Verlagerung Verlagerung: Holzwerke im Osten werden demontiert
magdeburg/Halle (Saale)/MZ. - 35 Meter hoch ragt der Stahlarm. Am Kranseil hängt eine tonnenschwere Röhre. Langsam wird sie abgelegt. Auf dem Vorplatz stapeln sich bereits andere große Bauteile - alle sind sie in gelber Farbe durchnummeriert. Seit etwa drei Wochen läuft die Demontage des ehemaligen Holzfaserplattenwerkes "Varioboard" in Magdeburg, das in der Nähe von Minsk in Weißrussland wieder aufgebaut werden soll. 150 Arbeiter, vorwiegend aus Tschechien und Polen, sollen die Produktionsstätte in nur drei Monaten komplett abbauen. "Dies ist eine logistische Herausforderung", sagt der Betriebsleiter der beauftragten Kranfirma Engel-Krane, Matthias Güttler. Das Unternehmen war 1998 bereits an der Errichtung des Werkes beteiligt. "Aufbauen ist natürlich immer schöner als abbauen", sagt Güttler unumwunden.
Doch in der deutschen Holzindustrie heißt es derzeit: Abbau Ost. Varioboard ist kein Einzelfall. Nach der Wende wurden in den neuen Ländern mit reichlich Steuergeld große Fabriken vorbei am tatsächlichen Bedarf errichtet. Nun werden viele geschlossen und in einigen Fällen in Osteuropa neu hochgezogen.
Der frühere Varioboard-Chef Wilhelm Taubert will auf MZ-Anfrage nicht mehr über den Fall sprechen. Das etwa 50 Millionen Euro teure Werk im Magdeburger Industriegebiet wurde 1999 eingeweiht. Zu Hochzeiten wurden hier jährlich etwa 600 000 Raummeter frisch geschlagenes Holz verarbeitet. Im Mai 2011 kam dann aber die Hiobsbotschaft: Die Produktionsstätte wird geschlossen, die 180 Mitarbeiter entlassen. Taubert begründete dies damals mit "Verwerfungen am Markt". Vor allem wetterte er allerdings gegen den Einsatz von Holz als Brennstoff: Die gesetzliche Förderung von Holzbrennstoff-Heizungen treibe die Holzpreise in die Höhe. Die Produktion von Holzfaserplatten, aus denen etwa Möbel und Fußböden gefertigt werden, lohne sich nicht mehr. Ein Branchenkenner sagt: "Das Problem von Varioboard war eher der Absatz." Die Fabrik wurde mit staatlichen Fördermitteln errichtet. Über die Höhe darf das Magdeburger Wirtschaftsministerium aus rechtlichen Gründen keine Angaben machen. Es dürften jedoch Millionen sein, die nach Auslaufen der Bindefrist nicht zurückgefordert werden konnten.
Nun ist das Werk verkauft. Der Käufer ist ein osteuropäischer Maschinenhändler, der es bei Minsk aufbaut. In der Branche gibt es Gerüchte, dass es künftig von einem großen österreichischen Holzverarbeiter betrieben wird. Der Konzern äußerte sich auf MZ-Anfrage nicht.
Ähnlich wie in Magdeburg liegt der Fall im thüringischen Saalburg-Ebersdorf. Dort wurde im Herbst 2011 das ehemalige Spanplattenwerk von Pfleiderer - der Konzern ist inzwischen insolvent - demontiert. Sämtliche Walzen, Kessel, Rohrgestänge und Kabel wurden mit rund 1 000 Lkw-Ladungen abtransportiert - ebenfalls nach Weißrussland. Nur das Verwaltungsgebäude blieb stehen. Vom Aus waren rund 115 Mitarbeiter betroffen. Erst im Jahr 2000 war die Produktion angelaufen, in Bau und Maschinenpark flossen 14,8 Millionen Euro Fördermittel. Das Geld zurückfordern kann das Land Thüringen ebenfalls nicht. "Die Zweckbindung ist nach fünf bis sieben Jahren abgelaufen", heißt es aus dem Wirtschaftsministerium.
Fall drei: Bereits im Herbst 2009 machte das Ikea-Tochterunternehmen Swedwood seine Fabrik in Gardelegen (Altmark) dicht. Drei Jahrzehnte waren dort "Billy"-Regale produziert worden. Von der Schließung waren 178 Beschäftigte betroffen. Das Werk wurde zwar nicht demontiert, die Produktion nach Angaben der IG Metall aber nach Osteuropa ausgelagert. Das Land Sachsen-Anhalt konnte immerhin noch einen Investitionszuschuss von rund 808 000 Euro zurückfordern.
Den Grund für die Schließungen sieht Holzmarktexperte Jan Kurth vom Hauptverband der Deutschen Holzindustrie (HDH) in Überkapazitäten im Markt. "Die Wirtschaftskrise 2008 hat die Holzverarbeiter hart getroffen", sagt Kurth. Es habe zweistellige Einbrüche im Markt gegeben. Problematisch seien auch die gestiegenen Holzpreise, doch dies gelte für alle Länder in Mitteleuropa.
Die deutsche Holzbranche erwirtschaftet einen Umsatz von rund 38 Milliarden Euro. Etwa die Hälfte entfalle auf die Möbelindustrie, die andere Hälfte auf Holzverarbeiter. In der Möbelbranche tobt seit Jahren ein harter Konkurrenzkampf. Knapp die Hälfte aller in Deutschland verkauften Möbel werden importiert - vor allem aus Osteuropa und Asien. Umgekehrt verkaufen viele deutsche Möbelbauer ihre Produkte im Ausland. Die Holzverarbeiter produzieren dagegen vor allem für den lokalen Markt. "Der Bedarf gerade in Segmenten wie Spanplatten ist rückläufig", sagt Holzexperte Andreas Ruf vom Fachmagazin Europäischer Wirtschaftsdienst - Holz und Holzwerkstoffe. Zwar ziehe die deutsche Bauwirtschaft derzeit merklich an. Die Bautätigkeit sei in den 90er Jahren aber sehr viel höher gewesen.
Doch warum wurden dann neue Werke gebaut, wenn Überkapazitäten absehbar waren? "Die Fördermittel in Ostdeutschland haben sicher eine Rolle gespielt", sagt Ruf. Es sei auffällig, dass die jetzt demontierten Anlagen alle hochmodern seien. Sie würden noch Käufer im Ausland finden. In Weißrussland soll daraus ein großer Holzindustrie-Verbund entstehen.