Verlage Verlage: Neue Führung soll Suhrkamp-Krise beenden

Frankfurt/Main/dpa. - Deutschlands Renommierverlag Suhrkamp steckt ein Jahr nach dem Tod seines jahrzehntelangen Alleinherrschers Siegfried Unseld in einer Führungskrise. Unseld, eine der größten Verlegerpersönlichkeiten der Nachkriegszeit, starb am 26. Oktober 2002 im Alter von 78 Jahren. Der Verlag litt seitdem unter einem Machtvakuum: Zwar waren die Zuständigkeiten formell geregelt. Doch unklar war vor allem die Rolle von Unselds Witwe Ulla Unseld- Berkéwicz, die sich immer wieder von zu Hause aus einschaltete, sich aber nicht zu ihren Absichten im Verlag äußerte. Nun hat sie der Verlag als Vorsitzende des neuen, auf vier Köpfe verdoppelten Geschäftsführer-Teams bestellt. Berkéwicz hat das Büro ihres Mannes im Verlag bezogen. Ob das dem traditionsreichen Haus die lang ersehnte Ruhe bringt, ist jedoch nicht sicher.
Der bisherige Verlagsleiter Günter Berg ist nun ihr Stellvertreter - und in der neuen Viererkonstellation ein Stück weit entmachtet. Und zwischen Berkéwicz und Berg stehen die Dinge nicht zum Besten. Schon in der Vergangenheit prallten dem Vernehmen nach immer öfter unterschiedliche Auffassungen aufeinander. Zu verschieden scheinen der ehrgeizige «Macher» Berg und die ehemalige Schauspielerin und spätere Unseld-Autorin und -Ehefrau Berkéwicz. Ihm wird Machtstreben nachgesagt, ihr ein Hang zur Theatralik, gar zur Esoterik.
Die bühnenreife Inszenierung der Unseld-Gedenkfeier vor kurzem in der Frankfurter Paulskirche nährte diese Gerüchte. Dass Berg in einer langen Reihe von Rednern nicht zu Wort kam, werteten Beobachter als Indiz für den schief hängenden Haussegen. Manche Autoren klagten später, sie hätten statt öffentlich zur Schau getragenen Totenkults gern Worte zur Zukunft des Hauses gehört. Doch Berkéwicz schweigt zu diesen Fragen beharrlich. Auch Interviews gibt sie keine.
Im Umfeld des Verlags und auch in den Feuilletons werden Bedenken laut, die Unseld-Witwe sei nicht erfahren genug, um einen Verlag mit 140 Mitarbeitern zu führen. Suhrkamp-Sprecherin Heide Grasnick hält die Abneigung gegen Berkéwicz für «frauenspezifisch»: «Man unterstellt ihr, dass sie als Frau, Autorin und Schauspielerin der Aufgabe nicht gewachsen ist, und sieht nicht, dass sie Siegfried Unseld viele Jahre eng zur Seite gestanden hat. Sie ist seit vielen Jahren im Geschäft - aber leise.»
So schlägt sich ein Teil des Verlags auf die Seite Günter Bergs, ein anderer hält zu Berkéwicz. Der Machtkampf und die nun zwischen vier Leuten erforderlichen Abstimmungen an der Verlagsspitze dürften dabei Entscheidungen in Zukunft nicht gerade beschleunigen. In übergeordneten Fragen hat zudem ein fünfköpfiger Stiftungsrat Mitspracherecht, dem bedeutende Intellektuelle (Jürgen Habermas, Hans Magnus Enzensberger, Wolf Singer, Adolf Muschg und Alexander Kluge) angehören. Die Stiftung, von Unseld noch zu Lebzeiten gegründet, soll über das verlegerische Suhrkamp-Erbe wachen. Das bedeutet: Der Rat soll unter Vorsitz von Berkéwicz der Geschäftsführung - ebenfalls unter Vorsitz von Berkéwicz - auf die Finger schauen.
«Siegfried Unseld steht als letzte Instanz nicht mehr zur Verfügung. Wir müssen Entscheidungen breiter diskutieren», sagt Berg. «Das funktioniert so lange gut, wie alle eine gleiche Vorstellung von der Unternehmenskultur haben und in welche Richtung das Unternehmen geht.»
Dass die verlagsinterne Kontrolle in der Frankfurter Lindenstraße zuletzt nicht reibungslos funktionierte, zeigten die umstrittenen Fälle Walser, Ted Honderich und Arno Münster: Walsers «Tod eines Kritikers» wurde mit Antisemitismus-Vorwürfen überzogen und dennoch gedruckt. Honderichs «Nach dem Terror» zog der Verlag zurück, nachdem Vorwürfe laut geworden waren, Honderich zeige Verständnis für palästinensische Selbstmordattentäter. Münsters Ernst-Bloch-Biografie wurde nach einem Streit mit dem Autor aus dem Programm genommen. Drei Fälle, die dem Verlag Negativ-Schlagzeilen einbrachten.
Obendrein plagen den Verlag wirtschaftliche Sorgen. Suhrkamp kommt in der momentanen Buchhandelsflaute gerade so über die Runden und ist laut Berg dringender denn je auf Bestseller angewiesen, die Geld bringen. «Wir haben nach dem Tod lange gearbeitet, als sei nichts passiert», sagt Berg. «Das Programm derzeit könnte suhrkampscher nicht sein.» Doch über die Inhalte rede leider derzeit kaum jemand.
Auch Autoren sind verunsichert, wollen einen festen Ansprechpartner, wie sie ihn im alten Unseld hatten. Hausautor Martin Walser sagte am Montag in einem Interview, «dass ich in diesem Verlag ohne Siegfried Unseld nicht mehr zu Hause bin». Er dürfte vielen Schriftstellerkollegen aus dem Herzen sprechen. Diese Lücke zu schließen, wird länger als ein Jahr dauern.