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Versandhandel Versandhandel: Neckermann macht's auf die harte Tour

Von Peter Dietz 27.04.2012, 12:36

FRANKFURT (MAIN)/MZ. - Das Frankfurter Versandhaus Neckermann will 1 380 Stellen streichen und damit auf einen Schlag die Belegschaft in Deutschland halbieren. Das im Jahr 1950 gegründete Traditionsunternehmen wird künftig keine eigenen Textilien mehr verkaufen, keine Kataloge drucken sowie den Bereich Logistik in Frankfurt am Main komplett schließen.

Damit wolle sich Neckermann als "reiner Online-Händler" positionieren, teilte das Unternehmen gestern mit. Der Abbau der Arbeitsplätze sei unverzichtbar, sagte Geschäftsführer Henning Koopmann. Der Verkauf der Eigen-Textilien sei nicht mehr wettbewerbsfähig gewesen. In den vergangenen fünf Jahren habe sich der Umsatz dort mehr als halbiert. Damit werde auch der Bereich Logistik mit rund 870 Leuten überflüssig. In der Verwaltung werden rund 390 Jobs gestrichen. Von der Rosskur ist vor allem der Stammsitz Frankfurt betroffen - dort bleiben laut Verdi unterm Strich nur noch 400 Arbeitsplätze.

Soziale Katastrophe befürchtet

Der Stellenabbau stößt auf heftige Kritik. "Das ist ein Kahlschlag sondergleichen", sagte Wolfgang Thurner von der Gewerkschaft Verdi. Verdi will den Stellenabbau nicht einfach hinnehmen. In der nächsten Woche soll es Gespräche zwischen Management und den Vertretern der Arbeitnehmer geben. "Dann werden wir dem scheinbar alternativlosen Konzept der Geschäftsführung etwas entgegensetzen", kündigte Thurner an.

Verdi sieht vor allem den Eigentümer, den US-Finanzinvestor Sun Capital, in der Pflicht. Neckermann habe Zukunft, sagte Thurner, deshalb müsse Sun Capital weiter Kapital zuschießen. Sun Capital bekräftigte gestern ein "langfristiges Interesse an der profitablen Entwicklung des Unternehmens".

Der Gesellschafter werde weiter in den Ausbau des elektronischen Geschäfts investieren, sagte Sun-Manager Paul Daccus. Das sei allerdings nur "Teil einer Gesamtlösung". Zu dieser müssten die übrigen Beteiligten ebenfalls beitragen.

Für die Beschäftigten in der Logistik wäre der Stellenabbau "eine soziale Katastrophe", sagte Thurner.

Die Beschäftigten seien kalt erwischt worden und geschockt, ergänzte Stefanie Nutzenberger vom Verdi-Bundesvorstand.

Neckermann werde Textilien künftig ausschließlich von Handelspartnern beziehen und nicht mehr auf eigene Rechnung fertigen lassen, kündigt das Management an. Zudem baut das Unternehmen auf die im Internet stark gefragten Sortimente Technik und Möbel. Neben dem Hauptkatalog werden auch alle anderen Prospekte eingestellt. Damit geht eine Ära im deutschen Handel zu Ende: Der erste Neckermann-Katalog umfasste in den 1950er Jahren zwölf Seiten, auf denen 133 Textilangebote präsentiert wurden. Das Versandhaus gilt als Symbol des deutschen Wirtschaftswunders. 1977 kaufte sich Karstadt bei den Frankfurtern ein. Doch bald war Neckermann das Sorgenkind in der einst bunten Arcandor-Welt um Karstadt, Quelle und Thomas Cook. Das Traditionshaus kränkelte, schrieb über Jahre tiefrote Zahlen. Im März 2008 stieß die Mutter die Tochter ab.

Online-Handel dominiert

Der neue Eigner Sun Capital ging ans Eingemachte, rasierte knapp 800 Jobs in Deutschland und straffte das Sortiment. Zugleich setzte er konsequent aufs Internet und investierte Millionen in den Ausbau elektronischer Handelsplattformen. Heute steht Neckermann auf Rang drei der größten deutschen Online-Händler - hinter Amazon und Otto. 80 Prozent der Umsätze werden online erwirtschaftet.