor allem als Benachteiligung der Stärkeren, die sie in ihrer Entwicklung behindert sehen.

Woher kommt die Angst, woher der Zorn, mit dem das Bündnis "Wir wollen lernen" die Stimmung in Hamburg so stark aufheizen konnte? In der Mitte der Gesellschaft ist die alte Gewissheit dahin, dass es dem Nachwuchs besser gehen wird, wenn er sich auf einer ordentlichen Schule ordentlich auf den Hosenboden setzt. Dieser Verlust von Statusgewissheit und Aufstiegsoptimismus verunsichert die Mittelschicht zutiefst. Deshalb reagieren viele Menschen so abwehrend auf eine bildungspolitische Debatte, die ihnen das Gefühl gibt, es gehe vor allem um die Förderung von Randgruppen, nicht um die Kinder aus der Mitte der Gesellschaft.

Gegen diese Wahrnehmung lässt sich einiges einwenden - angefangen mit der Tatsache, dass die Gymnasien selten so sehr wie heute von Mittel-(und Ober-)Schicht dominiert waren. Aber Ängste lassen sich nicht hinweg dekretieren. Die Politik muss sich ernsthaft mit dem Problem auseinander setzen, dass der sinnvolle und vor allem soziale Gedanke, Kinder aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen länger gemeinsam lernen zu lassen, von vielen als Bedrohung gewertet wird.

Und noch etwas: In Europa werden gerade mühevoll die Studienabschlüsse vereinheitlicht. Da er schließt sich nicht jedem, warum es sinnvoll sei, die Unterschiede zwischen den Schulsystemen deutscher Bundesländer zu vergrößern. Statt Sachverstand und knappes Geld auf neue Organisationsformen zu verwenden, wäre es sinnvoller, die Schulen besser auszustatten, die Klassen kleiner zu machen, den Lehrern mehr Gelegenheit zur Fortbildung zu geben. Undsoweiter.

In einem Punkt immerhin könnte Hamburg dem ganzen Land zum Vorbild werden. Unter dem Druck der Reformgegner haben sich CDU, Grüne und die oppositionelle SPD zu einem "Schulfrieden" verpflichtet: Unabhängig vom Ergebnis des Volksentscheids sollen Eltern und Kindern danach zehn Jahre lang Ruhe haben vor jeglicher Änderung des Schulsystems.

Kontakt zum Autor: Thomas Kröter